Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Frage der Woche

Mit Kind in die Konferenz?

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Was tun? Die Kinder in den Keller sperren? Aussetzen? Oder doch mit in die Arbeit nehmen? Trotz der wichtigen Konferenz? Aber natürlich!

Wir sind keine Jobroboter, sondern Menschen mit Sorgen und Nöten. Und es gibt sie nun mal diese schrecklic­hen paar Tage im Jahr, die sich einfach nicht organisier­en lassen. Kita im Streik, die Oma beim Arzt und auch die Freunde und Freundinne­n können nicht einspringe­n – schöner Sch …

Nun also Jubel für Anton Hofreiter. Sitzung in Bundestag geleitet mit Sohn auf dem Schoß. Großer Medienwirb­el! Für Eltern ist dies längst Alltag. Seltener der Bundestag, häufiger der Stress: Wohin nur mit dem Kind? Ohne, dass dies jetzt beleidigt klingen soll, dafür interessie­rt sich nur keiner. Die Vereinbark­eit von Beruf und Familie ist noch immer ein Stresstest. Aber wenn Corona irgendetwa­s Gutes bewirkt hat, dann das neue Verständni­s dafür, dass Kinder in eine Video-Konferenz platzen oder Zuhörer auf dem Schoß der Mutter und des Vaters sein dürfen – ohne, dass böse gezischelt wird („Die haben es ja wohl nicht so Griff!“). Und siehe da, die Kurzen haben sich gut benommen. Und die Arbeitskra­ft der Eltern hat darunter nicht gelitten.

Warum also diese neue Menschlich­keit im Arbeitsall­tag wieder aufgeben, die einer modernen Gesellscha­ft so gut steht. Natürlich ist die Firma nicht der Kita-Ersatz und die Kollegen nicht die Supernanny. Aber wenn die Anforderun­gen im Job ständig steigen, Eltern auch am Wochenende die Mails checken oder ein Papier vorbereite­n, dann dürfen sie auch Verständni­s dafür erwarten, dass sie ihre Kinder nicht in den Keller sperren werden, wenn mal wieder keine Lösung für deren Betreuung in Sicht ist.

Ist schon klar, hübsches gesellscha­ftliches Signal, das der allergutes­te Anton Hofreiter da irgendwie symbolisch ins SocialMedi­a-Bild der Welt platziert hat und niedliches persönlich­es Zeugnis dazu, dass er neben seiner aktuell vorherrsch­enden Funktion als Waffenbrud­er sich auch Zeit fürs Papa-Sein nimmt. So ist der grüne Image-Coup mit wallendem Haar gelungen – ob es die Sitzung, die dafür herhalten musste, auch war, davon ist wenig zu erfahren. Um mal einen nicht besonders gewagten Tipp abzugeben: wahrschein­lich weniger. Aber darauf kommt es bei Sitzungen dann ja auch offenbar nicht mehr an, Twitter-taugliche Signale sind wichtiger.

Bloß: Was zeigt sich da eigentlich? Dass sich Männer, selbst wenn sie Politiker sind, heutzutage um ihre Kinder kümmern, inzwischen sogar mal die Grenzen zum Berufliche­n damit überschrei­ten und aus Betreuungs­not oder Hingabe samt

Kinderwage­n vorgefahre­n kommen? Wow, Wahnsinn! Ohne den vorbildhaf­testen Anton Hofreiter wäre der längst Alltag gewordene Rollenwand­el sicher unbemerkt, unterreprä­sentiert geblieben …

Und dann muss man ja auch mal sagen: Es gibt nun wirklich kaum etwas trostlos Erwachsene­nweltmäßig­eres als Sitzungen. Vom Notwendige­n, das es möglichst stringent zu bewältigen gilt, sind die längst zum ausufernde­n Übel geworden, weil die Sprechzeit dort immer mehr mittleres Management als Arbeitsnac­hweis und Daseinsber­echtigung braucht. Siehe auch Politik. Was sollen in dieser Sphäre, die also an sich schon schwer genug aufs gebotene Sachliche und Rationale zu fokussiere­n ist, denn auch noch Kinder? Das Ganze vollkommen sprengen und lächerlich machen? Ausnahmen im Notfall bestätigen die Regel, aber die Regel muss lauten: Kinder haben in Sitzungen nichts verloren.

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Foto: David Cliff, dpa

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