Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„WahlOMat“: CoronaKritiker in Aufregung
An der Uni Augsburg laufen Hochschulwahlen. Ein Instrument, das die Entscheidung erleichtern soll, erhitzt nun die Gemüter. Der Fall zeigt auch, wie Gegner von Corona-Maßnahmen vernetzt sind.
Es wird gewählt in diesen Tagen. 20.000 Studentinnen und Studenten der Uni Augsburg können noch bis 28. Juni ihre Vertretungen in der erweiterten Universitätsleitung, in Fakultätsräten und im Studentischen Konvent bestimmen. Das klingt zunächst unspektakulär, und in den meisten der vergangenen Jahre war es das auch. Die Wahlbeteiligung lag normalerweise im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Prozentbereich. Doch diesmal könnte das anders sein. Rund um die Hochschulwahl 2022 hat sich ein Konflikt entzündet, der schon länger schwelt – und veranschaulicht, wie lokale Kritikerinnen und Kritiker von Corona-Maßnahmen mit prominenten Szenevertretern vernetzt sind.
Um die Wahlentscheidung zu erleichtern, hat der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Uni einen „Mahlowaten“veröffentlicht. Angelehnt an den „Wahl-O-Maten“vor Bundestagswahlen stellt er verschiedene Fragen zu Themenfeldern rund um die Uni zusammen und gleicht die gegebenen Antworten – „Zustimmung“, „Neutral“oder „Ablehnung“– dann mit den Positionen der antretenden Listen ab. Der „Mahlowat“2022 umfasst 37 Thesen – von „Die Universität Augsburg soll tierversuchsfrei bleiben“bis „Die Bibliothek soll 24 Stunden und 7 Tage die Woche geöffnet haben“. Simple Thesen, das gilt auch für Nummer 15. Doch im Gegensatz zu den anderen 36 kursiert diese seit Tagen in sozialen Netzwerken, begleitet von Kommentaren voller Entrüstung. These 15 lautet, die Gruppe „Studenten stehen auf“solle aus Projekten der Studierendenvertretung ausgeschlossen werden.
„Studenten stehen auf“bezeichnet sich als „dezentrales Netzwerk von jungen Menschen unterschiedlicher politischer, gesellschaftlicher, religiöser und geografischer Herkunft, die verschiedene Themenbereiche kritisch betrachten“. Dies betreffe allen voran den Umgang „mit der Corona-Thematik“. Der Zusammenschluss ist im gesamten deutschsprachigen Raum aktiv und zählt gut 100 Ortsgruppen – darunter eine in Augsburg. Sichtbar war diese lange bei „Corona-Demos“, aber auch auf dem Universitätsgelände: Rund um den Jahreswechsel mobilisierten die Mitglieder auf dem Campus mit Grablichtern, Kreideschriften, Protestschildern und Aufklebern gegen die 2G-Regel an Hochschulen.
