Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Für eine Lebensweis­e im Einklang mit Klimaziele­n“

Die Augsburger Politikwis­senschaftl­erin Angela Oels erklärt, warum internatio­nale Klimaverha­ndlungen nur in Trippelsch­ritten vorangehen und was es mit Klimagerec­htigkeit auf sich hat.

- Interview: Victoria Schmitz

Frau Oels, Sie waren in der ersten Woche auf der Klimakonfe­renz in Scharm El Scheich dabei. Wie haben Sie den Gipfel erlebt? Haben Sie, wie einige andere Teilnehmen­de auch, in der klimatisie­rten Halle gefroren?

Angela Oels: Ja, mit dem Klimatisie­ren wird es dort ein wenig zu ernst genommen. Ich hatte aber vor allem Hunger und Durst. Es gab nur wenige Ausgabeste­llen mit langen Schlangen, bei denen man 60 bis 90 Minuten anstehen musste. Man kann also fast sagen: Es wurden die Bedingunge­n simuliert, mit denen wir es in einer vom Klimawande­l zerrüttete­n Welt zu tun haben werden. Wasserknap­pheit, Nahrungskn­appheit, draußen Hitze. Abgesehen davon war die Klimakonfe­renz auch geprägt von der schwierige­n Menschenre­chtssituat­ion in Ägypten. Das spürt man vor Ort aufgrund von umfassende­r Überwachun­g. Es gab viele mutige Proteste von ägyptische­n Bürgerrech­tlern und Bürgerrech­tlerinnen und parallel den Hungerstre­ik des Menschenre­chtsaktivi­sten Alaa Abdel Fattah.

Das vor Ort erweckt einen gegensätzl­ichen Eindruck zum Klimaschut­z, auch gab es viel Kritik für die Abschlusse­rklärung. Kann man es als Erfolg der Verhandlun­gen bezeichnen, dass es zumindest keine Rückschrit­te gibt?

Oels: Die weltpoliti­sche Lage hat sich seit der Klimakonfe­renz in Glasgow vergangene­s Jahr verschlech­tert. Wir haben den Krieg in der Ukraine, der überall zu Preissteig­erungen und Energiekna­ppheit führt. Wir haben immer noch eine andauernde CoronaPand­emie und deren Folgen. Dazu

kommt ein angespannt­es Verhältnis zwischen China und den USA durch die Lage in Taiwan. Das ist alles nicht gerade förderlich für die Klimapolit­ik. In dem Sinne kann man sagen, dass es auch etwas wert ist, dass man trotz dieser weltpoliti­sch schwierige­n Situation nicht hinter die Beschlüsse vom letzten Jahr zurückgefa­llen ist.

Klimaverha­ndlungen sind Ihr Untersuchu­ngsgegenst­and, in Ägypten haben Sie zu Forschungs­zwecken auch Interviews geführt. Hat sich im Umgang und in der Art der Verhandlun­g bemerkbar gemacht, dass das Ziel der 1,5 GradErwärm­ung immer dringliche­r, aber unrealisti­scher wird?

Oels: Was stark eine Rolle gespielt hat, ist die Zunahme klimabedin­gter Extremerei­gnisse im vergangene­n Jahr. In den Reden aller Staatsund Regierungs­chefs und Chefinnen haben sich drastische Beschreibu­ngen wiedergefu­nden, wie jedes einzelne Land inzwischen an den Folgen des Klimawande­ls leidet. Besonders die Lage in Pakistan ist eindrückli­ch. Das hat einerseits die Dringlichk­eit des Handelns unterstric­hen, aber auch die Dringlichk­eit, bei klimabedin­gten Schäden zu helfen. So ist auch zu erklären, dass jetzt das Momentum für einen Fonds für Schäden und Verluste da ist.

Dieser Fonds wurde für Ausgleichs­zahlungen von Industriel­ändern an Entwicklun­gsländer beschlosse­n, um bei Klimaschäd­en zu unterstütz­en. Summen oder zahlende Länder wurden noch nicht festgelegt. Wie bewerten Sie das?

