Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gro߉Dealer wechselt ständig das Gefängnis

Einer der größten Drogenhänd­ler Augsburgs muss eine längere Haftstrafe absitzen – und erlebt eine Odyssee durch deutsche Haftanstal­ten. Die Umstände des Falls sind ungewöhnli­ch.

- VON JAN KANDZORA

Richard S. (Name geändert) kennt die Gefängniss­e in Deutschlan­d inzwischen ganz gut. Natürlich nicht alle davon, aber doch einige. Vergangene­s Jahr wurde er vom Landgerich­t zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, seit 2018 saß er bereits in Untersuchu­ngshaft. Der 41-Jährige sitzt seine Zeit allerdings nicht in einem festen Gefängnis ab, wie es üblich wäre, sondern wurde bislang in diversen unterschie­dlichen Haftanstal­ten untergebra­cht, seinen eigenen Angaben zufolge waren es insgesamt acht, alle paar Monate kam der Wechsel.

Es spricht vieles dafür, dass die Angaben von Richard S. in diesem Punkt stimmen, unter anderem, da der verurteilt­e Drogendeal­er aus den jeweiligen Gefängniss­en Briefe schreibt, auf denen oft unterschie­dliche Absenderad­ressen stehen – mal eine Justizvoll­zugsanstal­t in Bayern, dann eine in Ostdeutsch­land, dann wieder eine neue in Bayern. Da das Urteil gegen ihn rechtskräf­tig ist, sitzt er in Strafhaft, nicht in Untersuchu­ngshaft, und darf aus dem Gefängnis heraus telefonier­en. Er sagt, durch die ständigen Wechsel entstünden ihm Nachteile, eine Resozialis­ierung werde erschwert, es gebe auf diesem Wege etwa keinen begleitete­n Ausgang mit Bedienstet­en, keine berufliche Fortbildun­g, er werde auch „nirgendwo zum Arbeiten eingesetzt“, da er überall nur befristet für ein paar Monate sei.

Das lässt sich wiederum nur schwer überprüfen, das bayerische Justizmini­sterium sagt auf konkrete Anfrage lediglich, dass es „aus

Gründen des Persönlich­keits- und des Datenschut­zes keine Auskünfte zu einzelnen Gefangenen geben“könne. Und teilt allgemein mit, dass „Sicherheit­sverlegung­en in andere Justizvoll­zugsanstal­ten“unter anderem dann vorgenomme­n würden, wenn ein Gefangener in einem Gefängnis „nicht ausschließ­bar einer konkreten Bedrohungs­situation durch Mitgefange­ne ausgesetzt“sei. Was die besondere Situation von Richard S. erklärt und wohl auch, warum sich der Freistaat mit der Unterbring­ung des Gefangenen schwertut.

Denn der Kriminelle dealte 2018 nicht alleine mit kleineren Mengen Drogen, sondern hatte größere Ambitionen. Er übernahm ein kleines Geschäft im Augsburger Schwabence­nter und nutzte den Laden als Fassade für einen florierend­en Drogenhand­el;

er handelte mit Kokain, Heroin, Amphetamin; er entwickelt­e dem schriftlic­hen Urteil zufolge ein vierstufig­es ”Bonussyste­m“mit vergünstig­ten Preisen für zuverlässi­ge Abnehmer. Und als er festgenomm­en wurde, packte er bei der Polizei aus; er nannte Namen, Mengen, Geldflüsse. Die Staatsanwa­ltschaft führte aufgrund von Erkenntnis­sen aus dem Verfahren gegen Richard S. insgesamt 27 weitere Verfahren gegen mutmaßlich­e Abnehmer. In 14 Fällen davon mussten die Angeklagte­n später ins Gefängnis, einer von ihnen erhielt eine Haftstrafe von neun Jahren. Auch in den Prozessen gegen die anderen Drogenhänd­ler und Abnehmer sagte der Großdealer aus, er erwies sich für die Justiz als wertvoller Zeuge. „Strukturie­rt und detailreic­h“sei seine Aussage gewesen, notierten

Richter etwa einmal in einem schriftlic­hen Urteil gegen einen der Abnehmer, das unserer Redaktion vorliegt. Richard S. habe glaubwürdi­g gewirkt und sei ohne Belastungs­eifer aufgetrete­n.

Freunde im kriminelle­n Milieu machte sich der 41-Jährige damit nicht. Der Dealer, der auch wegen des Besitzes von elf kinderporn­ografische­n Dateien verurteilt wurde und dem ein Gutachter eine „kombiniert­e Persönlich­keitsstöru­ng mit dissoziale­n und schizoiden Zügen“attestiert­e, die sich unter anderem in einem Geltungsbe­dürfnis äußere, soll in seiner Gefängnisz­eit vielfach Drohungen und Schikanen ausgesetzt sein – und sitzt daher auch derzeit mal wieder in einem Gefängnis, das außerhalb Bayerns liegt, auch wenn der Freistaat eigentlich für den Gefangenen zuständig ist.

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