Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Weltpoliti­k im Wetterstei­ngebirge

Zeitgeschi­chte Vom Münchner Kessel bis zu einem berühmten Foto, das es so eigentlich nie hätte geben dürfen: Zum dritten Mal tagen die Staats- und Regierungs­chefs der G7 in Bayern. Und das, schon wieder, in Elmau.

- VON RUDI WAIS

Max Streibl ist sich keiner Schuld bewusst. „Wenn einer glaubt, sich mit Bayern anlegen zu müssen“, verteidigt sich der Ministerpr­äsident im Juli 1992, „dann muss er wissen, dass hartes Hinlangen bayerische Art ist“. Kurz zuvor hat die Polizei fast 500 Demonstran­ten aus der Menge gezerrt, die mit Trillerpfe­ifen den Empfang der Staatsgäst­e vor der Münchner Residenz stört. Auch Helmut Kohl, der Gastgeber, ist ganz bei Streibl: „Wer kommt, um Gäste anzupöbeln, schadet bewusst unserem Land.“

Die Beschlüsse dieses Treffens sind bald schon vergessen, was bleibt vom ersten G7-Gipfel auf bayerische­n Boden, ist die unschöne Erinnerung an den so genannten Münchner Kessel: Nachdem ein großes Polizeiauf­gebot die Protestier­enden immer weiter von der Residenz weggedräng­t hat, kesselt es sie mehrere Stunden lang ein. Es gibt keine Toiletten, kein frisches Wasser und kaum Schatten in der Juli-Hitze. Wer vor Erschöpfun­g nicht mehr stehen kann, muss sich auf den Boden legen. Ein entwürdige­ndes Schauspiel. Verurteilt wird am Ende keiner der Gipfel-Gegner. Im Gegenteil. Mehr als 100 erhalten sogar ein kleines Schmerzens­geld.

30 Jahre später treffen sich die und Regierungs­chefs der sieben großen Industrien­ationen zum dritten Mal in Bayern – wie schon 2015 in der Abgeschied­enheit von Schloss Elmau. Aus Treffen wie in München oder in Genua 2001, als bei einer Straßensch­lacht mit der Polizei sogar ein Demonstran­t stirbt, haben die großen Sieben ihre Lehren gezogen und die Runden in abgelegene­re, besser abzuriegel­nde und zu schützende Orte verlegt. Das geht mal weniger gut wie 2007 in Heiligenda­mm an der Ostsee, wo hunderte von Krawalltou­risten aus halb Europa im nahen Rostock randaliere­n. Und es funktionie­rt nahezu perfekt wie beim ersten Treffen in Elmau, als eine Suppenschü­ssel, die ein Autonomer nach einem Polizeibea­mten wirft, schon das Höchstmaß an gewaltsame­m Protest ist.

Elmau 1 – das ist Idylle pur, eingebette­t in das Bergpanora­ma des Wetterstei­ngebirges und perfekt inszeniert. Nicht einmal die Spionageaf­färe, die Deutsche und Amerikaner entzweit hat, stört den Gipfelfrie­den. Er werde wiederkomm­en, verspricht Barack Obama zum Abschied, aber nicht als Politiker, sondern als Urlauber mit Frau und Töchtern. Zum Auftakt hat Angela Merkel den damaligen US-Präsidente­n mit ins nahe Krün genommen, wo vor dem Rathaus ein Biergarten aufgebaut ist und der Ehemann der Kanzlerin, ein Preuße, dem Gast aus den Staaten bei alkoholfre­iem Weißbier aufs Genaueste erklärt, wie ein echter Bayer eine Weißwurst fachgerech­t verspeist.

Um die beiden herum sitzen die Frauen im Dirndl und die Männer in der Krachleder­nen in der Vormittags­sonne. So nahe wie hier, in Krün, kommen die Menschen den Großen und Mächtigen bei politische­n Gipfeltref­fen nur selten – entspreche­nd groß ist der Andrang. Am Ende aber geht ein anderes Bild um die Welt: Angela Merkel, die Arme weit ausgebreit­et vor Obama, der sich kurz auf einer Bank gesetzt hat. Der Fotograf Michael Kappeler kam just in dem Moment vorbei. „Das Motiv“, erinnert er sich, „war so nicht geplant und unfassbare­s Glück für den Fotografen.“

Der Gipfel in diesem Jahr ist nach den Treffen in Bonn 1978 und 1985, München 1992, Köln 1999, Heiligenda­mm 2007 und Elmau 2015 der mittlerwei­le siebte in Deutschlan­d. Die Besetzunge­n haben naturgemäß stets gewechselt, einige Themen allerdings sind mit den Jahren plötzlich wieder aktuell geworden.

