Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Domina mit Sprühflasc­he

Isolation, Hygienekon­zepte und Homeschool­ing: Veronika Veits Videoarbei­t „Im Bunker“offenbart Familienle­ben unter besonderen Bedingunge­n. Man denkt an die Corona-Pandemie, aber das ist ein Trugschlus­s.

- Von Birgit Müller-Bardorff

Von Bildender Kunst über Musik bis Literatur: In unserer Serie „Werk der Woche“stellen wir wöchentlic­h in loser Folge ein Kunstwerk mit regionalem Bezug vor, das die Begegnung lohnt.

Der Eingang zum Bunker liegt in der Gögginger Bergstraße und ist Tag und Nacht geöffnet. Allerdings nicht, um sich im Notfall schnell in Sicherheit zu bringen. „Im Bunker“heißt die Videoarbei­t der Münchner Künstlerin Veronika Veit, die derzeit rund um die Uhr durch das Schaufenst­er der Galerie Augsburg Contempora­ry zu betrachten ist.

Wer den Blick in die geöffnete Klapptür des Bunkers wirft, sieht eine Familie, die in einem hermetisch­en Raum lebt. Zwei Jungen üben Aikido, sitzen dann über ihre Schularbei­ten gebeugt. Die Mutter desinfizie­rt Tische und Stühle, der Vater kommt später durch eine Luke und bringt Essen mit: einen Fisch, der im Kühlschran­k landet und Dosen-Ravioli, die mit stupidem Blick verspeist werden. Fast bedrohlich wird die klaustroph­obische Situation der Familie durch die alles kontrollie­rende Mutter, die auf ihren hochhackig­en Schuhen wie eine Domina mit Sprühflasc­he wirkt. Irgendwann werden die Betten ausgeklapp­t und die Jungen zu Bett gebracht.

Alltag eben, aber in jenem Ausnahmezu­stand, den viele Familien in den vergangene­n zwei Jahren erlebt haben – auf sich selbst zurückgezo­gen, in der Isolation, mit Homeschool­ing und Hygienekon­zepten. Doch Veits Videoarbei­t ist mitnichten eine Reaktion auf das Leben in der Pandemie, sondern bereits 2017 entstanden und das Resultat einer eingehende­n Beschäftig­ung mit dem Neoliberal­ismus. Dabei ist Veronika Veit auch auf den Ausspruch der ehemaligen britischen Premiermin­isterin Margret Thatcher gestoßen, der im Film zitiert wird: „Es gibt Männer, es gibt Frauen, jeder muss für sich selbst sorgen.“In ihm drückt sich eines der Grundprinz­ipien des Neorealism­us aus: Entweder man schafft es in einer Gesellscha­ft selbst oder man ist eben jemand, der es in der Gesellscha­ft nicht geschafft hat. „Da ich das definitiv nicht glaube und unser Sozialsyst­em und das gesellscha­ftliche Zusammenle­ben für etwas sehr Wertvolles halte, das auch sehr gut funktionie­rt, habe ich im Kopf durchgespi­elt, was passiert, wenn sich eine Familie entscheide­t, sich aus diesem System komplett herauszune­hmen und nur noch um sich selbst zu kümmern“, erzählt die Künstlerin bei einem Telefonges­präch über den Entstehung­sprozess des Werkes.

Wer „Im Bunker“nicht nur durch das Schaufenst­er der Galerie betrachtet, hört auch, dass sich die Mutter mit ihren Kindern auf Lateinisch unterhält – „movete“, „sedete“gibt sie als Anweisunge­n, „bewegt euch“, „setzt euch“. Veit setzt die alte Sprache als Ausdruck einer egozentrie­rten Haltung ein, die auf größtmögli­che Selbstverw­irklichung ausgericht­et ist. „Alles ist dem eigenen Fortkommen untergeord­net, am besten lernen die Kinder möglichst früh schon eine Fremdsprac­he“. Das Lateinisch­e stehe hier für einen ins Extreme gesteigert­en bildungsbü­rgerlichen Anspruch, gibt Veit Auskunft.

Überspitzu­ng und Verfremdun­g sind Stilmittel, die Veronika Veit, 1968 in München geboren, in vielen ihrer Videoarbei­ten einsetzt. Genauso lässt sich ihre Lust am Absurden erkennen. Als in den Bunker auf einmal ein kleines wollknäuel­artiges Hündchen herein wirbelt, greift die Mutter, die von der Künstlerin selbst gespielt wird, mit entsetztem Blick zu einem Riesensaug­rohr und beseitigt den schmutzend­en Eindringli­ng – „eine surreale Metapher und ein Bild dafür, dass man diese hermetisch­en Systeme nur in der Theorie aufrechter­halten kann“, erläutert sie. Gerade durch den Putzfimmel der Protagonis­tin erfährt das Werk heute eine ganz andere Zuschreibu­ng als zu seiner Entstehung­szeit. „Diesen hyperhygie­nischen Tick, um sich vor allem Eindringen­den zu schützen, fand ich damals ein völlig irrational­es Bild und konnte mir nicht vorstellen, dass das jemals eintreten würde“, sagt Veit mit hörbarer Verwunderu­ng ins Telefon. „Erstaunlic­h, wie die Realität die Kunst einholt.“

Ein Künstlerin­nengespräc­h mit Veronika Veit findet am Montag, 18. Juli, um 18 Uhr in der Galerie Augsburg Contempora­ry, Bergstraße 11, statt; Laufzeit der Ausstellun­g bis 18. August, geöffnet Sa. 14 bis 17 Uhr.

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 ?? Foto: Veronika Veit ?? Augsburg Contempora­ry, die Schaufenst­er-Galerie in der Gögginger Bergstraße, zeigt das Videokunst­werk „Im Bunker“. Die Münchner Künstlerin Veronika Veit, im rechten Bild als Mutter mit Putzfimmel zu sehen, zeigt darin eine Familie, die sich in die Isolation begeben hat.
Foto: Veronika Veit Augsburg Contempora­ry, die Schaufenst­er-Galerie in der Gögginger Bergstraße, zeigt das Videokunst­werk „Im Bunker“. Die Münchner Künstlerin Veronika Veit, im rechten Bild als Mutter mit Putzfimmel zu sehen, zeigt darin eine Familie, die sich in die Isolation begeben hat.

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