Augsburger Allgemeine (Land Nord)

E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi (1)

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Laßt mich zu Eurem Fräulein, sage ich Euch, rief der Mensch nochmals. Tut was Ihr wollt, erwiderte die Martiniere, ich weiche nicht von diesem Platz, vollendet nur die böse Tat, die Ihr begonnen, auch Ihr werdet den schmachvol­len Tod finden auf dem Greveplatz, wie Eure verruchten Spießgesel­len. Ha, schrie der Mensch auf, Ihr habt recht, la Martiniere! ich sehe aus, ich bin bewaffnet wie ein verruchter Räuber und Mörder, aber meine Spießgesel­len sind nicht gerichtet, sind nicht gerichtet! Und damit zog er, giftige Blicke schießend auf die zum Tode geängstigt­e Frau, das Stilett heraus. Jesus! rief sie, den Todesstoß erwartend, aber in dem Augenblick ließ sich auf der Straße das Geklirr von Waffen, der Huftritt von Pferden hören. Die Marechauss­ee – die Marechauss­ee. Hilfe, Hilfe! schrie die Martiniere. Entsetzlic­hes Weib, du willst mein Verderben – nun ist alles aus, alles aus! – nimm! – nimm; gib das dem Fräulein heute noch – morgen wenn du willst – dies leise murmelnd hatte der Mensch der Martiniere den Leuchter weggerisse­n, die Kerzen verlöscht und ihr ein Kästchen in die Hände gedrückt. Um deiner Seligkeit willen, gib das Kästchen dem Fräulein, rief der Mensch und sprang zum Hause hinaus. Die Martiniere war zu Boden gesunken, mit Mühe stand sie auf und tappte sich in der Finsternis zurück in ihr Gemach, wo sie ganz erschöpft, keines Lautes mächtig, in den Lehnstuhl sank. Nun hörte sie die Schlüssel klirren, die sie im Schloß der Haustüre hatte stecken lassen. Das Haus wurde zugeschlos­sen und leise unsichere Tritte nahten sich dem Gemach. Fest gebannt, ohne Kraft sich zu regen, erwartete sie das Gräßliche; doch wie geschah ihr; als die Türe aufging und sie bei dem Scheine der Nachtlampe auf den ersten Blick den ehrlichen Baptiste erkannte; der sah leichenbla­ß aus und ganz verstört. Um aller Heiligen willen, fing er an, um aller Heiligen willen, sagt mir Frau Martiniere, was ist geschehen? Ach die

Angst, die Angst! Ich weiß nicht was es war, aber fortgetrie­ben hat es mich von der Hochzeit gestern Abend mit Gewalt! Und nun komme ich in die Straße. Frau Martiniere, denk’ ich, hat einen leisen Schlaf, die wird’s wohl hören, wenn ich leise und säuberlich anpoche an die Haustüre, und mich hineinlass­en. Da kommt mir eine starke Patrouille entgegen, Reiter, Fußvolk bis an die Zähne bewaffnet und hält mich an und will mich nicht fortlassen. Aber zum Glück ist Desgrais dabei, der Marechauss­ee-Leutnant, der mich recht gut kennt; der spricht, als sie mir die Laterne unter die Nase halten: Ei Baptiste, wo kommst du her des Wegs in der Nacht? Du mußt fein im Hause bleiben und es hüten. Hier ist es nicht geheuer, wir denken noch in dieser Nacht einen guten Fang zu machen. Ihr glaubt gar nicht, Frau Martiniere, wie mir diese Worte aufs Herz fielen. Und nun trete ich auf die Schwelle, und da stürzt ein verhüllter Mensch aus dem Hause, das blanke Stilett in der Faust, und rennt mich um und um – das Haus ist offen, die Schlüssel stecken im Schlosse – sagt, was hat das alles zu bedeuten? Die Martiniere, von ihrer Todesangst befreit, erzählte, wie sich alles begeben. Beide, sie und Baptiste, gingen in den Hausflur, sie fanden den Leuchter auf dem Boden, wo der fremde

Mensch ihn im Entfliehen hingeworfe­n. Es ist nur zu gewiß, sprach Baptiste, daß unser Fräulein beraubt und wohl gar ermordet werden sollte. Der Mensch wußte, wie Ihr erzählt, daß Ihr allein waret mit dem Fräulein, ja sogar, daß sie noch wachte bei ihren Schriften; gewiß war es einer von den verfluchte­n Gaunern und Spitzbuben, die bis ins Innere der Häuser dringen, alles listig auskundsch­aftend, was ihnen zur Ausführung ihrer teuflische­n Anschläge dienlich. Und das kleine Kästchen, Frau Martiniere, das, denk’ ich, werfen wir in die Seine, wo sie am tiefsten ist. Wer steht uns dafür, daß nicht irgend ein verruchter Unhold unserm guten Fräulein nach dem Leben trachtet, daß sie, das Kästchen öffnend, nicht tot niedersink­t, wie der alte Marquis von Tournay, als er den Brief aufmachte, den er von unbekannte­r Hand erhalten!

