Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hutfabrik Lembert fertigt noch in Handarbeit

Tradition Seit 1861 produziert das Unternehme­n Hüte aller Art. Die besten Zeiten sind vorbei, doch die Handwerksk­unst ist weiter weltweit gefragt. Sogar beim Adel.

- VON ANDREA WENZEL

Wer die Räume der Hutfabrik Lembert an der Haunstette­r Straße 49 betritt, begibt sich auf eine Zeitreise. Eine Zeitreise in die 1960er-Jahre, in der der Hut nicht als Accessoire, sondern als Kleidungss­tück galt und von nahezu jedem getragen wurde. Es geht zurück in eine Zeit, in der Lembert pro Tag um die 2300 Hüte hergestell­t und etwa 300 Mitarbeite­r beschäftig­t hat. Die alten Maschinen in den Fabrikräum­en, die meterlange­n Regale mit unzähligen Hutformen aus Metall und Holz sind Zeugnis davon und lassen erahnen, wie der Betrieb hier einst gelaufen sein muss. Laute Geräusche der Maschinen und dazwischen viel zischender Dampf, der die Hutrohling­e formbar gemacht hat. Dazu jede Menge flinke Hände, die die Hüte gefärbt, geformt und am Ende mit Kordel oder Schleife garniert und dem Kunden übergeben haben. Mittlerwei­le ist die Szenerie eine völlig andere. Aber produziert wird bei Lembert immer noch – per Hand und auch für Adelshäuse­r.

Heute hat Lembert nur noch zwölf feste Mitarbeite­r und zwei Aushilfen. In den Hallen sind nur vereinzelt Menschen zu sehen. Am Tag werden zwischen 80 und 100 Hüte produziert. Teile der Immobilien auf dem Betriebsge­lände sind längst an andere Unternehme­n vermietet. „Der Hut ist heute kein Kleidungss­tück mehr, sondern ein Accessoire“, erzählt Firmenchef­in Paula Lembert. Entspreche­nd geringer sei die Nachfrage und damit die Auslastung. „Schuld“an der Entwicklun­g sei die flächendec­kende Verbreitun­g des Autos gewesen. „Die Menschen hatten dann ein Dach über dem Kopf und brauchten bei Wind, Wetter oder Sonne keinen Hut mehr, der sie schützt“, erklärt Lembert. Auch wenn das für die Hutfabrik eine bittere Entwicklun­g war, ist man stolz darauf, dass es das Geschäft noch gibt. „Wir haben es geschafft, am Markt zu bleiben, während manch andere Hutfabrik aufgeben musste.“

Noch heute wird bei Lembert alles per Hand und zum Großteil von den alten Maschinen aus den 1960er-Jahren gefertigt. In der hauseigene­n Färberei werden die Farben aus verschiede­nen Pigmenten individuel­l zusammenge­stellt und in einem Notizbuch die Mischverhä­ltnisse per Hand notiert. In den Produktion­shallen werden schließlic­h die gefärbten Rohlinge in verschiede­nen Verfahren, wie dem Gasziehen, dem Plattieren oder dem Pressen, in Form gebracht und die Ränder gestaltet, in dem beispielsw­eise per Fußpedal und über eine Art Flaschenzu­g ein heißer Sandsack über Hut und Holzform gelegt wird. Um eine glatte Oberfläche zu bekommen, werden manche Hüte geschliffe­n – und zwar mit Haifischha­ut – und wenige Meter weiter wird mit einer alten Pfaff-Nähmaschin­e das lederne Hutband eingesetzt. Insgesamt durchläuft eine

Lembert-Kopfbedeck­ung 30 bis 36 Arbeitssch­ritte, ehe sie fertig ist und an den Kunden geht. „Bei uns ist alles ganz traditione­lles Handwerk ohne Computer oder softwarege­stützte Maschinen“, beschreibt Paula Lembert nicht ohne Stolz. Seit 1861 gibt es das Familienun­ternehmen bereits.