Der Konvent der Universität Augsburg, zentrales Beschlussgremium der Studierendenvertretung, hat sich Anfang Mai von „Studenten
stehen auf“distanziert. Im Beschluss heißt es unter anderem, der Zusammenschluss propagiere „wissenschaftsfeindliche Positionen“. Mit diesem Konventsbeschluss begründet der AStA, warum These 15 im „Mahlowat“auftaucht. Und dort plädieren alle Bündnisse, die bei der Hochschulwahl antreten, dafür, „Studenten stehen auf“aus Projekten der Studierendenvertretung auszuschließen – mit Ausnahme des Zusammenschlusses „Diskriminierungsfreie Universität“(DU), der allerdings dem Umfeld von „Studenten stehen auf“zuzurechnen ist. Die Begründungen, warum alle anderen Listen „Studenten stehen auf“ausgeschlossen wissen wollen, ähneln sich. Die „Liberale Hochschulgruppe“etwa schreibt, Gruppierungen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnten, hätten „nichts am Campus verloren“. Von der Grünen Hochschulgruppe heißt es: „So grundsätzlich wissenschaftsfeindlich und -leugnend argumentierende und handelnde Akteur/-innen haben an der Wissenschaftsinstitution Uni nichts verloren.“
Lange dauerte es nicht, bis
Screenshots dieser Begründungen auf Telegram die Runde machten. Das soziale Netzwerk ist bei etlichen Menschen beliebt, die Corona-Maßnahmen kritisch sehen. „Studenten stehen auf“Augsburg erklärte dort, die „meisten kandidierenden Listen“zeigten mit ihren Antworten ein „gefährliches Verständnis von Wissenschaft, Demokratie und Grundrechten wie Meinungsfreiheit“. Auch in einer geschlossenen Chatgruppe, die sich mittlerweile von „Studenten stehen auf – Augsburg“in „Chatgruppe junger Augsburger“umbenannt hat und knapp 500 Mitglieder zählt, wird das Thema diskutiert. Ein Nutzer schreibt: „Die Heuchelei kotzt nur noch an, einen Mann als Frau sehen, das geht bei denen klar. Andere Meinungen hassen aber die „Tolerantesten“der Gesellschaft“. Er frage sich, „was 1933 da wohl ausgeschlossen worden wäre, von den Mainstreamfreunden“.
Es folgt Zustimmung, auch von Nutzer „Marc“. Dahinter steckt eine der zentralen Personen der lokalen Corona-Protestbewegung. Als Aktivist unter dem Namen „Augsburg unmaskiert“filmte er CoronaDemos,
verbreitete Verschwörungstheorien, kritisierte „Mainstream-Medien“und trat unter anderem mit dem Schweizer Rechtsextremen Ignaz Bearth in Ungarn auf. Sein öffentlicher Telegram-Kanal „Augsburg unmaskiert“mit Tausenden Abonnentinnen und Abonnenten ist inzwischen geschlossen, „Marc“tritt nun auch als „Der Augsburger Löwe“auf.
In der geschlossenen Chatgruppe von „Studenten stehen auf“greift „Marc“die Screenshots von These 15 auf. Er schreibt: „Ich hab das auch mal von Markus Teilen lassen, mit seinem großen Kanal.“Markus, das ist der Ulmer Rechtsanwalt Markus Haintz – deutschlandweit einer der bekanntesten „Querdenken“-Aktivisten. Haintz, der in zahlreichen Videos von „Marc“auftritt und dort ein enges Verhältnis erkennen lässt, erreicht mit seinem Kanal mehr als 100.000 Accounts – gut 26.000-mal gesehen wurde bislang der Beitrag zur Augsburger Hochschulwahl, den „Marc“an ihn weitergeleitet hatte. Harsche Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Sie reichten von „systemkonforme Sprechpuppen“über
„Idioten“bis „linksverdrehte Volltrottel an der Uni“. Ein Nutzer schrieb, „die heutigen Studenten“seien alle „indoktriniert, konsumorientiert und hirngewaschen“.
Ob und in welcher Form „Studenten stehen auf“abseits von Chatgruppen noch aktiv ist, ist dem Allgemeinen Studierendenausschuss nicht bekannt. Die Gruppierung selbst äußert sich dazu nicht, eine Anfrage unserer Redaktion blieb unbeantwortet. Kontroversen rund um die Hochschulwahl wurden zuletzt aber auch am Campus sichtbar. Zuletzt tauchten Flyer, Plakate und Sticker auf, auf denen die Nähe der Liste „Diskriminierungsfreie Uni“zu „Studenten stehen auf“– und damit auch zu „Querdenken“– thematisiert wird. Eine der Botschaften: Wer denke, die Liste sei tatsächlich gegen Diskriminierung, denke auch, „dass Zitronenfalter Zitronen falten“. In einer Podiumsdiskussion am Montagabend bestätigte ein DU-Vertreter personelle Überschneidungen mit „Studenten stehen auf“. Von Aktionen wie den Sachbeschädigungen zu Jahresbeginn distanziere man sich aber.