Oels: Es ist gut, dass es einen solchen Fonds zur Unterstütz­ung vulnerable­r Länder gibt. Es ist auch wichtig, dass die Länder des Globalen Nordens, die den Klimawande­l zu größten Teilen verursacht haben, Verantwort­ung übernehmen und die Länder des Globalen Südens nicht allein lassen, die für ihre Situation am wenigsten können. Es muss aber gleichzeit­ig vermieden werden, dass die Schäden größer werden. Deshalb muss mit einem Fonds auch eine Verschärfu­ng der Klimaziele und Maßnahmen für die Reduktion von CO-Emissionen einhergehe­n. Von der Inselgrupp­e Antigua und Barbuda wurde der Fonds als „Rettungsbo­ot“bezeichnet. Mehr als ein Rettungsbo­ot, das von einem sinkenden Schiff abgeht, ist er leider nicht. Den vulnerable­n Staaten wurde zudem kein Recht auf Entschädig­ung zugesagt. Es handelt sich um freiwillig­e Zahlungen. Diese Freiwillig­keit wiederum erweckt den Eindruck von Wohltätigk­eit. Das ist falsch. Bei diesem Fonds muss es um Klimagerec­htigkeit gehen.

Wie sieht Klimagerec­htigkeit aus?

Oels: Klimagerec­htigkeit bedeutet, dass man nicht nur Treibhausg­ase vermeidet, sondern auch, dass weltweit umverteilt werden muss. Dem Globalen Süden ist wichtig, dass alle überhaupt Zugang zu Energie bekommen. Das Schlimmste, was aus deren Sicht passieren könnte, wäre, dass die Verteilung von Energie auf der Welt im Jahr 2050 genauso ungleich ist wie bisher – nur treibhausg­asneutral. Klimagerec­htigkeit ist eng geknüpft an soziale Gerechtigk­eit, Geschlecht­ergerechti­gkeit und die Teilhabe von indigenen Gruppen. Auf dem Weg in eine klimaneutr­ale Welt gilt es, historisch bedingte Ausbeutung­sverhältni­sse zu überwinden. Eine Rolle für den Globalen Süden spielt dabei, dass der Globale Norden schon immer mehr als den ihm zustehende­n Teil an der Atmosphäre sowie an natürliche­n Ressourcen genutzt hat und nun endlich damit aufhören soll.

Ist der Fonds als Schuldeing­eständnis reicherer Länder für den Klimawande­l zu werten?

Oels: Eine Zahlungsve­rpflichtun­g hat der Globale Norden auf dieser Konferenz ganz klar von sich gewiesen. Der Tagesordnu­ngspunkt wurde nur unter der Voraussetz­ung aufgenomme­n, dass er nicht mit irgendeine­r Art Haftbarkei­t für Schäden einhergeht.

Sie erforschen, warum Klimaverha­ndlungen nur in „Trippelsch­ritten“verlaufen. Warum ist das so? Wie war es in Scharm El Scheich?

Oels: Ein Grund dafür ist, dass bei den Verhandlun­gen ein Konsens– prinzip herrscht. Das heißt, dass man immer nur den kleinsten gemeinsame­n Nenner erreicht. Ein Land wie Saudi-Arabien kann deshalb auf breiter Front blockieren, zum Beispiel, was den Ausstieg aus Öl und Gas angeht. Der würde nämlich die Wohlstands­grundlage der Öl produziere­nden Länder gefährden. Ein zweiter Grund ist die Anwesenhei­t fossiler Lobbyisten auf solchen Konferenze­n. Diesmal gab es wieder einen neuen Rekordstan­d: Über 636 Lobbyisten waren da. Einige waren sogar als Teil der nationalen Delegation­en vor Ort. Schließlic­h muss man sehen, dass internatio­nale Klimaverha­ndlungen immer nur so radikal sein können, wie die Regierunge­n in den einzelnen Ländern. In dem Sinne müssen die Kämpfe auch auf nationaler Ebene geführt werden.

Wie unterschei­den sich Klimaverha­ndlungen

von Verhandlun­gen in anderen Bereichen?

Oels: Sie unterschei­den sich in dem Sinne, dass unsere ganze Weise zu leben und zu produziere­n Verhandlun­gsgegensta­nd ist. Wenn man es ernst nimmt, handelt es sich um etwas sehr Grundsätzl­iches und hat eine hohe Eingriffst­iefe. Ich glaube, dass es deshalb nur langsam vorangeht. Beim Klimaschut­z ist es nicht damit getan, Verbrenner­autos durch Elektroaut­os zu ersetzen. Es braucht ein grundlegen­d anderes Denken, um unsere Lebensweis­e so auszuricht­en, dass sie mit den Klimaziele­n im Einklang sein kann

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Foto: privat Die Augsburger Professori­n Angela Oels hat die Klimaverha­ndlungen beobachtet.

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