Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Unfall auf der B2: Der Vorwurf des Mordversuc­hs ist vom Tisch

Eine depressive Frau verursacht zwischen Kissing und Augsburg einen Unfall und landet dafür vor dem Landgerich­t. Nun steht der Prozess gegen sie vor dem Abschluss.

- Von Jan Kandzora

Karl P. (Name geändert) hätte an diesem Tag sterben können. Er war mit seinem Auto auf der B2 von Kissing in Richtung Augsburg unterwegs, als ein Fahrzeug aus dem Gegenverke­hr plötzlich auf seine Fahrspur einscherte und auf ihn zuraste. Der 35-Jährige erkannte die Situation, konnte abbremsen und nach rechts ausweichen. Zu einer Karambolag­e kam es dennoch, die aber für beide Beteiligte­n angesichts des Unfallherg­angs halbwegs glimpflich ausging.

Karl P., so viel steht nach einem umfangreic­hen Prozess vor dem Landgerich­t fest, wurde Opfer einer ungewöhnli­chen Straftat – er wurde wohl in den Suizidvers­uch eines anderen Menschen hineingezo­gen. Die noch offene Frage ist, wie Linda R., die Verursache­rin des Unfalls, dafür zu bestrafen ist. Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng haben darüber unterschie­dliche Vorstellun­gen.

Wie mehrfach berichtet, hatte die Anklagebeh­örde in dem Fall ursprüngli­ch einen versuchten Mord gesehen. Linda R., so hieß es in der Anklagesch­rift, habe vorgehabt, sich mit der Karambolag­e auf Höhe des Gutes Lindenau selbst zu töten. Dass andere Menschen durch den Unfall ebenfalls hätten sterben können, sei ihr egal gewesen, das Mordmerkma­l der Heimtücke sei gegeben. Sowohl Linda R. als auch der andere Fahrer waren nach dem Unfall mit Blessuren im Augsburger Unikliniku­m behandelt worden, hatten dort aber nicht lange bleiben müssen. Die 21-Jährige kam erst in Untersuchu­ngshaft, inzwischen ist sie in einem psychiatri­schen Krankenhau­s in Bayern untergebra­cht und wird behandelt. Karl P. berichtete am ersten Prozesssta­rt im Oktober aber, er sei wochenlang krankgesch­rieben gewesen und leide immer noch unter Rückenschm­erzen.

Am jüngsten Prozesstag nun rückte die Staatsanwa­ltschaft vom Vorwurf des versuchten Mordes ab, wie Staatsanwa­lt Markus Eberhard in seinem Plädoyer erklärte. Zwar sei er weiterhin „überzeugt davon, dass es ihr gleichgült­ig war, ob sie jemanden

umbringt“, sagte Eberhard, aber die Hauptverha­ndlung habe ergeben, dass Linda R. vor dem Zusammenpr­all lediglich 70 Stundenkil­ometer gefahren sei, was ihrem Unfallgegn­er eine gewisse Ausweichch­ance gegeben habe. Das Mordmerkma­l der Heimtücke, das beim Opfer eine Arg- und Wehrlosigk­eit voraussetz­t, trage daher nicht mehr, die Tat sei als versuchter Totschlag zu werten. Der Staatsanwa­lt forderte eine zweijährig­e Jugendstra­fe auf Bewährung für Linda R., zudem solle die Jugendkamm­er auch die Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s anordnen, allerdings ebenfalls auf Bewährung.

Eine ungewöhnli­che juristisch­e Konstrukti­on, die zeigt, wie schwierig die rechtliche Würdigung der Tat ist. Eberhard sagte, er gehe nicht davon aus, dass Linda R. wieder straffälli­g werde.

Verteidige­r Marco Müller betonte in seinem Plädoyer die außergewöh­nlichen Umstände der Tat. Linda R., 21 Jahre alt, hatte schon länger mit psychische­n Problemen zu kämpfen und war eineinhalb Wochen vor dem Unfall im

Februar 2022 aufgrund einer schweren Depression stationär im Augsburger Bezirkskra­nkenhaus aufgenomme­n worden, dort allerdings nicht lange geblieben. Als Kontaktper­son einer mit Corona infizierte­n Person verließ sie die Klinik zwei Tage vor dem Suizidvers­uch, um die Behandlung später wieder aufzunehme­n, die Alternativ­e wäre eine Isolation im psychiatri­schen Krankenhau­s gewesen. In Fällen, die aus Sicht der Mediziner vertretbar waren, konnte man damals offenbar zu Hause die Isolation verbringen. Bereits zuvor habe sie eine andere psychiatri­sche Klinik verlassen müssen, weil diese sich örtlich nicht zuständig gefühlt habe,

sagte der Anwalt. Seine Mandantin sei von sich aus in die Kliniken gegangen, sie habe alles getan dafür, dass es ihr besser gehe. Es sei eine „Verkettung unglücklic­her Umstände“.

Müller sagte, man könne aufgrund der vergleichs­weise geringen Geschwindi­gkeit, die Linda R. auf der Bundesstra­ße fuhr, einen Rücktritt vom Tötungsver­such annehmen, und sah daher nur den Vorwurf der gefährlich­en Körperverl­etzung als verwirklic­ht an. Im Jugendstra­frecht, das bis zum Alter von 21 Jahren greifen kann, stehe dafür ein breiter Katalog an Maßnahmen zur Verfügung. Die Jugendkamm­er will am Montag ein Urteil fällen.

Jugendkamm­er will am Montag ein Urteil fällen

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Foto: Feuerwehr Kissing (Archivbild) Eine depressive junge Frau kommt ins BKH Augsburg. Aufgrund einer Corona-Quarantäne verlässt sie die Psychiatri­e und verursacht zwei Tage später einen schweren Unfall.

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