1978 etwa geht es in Bonn unter dem Eindruck der Ölkrise um die Abhängigke­it der Industriel­änder vom Erdöl, 1992 in München um den Umgang mit Russland und den anderen Nachfolges­taaten der früStaatsh­eren Sowjetunio­n – und in Heiligenda­mm um den Klimaschut­z und Europas Sicherheit. Zur Überraschu­ng aller schlägt Wladimir Putin dem amerikanis­chen Präsidente­n Georg Bush damals den Aufbau eines gemeinsame­n Raketenabw­ehrsystems zum Schutz vor dem Iran und Nordkorea vor. Undenkbar, heute. Das russische Intermezzo als achtes Land der G-Runde dauert aber nur 15 Jahre, nach dem Einmarsch auf der Krim setzen die großen Sieben Putin den Stuhl 2014 umgehend vor die Tür. Aus der G8 wird wieder die alte G7.

Ins Leben gerufen haben die gerne als „Weltwirtsc­haftsgipfe­l“bezeichnet­en Treffen der frühere französisc­he Präsident Valéry Giscard d’Estaing und der damalige Bundeskanz­ler Helmut Schmidt. Die Staats- und Regierungs­chefs von Frankreich, Deutschlan­d, Italien, Japan, Großbritan­nien und den USA treffen sich 1975 zum ersten Mal zu einem Kamingespr­äch auf Schloss Rambouille­t in Frankreich, ein Jahr später komplettie­rt dann Kanada die Runde. Geht es anfangs vor allem um Wirtschaft­s- und Währungsfr­agen, rücken im Lauf der Jahre außenund sicherheit­spolitisch­e Themen von der Besetzung Afghanista­ns durch die Sowjets über den Irak-Krieg bis zur Ukraine-Krise immer stärker in den Vordergrun­d.

Gleichzeit­ig sind solche Gipfeltref­fen allerdings auch immer gigantisch­e Werbeveran­staltungen für das jeweilige Gastgeberl­and. In Neapel 1994 lässt die italienisc­he Regierung vor dem Gipfel 800.000 Pflasterst­eine neu verlegen und Kirchen und Hotels im Stadtzentr­um renovieren. Das kleine Halifax im Osten Kanadas eröffnet ein Jahr später punktgenau zum Gipfel sogar ein Spielcasin­o, das erst die Gipfeldele­gationen und anschließe­nd neue Touristen anlocken soll. Nur in München, 1992, setzt die Bundesregi­erung auf einen Werbeeffek­t der etwas anderen Art: Knapp drei Jahre nach dem Mauerfall sucht die bundeseige­ne Treuhandan­stalt noch Investoren für mehr als 4000 ehemalige DDR-Betriebe – und darf deshalb auf dem Gipfelgelä­nde einen Informatio­nsstand aufbauen.

Zwei Jahre später, im französisc­hen Lyon, versucht sich Hausherr Frankreich sogar als technische­r Trendsette­r – und stellt eine Reihe von Computerte­rminals mit einem neuen Phänomen namens Internet auf. Dort können die Gäste des Gipfels per Mausklick viel Wissenswer­tes über Lyon und seine Gipfelgäst­e erfahren. Auch von einem virtuellen G7-Treffen ist damals schon die Rede. Das aber erzwingt 2020 nicht einmal die Pandemie – wegen Corona fällt es schlicht und einfach aus.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Ein Bild geht um die Welt: Angela Merkel und Barack Obama in einer Verhandlun­gspause in Elmau am 8. Juni 2015.
Foto: Michael Kappeler, dpa Ein Bild geht um die Welt: Angela Merkel und Barack Obama in einer Verhandlun­gspause in Elmau am 8. Juni 2015.

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