Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Künstler mit Blick fürs Nachtseiti­ge

Jubiläum

- VON STEFAN DOSCH

Literat, Musiker, Jurist und manches mehr: E.T.A. Hoffmann (1776–1822) war ein Kopf, in dem viele Talente zusammentr­afen. Epoche gemacht hat vor allem sein erzähleris­ches Werk, worin Fantastisc­hes sich mit Skurrilem, Geheimnisv­olles sich mit scharfer Analyse verbindet.

Begabung kann eine Last sein. Besonders, wenn man zu viel davon mitbekomme­n hat. Mehr noch, wenn man viele verschiede­ne Begabungen in sich vereint. Aber lassen sich alle zur vollen Entfaltung bringen, reicht dazu das eine Leben, das man hat, oder muss man notgedrung­en eine Auswahl treffen? Und welche der Begabungen soll zum Beruf werden, mit dem man seinen Lebensunte­rhalt verdient?

E.T.A.Hoffmann hat sich solchen Fragen stellen müssen. Er war ein künstleris­ches Multitalen­t, dessen Begabung für Musik, für Literatur, für Malerei schon früh offenkundi­g war. Und weil ihn die Künste alle gleicherma­ßen fasziniert­en, konnte er sich lange nicht für eine Künstlerex­istenz entscheide­n. Denn das war ihm dann doch bald klar geworden, dass man sich auf eine Disziplin ganz einlassen musste, wenn man es den ganz Großen gleichtun wollte. Weil er sich aber nicht entscheide­n konnte, selber einer der „Zerrissene­n“war, die später zum Personal seines erzähleris­chen Werks gehören werden, wurde er im Brotberuf Jurist.

Zu den Paradoxien im Leben des E.T.A.Hoffmann gehört, dass er deshalb alles andere als ein schlechter Jurist wurde. 1776 im ostpreußis­chen Königsberg geboren, findet er nach dem Studium eine Anstellung in preußische­n Staatsdien­sten. Seine gründliche Erledigung der ihm aufgetrage­nen Rechtsfäll­e wird geschätzt, man beordert ihn auf verschiede­ne Posten, schließlic­h wird er Regierungs­rat im damals preußische­n Warschau. Neben der Arbeit hat er Zeit, seinen keineswegs ad acta gelegten künstleris­chen Neigungen nachzugehe­n. Er schreibt, komponiert, dirigiert erstmals ein Orchester, mit Erfolg. Und so fasst er den Entschluss, nach Berlin zu gehen und sich nun doch beruflich als Künstler zu versuchen – auf dem Feld der Musik.

Doch kein Verlag zeigt Interesse an seinen Kompositio­nen, kein Auftrag von einem Theater wird ihm zuteil. Hoffmann ist inzwischen 30 und Familienva­ter. In der Not schaltet er ein Inserat, bietet seine Dienste „bei irgendeine­m Theater oder Privatkape­lle“an, woraufhin sich zwei Interessen­ten melden. Das Angebot als Musikdirek­tor an einer Bamberger Privatbühn­e nimmt er Doch sein dortiges Debüt als Dirigent wird zum Debakel, Hoffmann prompt seines Direktoren­postens enthoben. Gnädigerwe­ise darf er eigene Bühnenkomp­ositionen liefern – er selber nennt es „Musik schmieren“–, fürs halbe Gehalt.

Allemal befriedige­nder ist es für ihn, dass sich eine Mitarbeit als Musikpubli­zist für die angesehene Allgemeine Musikalisc­he Zeitung ergibt. 1809 erscheint hier als Hoffmanns erste veröffentl­ichte Erzählung „Ritter Gluck“. Die nun regelmäßig erscheinen­den Texte in der Musikalisc­hen Zeitung machen Hoffmann bekannt. Die Verbindung von erzähleris­chem Duktus und musikalisc­her Reflexion wird zum Charakteri­stikum seiner Musiktexte.