Das wichtigste Kapital des Unternehme­ns sind dabei – neben den Mitarbeite­rn – die Holz- und Metallform­en, über die die Hutrohling­e aus Velours, Filz, Stroh oder Kaninhaar oder Wolle gezogen und geformt werden. Ohne sie wäre die Hutprodukt­ion unmöglich. Wie

viele solcher Formen bei Lembert in den Regalen liegen, kann Paula Lembert gar nicht sagen. Die ältesten von ihnen stammen aus den 1930er-Jahren und manche werden noch heute von einem der Mitarbeite­r neu hergestell­t. Die Frage, wie viele Hutmodelle Lembert fertigt, bringt die Chefin zum Lachen: „Unendlich viele. Denn wenn sie ein Modell etwas niedriger machen, haben sie schon eine neue Variante.“

Zu den Kunden der Hutfabrik Lembert gehört der gehobene Einzelhand­el, dazu beliefert das Augsburger Traditions­unternehme­n

Theater und Vereine weltweit. Auch Berufsbekl­eidungsges­chäfte, die Hüte für Zimmerer, Kaminkehre­r oder den Schäfer im Sortiment haben, bestellen bei Lembert. Genauso wie Film und Fernsehen. So trägt beispielsw­eise Schauspiel­er Orlando Bloom in „Die drei Musketiere“einen Lembert-Hut und auch in der Serie „Babylon Berlin“stammen 80 Prozent der Kopfbedeck­ungen aus Augsburg. Dazu schmücken sich Adelige wie Fürstin Gloria von Thurn und Taxis oder gar Prinz Charles mit Lembert-Hüten. Aber auch jeder „normale“Bürger kann sich direkt vor Ort einen fertigen Hut kaufen oder einen nach Maß und eigenen Vorstellun­gen anfertigen lassen.

Für Paula Lembert und ihren Vater Christian Lembert, der nach wie vor im Unternehme­n aktiv ist, ist Tradition wichtig und auch das Fortbesteh­en des Unternehme­ns. Doch unabhängig von sich ändernden Moden, machte den beiden zuletzt die Corona-Krise und jetzt der Ukraine-Krieg und seine Folgen zu schaffen. „Weil keine Theatervor­führungen, Vereinstre­ffen oder Veranstalt­ungen wie das Oktoberfes­t stattgefun­den haben, ist unser Geschäft drastisch eingebroch­en“, erzählt Christian Lembert. Um die 60 bis 70 Prozent Umsatzeinb­ußen habe man im ersten Corona-Jahr verzeichne­t. Im zweiten seien es

noch 40 Prozent gewesen. Jetzt machen dem Unternehme­r die stark steigenden Energiepre­ise Sorgen. „Wir brauchen für den Betrieb unserer Maschinen viel Gas. Wenn die Preise weiter so steigen, kann ich das irgendwann nicht mehr sinnvoll auf die Preise umlegen.“Lembert hat daher, bei vollem Lohnausgle­ich, eine Vier-Tage-Woche eingeführt. „Am fünften Tag stehen die Maschinen still und wir sparen Energie“, erzählt Paula Lembert.

Dazu kommen die aktuellen Lieferengp­ässe, die die Produktion bei Lembert ausbremsen. „Wir haben einen Ausstand von 500 Hüten“, erzählt Paula Lembert und verweist beim Rundgang durch die Fabrik immer wieder auf leere Regale, die eigentlich mit Material gefüllt sein sollten. „Vor vier Wochen mussten wir erstmals in der Firmengesc­hichte einen Auftrag ablehnen, weil uns das Material fehlt“, sagt sie – und das, obwohl man nur Ware aus Europa beziehe. Immerhin: Gängige und bereits angefertig­te Hüte kann Lembert nach wie vor auch kurzfristi­g anbieten.

Trotz aller Widrigkeit­en, die das Unternehme­n härter treffen als viele Krisen zuvor, bleiben Paula und Christian Lembert optimistis­ch. „Wir werden auch das irgendwie schaffen und das Unternehme­n weiter in die Zukunft führen“, sind sie sich sicher.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Christian und Paula Lembert führen die Hutfabrik Lembert. Seit 1861 stellt das Familienun­ternehmen Hüte für jedermann und Promis her.
 ?? ?? Lembert‰Hüte werden in die ganze Welt geliefert. Unter anderem auch an Theater oder Vereine.
Lembert‰Hüte werden in die ganze Welt geliefert. Unter anderem auch an Theater oder Vereine.

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