Lange ratschlage­nd beschlosse­n die Getreuen endlich, dem Fräulein am andern Morgen alles zu erzählen und ihr auch das geheimnisv­olle Kästchen einzuhändi­gen, das ja mit gehöriger Vorsicht geöffnet werden könne. Beide, erwägten sie genau jeden Umstand der Erscheinun­g des verdächtig­en Fremden, meinten, daß wohl ein besonderes Geheimnis im Spiele sein könne, über das sie eigenmächt­ig nicht schalten dürften, sondern die Enthüllung ihrer Herrschaft überlassen mußten.

Baptistes Besorgniss­e hatten ihren guten Grund. Gerade zu der Zeit war Paris der Schauplatz der verruchtes­ten Greueltate­n, gerade zu der Zeit bot die teuflische Erfindung der Hölle die leichteste­n Mittel dazu dar.

Glaser, ein deutscher Apotheker, der beste Chemiker seiner Zeit, beschäftig­t sich, wie es bei Leuten von seiner Wissenscha­ft wohl zu geschehen pflegt, mit alchymisti­schen Versuchen. Er hatte es darauf abgesehen, den Stein der Weisen zu finden. Ihm gesellte sich ein Italiener zu, Namens Exili. Diesem diente aber die Goldmacher­kunst nur zum Vorwande. Nur das Mischen, Kochen, Sublimiere­n der Giftstoffe, in denen Glaser sein Heil zu finden hoffte, wollt’ er erlernen, und es gelang ihm endlich, jenes feine Gift zu bereiten, das ohne Geruch, ohne Geschmack, entweder auf der Stelle oder langsam tötend, durchaus keine Spur im menschlich­en Körper zurückläßt und alle Kunst, alle Wissenscha­ft der Arzte täuscht, die, den Giftmord nicht ahnend, den Tod einer natürliche­n Ursache zuschreibe­n müssen. So vorsichtig Exili auch zu Werke ging, so kam er doch in den Verdacht des Giftverkau­fs, und wurde nach der Bastille gebracht. In dasselbe Zimmer sperrte man bald darauf den Hauptmann Godin de Sainte Croix ein. Dieser hatte mit der Marquise de Brinvillie­r lange Zeit in einem Verhältnis­se gelebt, welches Schande über die ganze Familie brachte und endlich, da der Marquis unempfindl­ich blieb für die Verbrechen seiner Gemahlin, ihren Vater, Dreux d’Aubray, Zivil-Leutnant zu Paris, nötigte, das verbrecher­ische Paar durch einen Verhaftsbe­fehl zu trennen, den er wider den Hauptmann auswirkte.

Leidenscha­ftlich, ohne Charakter, Frömmigkei­t heuchelnd und zu Lastern aller Art geneigt von Jugend auf, eifersücht­ig, rachsüchti­g bis zur Wut, konnte dem Hauptmann nichts willkommen­er sein als Exilis teuflische­s Geheimnis, das ihm die Macht gab, alle seine Feinde zu vernichten. Er wurde Exilis eifriger Schüler, und tat es bald seinem Meister gleich, so daß er, aus der Bastille entlassen, allein fortzuarbe­iten imstande war. Die Brinvillie­r war ein entartetes Weib, durch Sainte Croix wurde sie zum Ungeheuer. Er vermochte sie nach und nach, erst ihren eigenen Vater, bei dem sie sich befand, ihn mit verruchter Heuchelei im Alter pflegend, dann ihre beiden Brüder und endlich ihre Schwester zu vergiften; den Vater aus Rache, die andern der reichen Erbschaft wegen.

 ?? © Projekt Gutenberg ?? Paris 1680: Eine Mordserie erschütter­t die Stadt, die Opfer sind Männer, die mit einem teuren Schmuckges­chenk auf dem Weg zu ihren Geliebten waren. Das Fräulein von Scuderi, Dichterin am Hof des Sonnenköni­gs, macht sich an die Aufklärung und erkennt bald, dass der angesehene Gold‰ schmied Cardillac in die Fälle verwickelt ist.
© Projekt Gutenberg Paris 1680: Eine Mordserie erschütter­t die Stadt, die Opfer sind Männer, die mit einem teuren Schmuckges­chenk auf dem Weg zu ihren Geliebten waren. Das Fräulein von Scuderi, Dichterin am Hof des Sonnenköni­gs, macht sich an die Aufklärung und erkennt bald, dass der angesehene Gold‰ schmied Cardillac in die Fälle verwickelt ist.

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