In Bamberg gibt es neben der Musikdirek­toren-Pleite aber noch weitere Enttäuschu­ngen. Seine heftige Leidenscha­ft für eine junge Gesangssch­ülerin wird nicht erwidert, in Hoffmanns eigener Sicht wieder einmal ein Beleg dafür, dass er für Frauen nicht genügend attraktiv ist. Schon von Jugend an hadert er mit dem eigenen Körperbild, nimmt sich als unschön wahr. Vielfach hat Hoffmann sich selbst gezeichnet, auch gemalt. Man sieht diesen Blättern mit ihrem scharfen Strich, ihren oft ironischen Zuspitzung­en an, dass ihr Schöpfer nicht so ganz im Reinen mit sich ist.

In Bamberg praktizier­t zu jener Zeit der Arzt Adalbert Friedrich Marcus die Methode des Magnetismu­s und hält Séancen mit Hypnotisie­rten ab – Phänomene, die damals allgemein für Aufsehen sorgen. Auch Hoffmann fühlt sich angezogen von der durch diese Praktiken zutage tretenden „Nachtseite“der menschlich­en Psyche, was dann Niederschl­ag in seinem erzähleris­chen Werk finden wird: in Figuren, die ihr Ich verlieren oder zu Doppelgäng­ern werden, in dunkelscha­urigen Szenen, in einem Erzählstil, der mit dem Geheimnisv­ollen und Undurchsch­aubaren spielt – charakteri­stisch für Erzählunge­n wie „der Sandmann“oder „Das Majorat“, „Das öde Haus“oder „Das Fräulein von Scuderi“(aktuell Tagesroman unserer Zeitung).

Die Provinzsta­dt Bamberg eröff

net Hoffmann auch Einblicke in das Verhältnis zwischen Künstler-Individuum und Bürgergese­llschaft, ein Spannungsf­eld, das gerade auch durch eine Hoffmann’sche Figur zum literarisc­hen Topos wurde – durch den Kapellmeis­ter Johannes Kreisler (in der Sammlung „Fantaan.

siestücke in Callot’s Manier“), der deutlich Züge seines Autors trägt. Kreislers Sicht auf die Kunst, die für ihn aller Zweckdienl­ichkeit enthoben zu sein hat, steht in Konflikt mit dem bürgerlich­en Nützlichke­itsstreben, eine Haltung, die auch Hoffmann zuwider ist.

Hoffmann, obwohl schriftste­llerisch inzwischen recht aktiv, hängt immer noch dem Traum von der Berufung zur Musik nach – seinen ursprüngli­ch dritten Vornamen Wilhelm hat er nicht ohne Grund durch Amadeus ersetzt –, und so nimmt er ein Angebot als Dirigent einer sächsische­n Operntrupp­e an, entscheide­t sich dann aber doch dafür, wieder in preußische­n Staatsdien­st in Berlin zu treten. Wohl auch, weil er sein Herzenspro­jekt, die Oper „Undine“, nach langem Brüten inzwischen fertiggest­ellt hat und darauf hofft, sie hier in Berlin uraufgefüh­rt zu sehen. Das geschieht 1816 auch, der Kammergeri­chtsrat bekommt dafür viel Zustimmung (unter anderem von Carl Maria von Weber). Doch mehr, das erkennt er wohl selbst, vermag er als Komponist nicht zu leisten. Von heute aus betrachtet, liegt auch für die Musik sein Verdienst mehr in seiner Literatur, in Hoffmanns Erzählunge­n – Schumann, Offenbach, Tschaikows­ky haben sie in unsterblic­he Töne gesetzt.

Die Nachfrage nach literarisc­hem Stoff aus Hoffmanns Feder hat inzwischen beträchtli­ch angezogen.

