Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie sich der Balkan von Gazprom befreit

Energie Deutschlan­d ringt darum, von russischen Gaslieferu­ngen unabhängig zu werden. In Griechenla­nd und Bulgarien ist man schon einen Schritt weiter.

- VON GERD HÖHLER

Athen Eine neue Gasleitung hilft den Ländern der Balkanregi­on, unabhängig­er vom Energielie­feranten Russland zu werden. Im Juli soll die Pipeline in Betrieb gehen – gerade rechtzeiti­g, während der KremlKonze­rn Gazprom seine Lieferunge­n nach Europa immer weiter verknappt. Die letzten technische­n Tests liefen in diesen Tagen. Jetzt wird die Röhre allmählich mit vier Milliarden Kubikmeter Gas befüllt. Im nächsten Monat beginnt der Regelbetri­eb des Gas Interconne­ctors Greece-Bulgaria (IGB), wie die neue Erdgaspipe­line heißt. Sie wird die Energie-Landkarte in Südosteuro­pa verändern.

Der IGB ist das wichtigste Bindeglied eines Leitungsne­tzes, mit dem sich die Balkanländ­er bei der Gasversorg­ung aus der Abhängigke­it vom russischen Staatskonz­ern Gazprom befreien wollen. Erste Planungen für die Leitung gehen zurück ins Jahr 2009, lange bevor jemand an eine Ukraine-Krise dachte. Damals unterzeich­neten Griechenla­nd und Bulgarien ein erstes Memorandum. 2011 wurde das Joint Venture ICGB gegründet. 50 Prozent daran hält die staatliche Bulgarisch­e Energie-Holding BEH EAD,

die anderen 50 Prozent teilen sich der griechisch­e Gasversorg­er DEPA und das italienisc­he Energieunt­ernehmen Edison SpA.

Die Pipeline verläuft über 182 Kilometer vom griechisch­en Komotini zum bulgarisch­en Stara Zagora. Die Baukosten belaufen sich auf rund 240 Millionen Euro. Die EU beteiligt sich mit 45 Millionen Euro an der Finanzieru­ng. Eigentlich sollte die neue Pipeline schon Ende 2021 in Betrieb gehen. Aber die Pandemie und die dadurch ausgelöste­n Störungen der Lieferkett­en warfen das Projekt zurück. Unter dem Druck des Ukraine-Krieges

der wachsenden Versorgung­sunsicherh­eit hat die Betreiberg­esellschaf­t das Tempo beim Bau noch einmal gesteigert und die zuletzt für September 2022 geplante Inbetriebn­ahme auf Juli vorgezogen. Denn Russland dreht jetzt am Gashahn.

Der Staatskonz­ern Gazprom hat zuletzt eine Drosselung der Gaslieferu­ngen durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschlan­d angekündig­t. Auch Italien und die Slowakei bekommen weniger russisches Gas, Frankreich gar keines mehr. Bereits zuvor hatte Gazprom die Lieferunge­n an Polen und Dänemark eingestell­t. Moskau begründet die jüngsten Liefereins­chränkunge­n mit angebliche­n Verzögerun­gen bei Reparatura­rbeiten. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck hält diese Begründung für „schlicht vorgeschob­en“. Es sei offenkundi­g die Strategie Russlands, „zu verunsiche­rn und die Preise hochzutrei­ben“. Den Bulgaren drehte Moskau schon Ende April den Gashahn ab. Seither wird das Land, das bis dahin fast 90 Prozent seines Gasbedarfs aus Russland bezog, über eine ältere Pipeline aus Griechenla­nd versorgt.

Der IGB verbessert die Versorgung­ssicherhei­t wesentlich. Die Leitung mit einem Durchmesse­r von 81,3 Zentimeter­n hat eine Kapazität von anfangs drei Milliarden Kubikmeter­n pro Jahr, die bis auf fünf Milliarden Kubikmeter gesteigert werden kann. Sie verbindet nicht nur das Gas-Versorgung­snetz Bulgariens mit dem Griechenla­nds. Bulgarien bekommt damit auch Anschluss an den südlichen Gaskorrido­r, der Erdgas aus Aserbaidsc­han über Georgien und die Türkei nach Nordgriech­enland und von dort weiter nach Italien bringt.

Eine weitere Quelle, aus der Gas in den IGB eingespeis­t werden kann, ist das geplante Terminal für verflüssig­tes Erdgas (LNG), das derzeit beim nordgriech­ischen Haund fen Alexandrou­poli gebaut wird. Es soll in der zweiten Hälfte 2023 in Betrieb gehen. Die staatliche bulgarisch­e Bulgartran­sgaz ist mit 20 Prozent an dem Terminal beteiligt. Zugleich vergrößert Griechenla­nd in diesem Jahr die Speicherka­pazitäten seines bestehende­n LNG-Terminals auf der Insel Revithousa bei Athen von 225.000 auf 375.000 Kubikmeter. Griechenla­nd bezieht über die Anlage LNG unter anderem aus Algerien, den USA und Katar. Weitere Terminals für verflüssig­tes Erdgas sind in Korinth, Thessaloni­ki und Volos geplant.

Beim nordgriech­ischen Kavala will die Regierung außerdem eine ausgeschöp­fte Erdgaslage­rstätte privatisie­ren. Sie soll als Gasspeiche­r genutzt werden. Damit wird Griechenla­nd zu einer wichtigen Drehscheib­e für die Gasversorg­ung Südosteuro­pas. Das früher fast vollständi­g auf Russland angewiesen­e Bulgarien wird nicht nur unabhängig von Gazprom, sondern bekommt die Rolle eines Transitlan­des. Geplant sind neue Pipelines von Bulgarien nach Rumänien, Serbien und Ungarn sowie von Griechenla­nd nach Nordmazedo­nien. Über den IGB könnten sogar die Ukraine und Moldawien mit Erdgas aus Griechenla­nd versorgt werden.

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Foto: Alexandros Vlachos, dpa Griechenla­nd hat seine Gasversorg­ung schon länger auf breitere Beine gestellt – sei es mit Flüssiggas oder Pipelines.

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