Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Hutfabrik Lembert fertigt noch in Handarbeit
Tradition Seit 1861 produziert das Unternehmen Hüte aller Art. Die besten Zeiten sind vorbei, doch die Handwerkskunst ist weiter weltweit gefragt. Sogar beim Adel.
Wer die Räume der Hutfabrik Lembert an der Haunstetter Straße 49 betritt, begibt sich auf eine Zeitreise. Eine Zeitreise in die 1960er-Jahre, in der der Hut nicht als Accessoire, sondern als Kleidungsstück galt und von nahezu jedem getragen wurde. Es geht zurück in eine Zeit, in der Lembert pro Tag um die 2300 Hüte hergestellt und etwa 300 Mitarbeiter beschäftigt hat. Die alten Maschinen in den Fabrikräumen, die meterlangen Regale mit unzähligen Hutformen aus Metall und Holz sind Zeugnis davon und lassen erahnen, wie der Betrieb hier einst gelaufen sein muss. Laute Geräusche der Maschinen und dazwischen viel zischender Dampf, der die Hutrohlinge formbar gemacht hat. Dazu jede Menge flinke Hände, die die Hüte gefärbt, geformt und am Ende mit Kordel oder Schleife garniert und dem Kunden übergeben haben. Mittlerweile ist die Szenerie eine völlig andere. Aber produziert wird bei Lembert immer noch – per Hand und auch für Adelshäuser.
Heute hat Lembert nur noch zwölf feste Mitarbeiter und zwei Aushilfen. In den Hallen sind nur vereinzelt Menschen zu sehen. Am Tag werden zwischen 80 und 100 Hüte produziert. Teile der Immobilien auf dem Betriebsgelände sind längst an andere Unternehmen vermietet. „Der Hut ist heute kein Kleidungsstück mehr, sondern ein Accessoire“, erzählt Firmenchefin Paula Lembert. Entsprechend geringer sei die Nachfrage und damit die Auslastung. „Schuld“an der Entwicklung sei die flächendeckende Verbreitung des Autos gewesen. „Die Menschen hatten dann ein Dach über dem Kopf und brauchten bei Wind, Wetter oder Sonne keinen Hut mehr, der sie schützt“, erklärt Lembert. Auch wenn das für die Hutfabrik eine bittere Entwicklung war, ist man stolz darauf, dass es das Geschäft noch gibt. „Wir haben es geschafft, am Markt zu bleiben, während manch andere Hutfabrik aufgeben musste.“
Noch heute wird bei Lembert alles per Hand und zum Großteil von den alten Maschinen aus den 1960er-Jahren gefertigt. In der hauseigenen Färberei werden die Farben aus verschiedenen Pigmenten individuell zusammengestellt und in einem Notizbuch die Mischverhältnisse per Hand notiert. In den Produktionshallen werden schließlich die gefärbten Rohlinge in verschiedenen Verfahren, wie dem Gasziehen, dem Plattieren oder dem Pressen, in Form gebracht und die Ränder gestaltet, in dem beispielsweise per Fußpedal und über eine Art Flaschenzug ein heißer Sandsack über Hut und Holzform gelegt wird. Um eine glatte Oberfläche zu bekommen, werden manche Hüte geschliffen – und zwar mit Haifischhaut – und wenige Meter weiter wird mit einer alten Pfaff-Nähmaschine das lederne Hutband eingesetzt. Insgesamt durchläuft eine
Lembert-Kopfbedeckung 30 bis 36 Arbeitsschritte, ehe sie fertig ist und an den Kunden geht. „Bei uns ist alles ganz traditionelles Handwerk ohne Computer oder softwaregestützte Maschinen“, beschreibt Paula Lembert nicht ohne Stolz. Seit 1861 gibt es das Familienunternehmen bereits.
Das wichtigste Kapital des Unternehmens sind dabei – neben den Mitarbeitern – die Holz- und Metallformen, über die die Hutrohlinge aus Velours, Filz, Stroh oder Kaninhaar oder Wolle gezogen und geformt werden. Ohne sie wäre die Hutproduktion unmöglich. Wie
viele solcher Formen bei Lembert in den Regalen liegen, kann Paula Lembert gar nicht sagen. Die ältesten von ihnen stammen aus den 1930er-Jahren und manche werden noch heute von einem der Mitarbeiter neu hergestellt. Die Frage, wie viele Hutmodelle Lembert fertigt, bringt die Chefin zum Lachen: „Unendlich viele. Denn wenn sie ein Modell etwas niedriger machen, haben sie schon eine neue Variante.“
Zu den Kunden der Hutfabrik Lembert gehört der gehobene Einzelhandel, dazu beliefert das Augsburger Traditionsunternehmen
Theater und Vereine weltweit. Auch Berufsbekleidungsgeschäfte, die Hüte für Zimmerer, Kaminkehrer oder den Schäfer im Sortiment haben, bestellen bei Lembert. Genauso wie Film und Fernsehen. So trägt beispielsweise Schauspieler Orlando Bloom in „Die drei Musketiere“einen Lembert-Hut und auch in der Serie „Babylon Berlin“stammen 80 Prozent der Kopfbedeckungen aus Augsburg. Dazu schmücken sich Adelige wie Fürstin Gloria von Thurn und Taxis oder gar Prinz Charles mit Lembert-Hüten. Aber auch jeder „normale“Bürger kann sich direkt vor Ort einen fertigen Hut kaufen oder einen nach Maß und eigenen Vorstellungen anfertigen lassen.
Für Paula Lembert und ihren Vater Christian Lembert, der nach wie vor im Unternehmen aktiv ist, ist Tradition wichtig und auch das Fortbestehen des Unternehmens. Doch unabhängig von sich ändernden Moden, machte den beiden zuletzt die Corona-Krise und jetzt der Ukraine-Krieg und seine Folgen zu schaffen. „Weil keine Theatervorführungen, Vereinstreffen oder Veranstaltungen wie das Oktoberfest stattgefunden haben, ist unser Geschäft drastisch eingebrochen“, erzählt Christian Lembert. Um die 60 bis 70 Prozent Umsatzeinbußen habe man im ersten Corona-Jahr verzeichnet. Im zweiten seien es
noch 40 Prozent gewesen. Jetzt machen dem Unternehmer die stark steigenden Energiepreise Sorgen. „Wir brauchen für den Betrieb unserer Maschinen viel Gas. Wenn die Preise weiter so steigen, kann ich das irgendwann nicht mehr sinnvoll auf die Preise umlegen.“Lembert hat daher, bei vollem Lohnausgleich, eine Vier-Tage-Woche eingeführt. „Am fünften Tag stehen die Maschinen still und wir sparen Energie“, erzählt Paula Lembert.
Dazu kommen die aktuellen Lieferengpässe, die die Produktion bei Lembert ausbremsen. „Wir haben einen Ausstand von 500 Hüten“, erzählt Paula Lembert und verweist beim Rundgang durch die Fabrik immer wieder auf leere Regale, die eigentlich mit Material gefüllt sein sollten. „Vor vier Wochen mussten wir erstmals in der Firmengeschichte einen Auftrag ablehnen, weil uns das Material fehlt“, sagt sie – und das, obwohl man nur Ware aus Europa beziehe. Immerhin: Gängige und bereits angefertigte Hüte kann Lembert nach wie vor auch kurzfristig anbieten.
Trotz aller Widrigkeiten, die das Unternehmen härter treffen als viele Krisen zuvor, bleiben Paula und Christian Lembert optimistisch. „Wir werden auch das irgendwie schaffen und das Unternehmen weiter in die Zukunft führen“, sind sie sich sicher.