Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Scholz und Merz im Wunderland
Seit fast einem Jahr regieren Olaf Scholz und seine Ampel-Koalition das Land. Die Union macht ihnen im Bundestag heftige Vorwürfe. Doch auch der Kanzler teilt aus.
Vorhang auf für das zweite Rededuell Kanzler gegen Oppositionsführer. Olaf Scholz und Friedrich Merz haben sich bei der Generaldebatte im Bundestag ordentlich beharkt. Es war die Neuauflage des Aufeinandertreffens von Anfang September im Plenarsaal des Reichstages. Merz hatte am Mittwoch den ersten Aufschlag, so will es die Tradition. Der CDUChef setzte wieder auf sein bewährtes Stilmittel, Kritik und Anwürfe mit den beiden Worten „Herr Bundeskanzler“einzuleiten. Kostprobe: „Herr Bundeskanzler, Sie hatten die Chance, dieses Land zum Positiven zu verändern. Sie haben diese Chance nicht genutzt.“
Der Oppositionsführer, das ist der Tenor seiner Rede, wirft Scholz vor, die selbst ausgerufene Zeitenwende zu vergeigen. Statt den Schock über den russischen Einmarsch in die Ukraine zu nutzen und Deutschland grundlegend zu modernisieren, herrscht KleinKlein und gesetzgeberisches Stückwerk. So stellt sich die Lage in Merz’ Augen dar. Und dann zählt er auf: Rentner und Studenten in den ersten Energie-Entlastungspaketen vergessen, Stromund Gaspreisbremse mit wackeligem Beginn, Gewinnabschöpfung bei Energieversorgern juristisch angreifbar. „Sie können es vielleicht nicht besser“, sagte Merz mitleidig.
Den Hauptteil seiner Rede nimmt die angekündigte Ertüchtigung der Bundeswehr ein, die bisher stecken geblieben sei wie der russische Vormarsch in der Ukraine. Statt zu wachsen, sinke der Verteidigungshaushalt im nächsten Jahr um 300 Millionen Euro, aus dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro sei bislang kaum Geld für die Streitkräfte abgeflossen. „Herr Bundeskanzler, ich kann es nicht anders sagen, es ist ein grober Wortbruch gegenüber dem Parlament und der Bundeswehr“, beklagte der Oppositionschef, der selbst gerne Bundeskanzler wäre. Da waren sie wieder, die zwei Worte, die Scholz reizen sollen.
Ganz so angriffslustig wie bei
der vergangenen Generaldebatte im September zeigte er sich allerdings nicht. Damals war Merz hart mit der Ampel-Koalition ins Gericht gegangen. Scholz hatte sein Manuskript zur Seite gelegt und sich frei sprechend Luft gemacht. Diesmal fehlte dem Oppositionsführer offenkundig an manchen Stellen der Ansatz. Wichtige Streitfragen hatten Ampel und Union am Vortag ausgeräumt: Es gab eine Einigung beim Bürgergeld. Die Winterlücke bei Hilfen gegen die hohen Energiepreise wurde geschlossen.
Als der Kanzler am Rednerpult zur Erwiderung ansetzte,
schwenkte er um ins Literarische. „Als ich Ihnen zugehört haben, musste ich an Alice im Wunderland denken“, ätzte Scholz. Dort, so der Sozialdemokrat, befänden sich CDU und CSU. Oben und unten verkehrt, die Gesetzmäßigkeiten der echten Welt außer Kraft gesetzt. „Was zunächst logisch klingt, ist in Wahrheit blanker Unsinn“, donnerte der Regierungschef. Jetzt war es an ihm, die Leistungen seiner Ampel-Koalition in das Schaufenster zu stellen: Gasspeicher bis zum Anschlag gefüllt, Flüssiggasterminals in Rekordzeit gebaut, drei Rettungspakete gegen die Explosion der Energiepreise
geschnürt, Steuerentlastungen durch den Abbau der kalten Progression in Milliardenhöhe, enorme Subventionen für Strom und Gas. „Sie reden von Entlastungen, aber stimmen dagegen. Wir setzen Entlastungen um“, sagte Scholz.
Ein verlässlicher Pfeil in seinem Köcher ist der Verweis auf die Epoche Merkel, in der CDU und CSU 16 Jahre lang die Geschicke der Nation lenkten. „Die Partei des Weiterso sitzt jetzt in der Opposition und da gehört sie auch hin“, rief der Kanzler unter lautem Beifall der Ampel-Abgeordneten den UnionsReihen zu. Die Ampel-Regierung habe in nicht einmal zwölf Monaten
mehr in Gang gesetzt, als die Regierungen der vergangenen zwölf Jahre. Nicht seine Koalition sei das Problem im Land. „Wer das glaubt, glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen“, sagte der Kanzler. „Willkommen im CDU-Wunderland, wo die Realität auf dem Kopf steht.“Er verschwieg dabei, dass seine SPD während zwölf der 16 Jahre an der Regierung beteiligt war.
Nach ihrem Schlagabtausch mussten sich beide Duellanten die Rede einer echten Alice anhören. Alice Weidel ist Co-Vorsitzende der AfD und Co-Fraktionschefin in Personalunion. Die 43-Jährige, das wurde unmissverständlich deutlich, sieht Deutschland nicht als
„Sie reden von Entlastungen, aber stimmen dagegen.“
Kanzler Olaf Scholz
Wunderland, sondern als eine dysfunktionale Bananenrepublik. „Zwölf Monate Ampel, das sind zwölf Monate mutwillige Zerstörung unserer Wirtschaft und unseres Wohlstandes“, schimpfte sie. Weidel prangerte an, dass sich die Regierung 10.000 neue Stellen genehmigte und das Kanzleramt für 800 Millionen Euro erweitert – mit einer zweiten Wohnung für den Kanzler. Die AfD-Frau erklärte die Energiewende für ein scheiterndes Experiment und kritisierte, dass über ein Jahr nach der verheerenden Flut im Ahrtal die Menschen dort noch immer auf den Trümmern ihrer Existenz hocken würden. „Hören Sie auf, die Bürger auszunehmen, anzulügen und für dumm zu verkaufen“, schloss Weidel ihre Rede.
Auch die Linke warf der Ampel Chaos und unzureichende Hilfen für die Bevölkerung vor. „Viele Menschen fühlen sich nicht beschützt und unterstützt“, sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch. Statt eines großen Schutzschirms gebe es „Wellness für die Wohlhabenden und unterlassene Hilfeleistung“für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger.