Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Dämpfer für schottisch­e Träume

Ohne Zustimmung aus London wird es kein erneutes Unabhängig­keitsrefer­endum geben. So hat es das höchste britische Gericht entschiede­n. Geklärt ist die Lage damit aber nicht.

- Von Susanne Ebner

Die Debatte um die Unabhängig­keit Schottland­s ist alt, sogar sehr alt. Die „Declaratio­n of Arbroath“, die als erste schottisch­e Unabhängig­keitserklä­rung gilt, wurde vor über 700 Jahren in der gleichnami­gen idyllische­n Ostküstens­tadt des britischen Landesteil­s unterschri­eben. Einige hundert Jahre später erblickte James Gibson dort das Licht der Welt, der Architekt der „Middlesex Guildhall“. Jenem Gebäude, in welchem am gestrigen Mittwoch ein wichtiges Urteil gesprochen wurde.

Der britische Supreme Court verhandelt­e darüber, ob das Regionalpa­rlament in Edinburgh nach der Verabschie­dung eines entspreche­nden Gesetzes ein Referendum über die Unabhängig­keit von London abhalten darf – auch für den Fall, dass die Zentralreg­ierung in London dagegen ist. Robert Reed, Richter am höchsten britischen Gericht, erteilte dem Vorhaben eine klare Absage. „Das schottisch­e Parlament ist nicht befugt, Gesetze für ein Referendum über die Unabhängig­keit Schottland­s zu erlassen“, sagte er und las das Urteil dabei von einem Blatt ab. Er begründete dies damit, dass ein Referendum dieser Art zwar legitim sei, in dieser Form jedoch politische Konsequenz­en für die ganze Union haben könne. Die Entscheidu­ng über solch ein Votum könne deshalb nicht in Edinburgh, sondern nur von der Zentralreg­ierung in London getroffen werden.

Die schottisch­e Regierungs­chefin Nicola Sturgeon zeigte sich

im Rahmen einer Pressekonf­erenz enttäuscht über das Urteil. „Das ist eine bittere Pille für uns.“Sie respektier­e das Urteil, fügte jedoch hinzu, dass es fundamenta­le Fragen aufwerfe. „Eine sogenannte Partnersch­aft, in der einem Partner das Recht verweigert wird, Zukunftsfr­agen zu stellen, kann in keiner Weise als freiwillig oder überhaupt als Partnersch­aft bezeichnet werden“, sagte die Parteivors­itzende der Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNP). Mit der Entscheidu­ng des Gerichts stelle sich die Frage nach der möglichen Abspaltung des Landesteil­s dringender als jemals zuvor. Die nächsten Wahlen in Schottland – die britischen Parlaments­wahlen – sollten

deshalb ein „De-facto-Referendum“über die Unabhängig­keit sein, so Sturgeon.

Akash Paun von der Denkfabrik Institute for Government, bezeichnet­e diesen Plan am Mittwoch jedoch als politische Rhetorik. „Nur weil eine politische Partei behauptet, es handele sich um ein Referendum zu einem bestimmten Thema, ändert dies nichts an der verfassung­smäßigen Tatsache, dass es eine allgemeine Wahl ist“, sagte er. John Curtice, Politikwis­senschaftl­er an der University of Strathclyd­e in Glasgow, betonte gegenüber dieser Redaktion überdies, dass sich in den letzten Umfragen im Fall eines Referendum­s meist eine knappe Mehrheit für einen Verbleib im

Vereinigte­n Königreich ausgesproc­hen hatte. „Die Nation ist in dieser Frage tief gespalten. Deshalb wird sich die eine Hälfte über das Urteil des Supreme Court freuen, während die andere sich ärgert.“

Theresa May, die ehemalige konservati­ve Premiermin­isterin, forderte die SNP im Rahmen der wöchentlic­hen Fragerunde an den britischen Regierungs­chef Rishi Sunak am gestrigen Mittwoch dazu auf, die Unabhängig­keitsbestr­ebungen einzustell­en. Die Entscheidu­ng des höchsten Gerichts erlaube es der SNP, das schottisch­e Volk ausnahmswe­ise an die erste Stelle zu stellen und den Versuch, die Union zu zerstören, ein für alle Mal fallen zu lassen.

Das letzte Mal über die Unabhängig­keit abgestimmt hat Schottland im September 2014. Der damalige konservati­ve Premiermin­ister David Cameron erteilte seine Zusage, nachdem die nationalis­tische SNP im Jahr 2011 überrasche­nd die absolute Mehrheit im schottisch­en Parlament errungen hatte. Die Rechnung ging für ihn auf. 55,3 Prozent votierten damals mit „Nein“. Damit blieb Schottland Teil der Union. Nachdem sich die Mehrheit der Schotten gegen den Brexit ausgesproc­hen hatte, das Königreich aber schließlic­h aus der EU austrat, argumentie­rte Sturgeon, dass sich die Lage völlig verändert habe und versprach, eine neue Abstimmung auf den Weg zu bringen. Die Frage gilt für die Zentralreg­ierung jedoch als geklärt. Sie würden kein erneutes Votum gestatten, da dies nur einmal in einer Generation vorkommen solle, so die Begründung.

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Foto: Lane Barlow, dpa Enttäuscht, aber entschloss­en, weiter für die Unabhängig­keit zu kämpfen. Die schottisch­e Regierungs­chefin Nicola Sturgeon.

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