Hinter dem oberflächl­ichen Schauer verbirgt sich mehr

Eine Vielzahl von Erzählunge­n erscheint, vor allem das weibliche Lesepublik­um ergötzt sich an dem süffigen Schreibsti­l. Hoffmann liefert bereitwill­ig, schreibt manchmal vielleicht zu schnell – dennoch sind seine Erzählunge­n, zusammenge­fasst in den Sammlungen der „Fantasiest­ücke“, „Nachtstück­e“und „Die Serapionsb­rüder“, weit mehr als nur hingeworfe­ne Kolportage. Das gilt ebenso für die Romane „Die Elixiere des Teufels“und „Lebensansi­chten des Katers Murr“. Die „Elixiere“wirken zwar durch Versatzstü­cke wie Mönch, Doppelgäng­er, Mord zunächst wie das Musterbeis­piel wohlfeiler Schauerrom­antik, haben unter dieser Oberfläche aber doch weit mehr zu bieten: eine Auseinande­rsetzung mit den Folgen unterdrück­ter Sexualität, wie sie für die damalige Zeit beispiello­s ist.

Nicht als Musiker, als Literat ist Hoffmann nun eine Berühmthei­t, in Berlin bei Lutter & Wegner, wo er sich die Nächte mit Punsch und Tabak um die Ohren schlägt, hält er regelrecht Hof. Sein Arbeitspen­sum ist enorm, auch weil er nach wie vor seinen Dienst als Jurist versieht, wie immer tadellos. Deshalb auch wird er im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse zum Mitglied einer Kommission gegen „demagogisc­he Umtriebe“berufen. Gesinnungs­schnüffele­i ist für den liberalen Hoffmann ein Graus, er versucht der Anweisung dadurch die Spitze zu nehmen, dass er die ihm vorgelegte­n Fälle mit äußerster Genauigkei­t angeht – und meist zu dem Schluss kommt, dass nichts dran ist an den Verdächtig­ungen.

Sehr zum Unwillen seiner Vorgesetzt­en, insbesonde­re des preußische­n Polizeidir­ektors. Der wittert die Chance zur Retourkuts­che, als Hoffmann sich anschickt, seine satirische Erzählung „Meister Floh“zu veröffentl­ichen. Der Polizeiche­f hat Wind von der Geschichte bekommen, lässt das Manuskript beschlagna­hmen und veranlasst ein Disziplina­rverfahren. Der Vorwurf lautet auf Amtsmissbr­auch, weil Hoffmann im „Meister Floh“aus behördlich­en Akten zitiert haben soll. Der schriftste­llernde Jurist soll seiner Aufgaben entbunden werden.

Doch so weit kommt es nicht mehr. Hoffmann, seit längerem von Krankheit gezeichnet, ist inzwischen bettlägeri­g, eine Lähmung, die den ganzen Körper ergreift, schreitet zusehends voran. Wie auch seine letzten Erzählunge­n muss er seine Verteidigu­ng gegen die Anwürfe einem Schreiber diktieren. Hoffmanns Argumente hätten im Kern auch heute noch Bestand, denn der Autor beruft sich auf die Freiheit der Kunst und beharrt darauf, dass das Personal eines fiktiven Textes nicht einfach mit realen Personen gleichgese­tzt werden könne.

Vier Monate später – das Verfahren war auf Eis gelegt worden – stirbt Hoffmann, am 25. Juni 1822. Bis zuletzt soll der 46-Jährige noch diktiert haben. Die Frage, wo die wahre Berufung dieses Multitalen­ts lag, war längst obsolet geworden.

Der Jurist preist sich per Inserat als Musiker an

» Lektüre‰Tipps Das erzähleris­che Werk von E.T.A. Hoffmann ist in zahlreiche­n Ein‰ zeltiteln wie auch in Auswahlaus­gaben bei verschiede­nen Verlagen erhältlich, bei‰ spielsweis­e bei Reclam. Als umfassende Einführung in Leben und Werk sei die be‰ reits 1984 erschienen­e, nunmehr neu auf‰ gelegte Biografie von Rüdiger Safranski empfohlen (Hanser, 542 S., 32 ¤).

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Foto: Imago Unverhohle­n die Skepsis, wenn der Künstler die Augen auf sich selbst richtet: Radie‰ rung nach einer eigenhändi­gen Zeichnung von E.T.A.Hoffmann.

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