Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Und immer dreht sich Fortunas Glücksrad
Konzert Auf der Freilichtbühne am Roten Tor sorgen wieder einmal Carl Orffs „Carmina Burana“und das Staatstheater Augsburg für ein musikalisch-optisches Erlebnis.
Sie sind beliebter Gast auf der Freilichtbühne – die „Carmina Burana“. Es gibt kein stimmigeres Szenarium für Carl Orffs mittelalterliche Vision als die Gemäuer der historischen Wallanlagen am Roten Tor, das Ambiente im Freien. Bei traumhaftem Wetter entfalteten unter GMD Domonkos Héja die Augsburger Philharmoniker, der Opernchor des Staatstheaters, Philharmonischer Chor und Domsingknaben vor bestens gefüllten Rängen diesen klingenden Kosmos mit hinreißender Frische und farbstarker Theatralik.
Aus dem nach der Säkularisierung 1803 im Kloster Benediktbeuern gefundenen Konvolut von etwa zweihundert Versen und Liedern, einer Mischung aus dem Latein der Mönche und fahrenden Scholaren, volksnahem Mittelhochdeutsch, auch Elementen altfranzösischer Sprache schuf Orff seine Cantiones profanae, seine weltlichen Gesänge für Soli und Chöre, dazu für ein Orchester, das im Schlagwerk zu einem teils explosiven, teils mysteriös wispernden Apparat aufgerüstet ist.
Den Stoff verdichtete er zu einem in sich kreisenden Zyklus über das stetem Wandel ausgesetzte Leben Menschheit. Am Anfang und Ende steht das Symbol des sich drehenden Glücksrades der Göttin Fortuna, der „Imperatrix Mundi“, der Kaiserin der Welt.
Es ist ein launischer Wechsel, der die fatalistische Unerbittlichkeit des Schicksals darstellt. Was sich dazwischen ereignet, sind die schönen und die verzweifelten Abschnitte im Leben der Menschen – die Huldigung an die erwachende Natur, das Tanzen, der Genuss des Weins, das bacchantische Treiben im Wirtsvor allem aber auch die Hingabe an die Liebe und ihre ritterlichen Rituale.
Carl Orff (1895 - 1982) hat die 1937 vollendeten „Carmina Burana“als seine erste, ihn unmissverständlich kennzeichnende Schöpfung bezeichnet. Das ist der Rhythmus, die klare Sprache des Körpers, der die chromatische, spätromantisch-harmonische Vielschichtigkeit hinter sich lässt, die diatonische Einfachheit pflegt, dafür aber den nur scheinbar „primitiven“rhythmider schen Impuls mit größtem Raffinement und Farben auffächert. Der perkussive Apparat hat unglaubliche Ausmaße, von Pauken, großen und kleinen Trommeln, bis zu Schellen, Triangel, Cymbeln, Klangröhren, Gong, Becken, Kastagnetten, nicht zuletzt dem Einsatz des Klaviers. Mittelalterliche historische Elemente wie Gregorianik, Litanei, die Anlage der Strophenfolgen sind diesem übergreifenden Puls untergeordnet und in spannungsvoller Abfolge integriert.
Dirigent Héja führte die Wucht im beginnenden und abschließenden „O Fortuna“-Komplex mit seiner gefährlich lauernden und explodierenden Geballtheit hinreißend vor. Der Streicherkörper, seine blitzenden Pizzicato-Treibsätze, aber auch das samtige Atmen, dazu die Percussion ereigneten sich mit großer Präzision durch das gesamte Werk. Die üppig abgestuften Chöre wurden sicher getragen. Duftig, heiter war der Frühling beschworen. Den Schmelz „Omnia sol temperat“kostete Bariton Jakob Kunath aus, bis die verzahnten Strophen des „Ecce Gratum“den Frühling kraftvoll begrüßten. Die Tänze „Uf dem Anger“variierten vom kessen Reigen „Swaz hie gat umbe“zum lockenhaus, den „Chume, komm Geselle“. Der Frühling endet im fetzigen „Wäre auch die Welt ganz mein“. Die Ballade „Estuans interius“am Beginn des Tavernen-Abschnitts sang Kunath wunderbar verwegen aus. Das berühmte „Olim Lacus“„ über den einst stolzen, dann jämmerlich gebratenen Schwan sang Roman Poboinyi mit stahlhart-hohem Tenor; die Groteske der Instrumentalfärbung zelebrierte Héja drastisch. Mit toller Dramatik inszeniert ist die Szene des saufenden Abtes „Ergo sum abbas“, ein Glanzlicht von Bariton Kunath. Prall deftig in bayerisch derbes Tanzstampfen umgeschaltet („In taberna quando sumus“) endet der „Schenke“-Teil.
Die Liebesabenteuer „Cour d’amours“mit dem sanften, auch kraftvollen Glanz der Sopranistin Olena Sloia bestachen im Verein mit der flinken Domsingknaben-Gruppe. Das Liebesfinale von Blanziflor und Helena leitet in die abschließende Wiederkehr des gewaltigen „O Fortuna“-Schicksals über. Was die Chöre in ihren massiv geballten, rezitierenden, zusammenströmenden oder fein leuchtenden Melos-Teilen leisteten, dazu Domonkos Héjas brillante Philharmoniker, wurde vom Publikum gebührend gefeiert.