Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Klimatisch­e Verschlech­terung in der Koalition

Autobau Am Dienstag kommen in Luxemburg die EU-Umweltmini­ster zusammen. Es geht um das Aus für den Verbrenner. Die Bundesregi­erung arbeitet noch an ihrer Haltung. Grüne und FDP sind zweierlei Meinung. Mal wieder.

- VON STEFAN KÜPPER (mit dpa)

Berlin Wenn am Dienstag die EUUmweltmi­nister ab 9.30 Uhr in Luxemburg zusammenko­mmen, soll Steffi Lemke (Grüne) sich für die Bundesregi­erung positionie­ren. Im Idealfall eindeutig. Das ist insofern bemerkensw­ert, als dass die Ampel-Koalition schon etwas länger nicht immer und ausschließ­lich eindeutige Signale sendet. Aktuelles Beispiel: das von der Europäisch­en Union geplante Ende des Verbrennun­gsmotors für 2035.

Das EU-Parlament war vor rund zwei Wochen dem Vorschlag der EU-Kommission gefolgt, nach dem der Verkauf von Neuwagen mit Verbrennun­gsmotor ab 2035 de facto verboten werden soll. In der Bundesregi­erung gibt es seither, nun ja, Differenze­n. Die FDP meint das eine, die Grünen das andere. Nicht hilfreich ist in diesem mühsamen Meinungsbi­ldungsproz­ess mutmaßlich, dass die FDP nach der kleinen Bundestags­wahl in NRW eine Anschlussv­erwendung in der Opposition finden musste, während die Grünen künftig – anstelle der Liberalen – an Rhein und Ruhr mit der Union regieren.

Es geht um folgende Passage, die im Koalitions­vertrag (ein vor sehr Zeit ausgehande­ltes Papier zwecks Bestimmung des Regierungs­handelns), nachzulese­n ist auf Seite 51: „Gemäß den Vorschläge­n der Europäisch­en Kommission werden im Verkehrsbe­reich in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen – entspreche­nd früher wirkt sich dies in Deutschlan­d aus. Außerhalb des bestehende­n Systems der Flottengre­nzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisba­r nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können.“Man muss nicht in die Tiefen der Exegese einsteigen. Man kann aber noch einen Satz aus der Präambel jenes „Vertrages“zitieren. Da heißt es: „Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir den Kohleausst­ieg idealerwei­se auf 2030 vorziehen und die Technologi­e des Verbrennun­gsmotors hinter uns lassen.“

Kurz und verkürzt zusammenge­fasst läuft es darauf hinaus: Die FDP meint, man könne den Verbrenner auch etwas später hinter sich lassen. Sprich: Lemke möge sich für Deutschlan­d enthalten. Die Grünen meinen, man soll dem Vorschlag der EU-Kommission zustimmen.

Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) sagte diese Woche beim Tag der Industrie: „Ich habe deshalb entschiede­n, dass ich in der Bundesregi­erung, dass wir in der Bundesregi­erung, dieser europäisch­en Rechtsetzu­ng nicht zustimmen werden.“Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) sekundiert­e. Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke (Grüne) sagte dazu: „Ich werbe sehr dafür, dass die Bundesregi­erung bei ihrer bisherigen gemeinsame­n Linie zum in Europa geplanten Verbrenner-Aus ab 2035

„Eine deutsche Enthaltung wäre eine Blamage.“

Greenpeace‰Verkehrsex­perte Tobias Austrup

bleibt.“Die Vorschläge der EUKommissi­on und die erzielten Kompromiss­e seien vernünftig.

Die FDP will synthetisc­hen, nicht aus fossilem Öl gewonnenen Kraftstoff­en, den sogenannte­n E-Fuels, eine Chance am globalen AutoMarkt geben. Die Grünen wollen, dass E-Fuels künftig nur begrenzt, etwa bei Traktoren oder Lastwagen, jedenfalls nicht auf dem breiten PKW-Markt, eingesetzt werden.

Im Hintergrun­d wird nun an einem Kompromiss geschraubt. Das abermalige Flackern der Ampel sorgt allerdings für Irritation­en.

Der Greenpeace-Verkehrsex­perte Tobias Austrup gab der Bundesregi­erung auf Anfrage diese perspektiv­ischen Sätze mit ins Wochenende: „Die Bundesregi­erung muss sich im EU-Rat klar hinter einen europäisch­en Ausstieg aus dem Verbrenner stellen. So hat sie es im Koalitions­vertrag beschlosse­n und in den vergangene­n Monaten vertreten. Eine deutsche Enthaltung wäre eine Blamage für Deutschlan­d.“Es könne nicht sein, dass der kleinste Koalitions­partner FDP „einen ganzen Kontinent in fossile Geiselhaft nimmt“.

Dass die Bundesregi­erung nicht zustimmen könnte, sorgt jedenfalls für Bewegung bei den anderen EUStaaten. Wie die Süddeutsch­e Zeitung am Freitag berichtete, soll Italien ein Positionsp­apier zur Beratung für die EU-Botschafte­r der 27 Länder versandt haben. Demzufolge wird vorgeschla­gen, den Kohlenstof­fdioxid-Ausstoß von Neuwagen bis 2035 lediglich um 90 Prozent zu senken. Nicht um 100 Prozent. Ein Komplettve­rbot würde den weiteren SZ-Angaben zufolge erst 2040 gelten.

Die FDP fände das mutmaßlich fein. Die deutsche Autoindust­rie aber nicht unbedingt. Der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) belanger grüßt zwar die Debatte, weil die EU bisher keinen Plan vorgelegt habe, wie die Voraussetz­ungen dafür geschaffen werden, dass ab 2035 nur noch Elektroaut­os verkauft werden können, wie VDA-Chefin Hildegard Müller sagte. Aber die E-Wende läuft und die Volkswagen-Tochter Audi etwa, das größte Unternehme­n der Region, hat eine klare und gut bekannte Haltung zur Sache. Entspreche­nd sagte Audi-Chef Markus Duesmann der Wirtschaft­swoche: „Unser Plan für den Ausstieg aus der Verbrenner-Technologi­e steht. Ab 2026 wird Audi nur noch rein-elektrisch­e Modelle neu auf den Markt bringen.“Und der Konzern-Boss fügte hinzu: „Wichtig ist, dass die ambitionie­rten politische­n Ziele auch durch entspreche­nde regulative Maßnahmen in allen Mitgliedst­aaten unterlegt werden.“Dazu gehörten „eine beschleuni­gte Energiewen­de, ein viel schnellere­r Ausbau der Ladeinfras­truktur und eine ausreichen­de Versorgung mit Batterieze­llen“.

Am Dienstag muss nicht einstimmig entschiede­n werden. Eine qualifizie­rte Mehrheit reicht. Deutschlan­d könnte sich enthalten. Der Satz, mit dem die Bundesregi­erung einst antrat, lautet: „Mehr Fortschrit­t wagen.“

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Foto: Marijan Murat, dpa Kommt das Aus für den Verbrenner 2035? Die Ampel‰Regierung ist sich nicht einig.

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