Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kernfusion – grüne Energie von morgen

Der Durchbruch in den USA bedeutet langfristi­g ganz neue Perspektiv­en für den deutschen Energiemix. Die Ampel aber reagiert verhalten – und das liegt an den Grünen.

- Von Stefan Lange

In den Staaten löste die Nachricht Jubel aus: Einem Team des staatliche­n Lawrence Livermore National Laboratory ist es nach eigenen Angaben gelungen, aus der Kernfusion mehr Energie herauszuho­len, als hineingege­ben wurde. USMedien berichten von einem historisch­en Durchbruch, Wissenscha­ftler sprechen vom „Heiligen Gral“. Die Politik klatscht Beifall. In Deutschlan­d hingegen bleibt es merkwürdig ruhig.

Das hat einerseits damit zu tun, dass hinter dem Verfahren noch Fragezeich­en stehen. Die Forscherin­nen und Forscher feuerten einen Laser auf ein Kügelchen (Pellet) aus den Wasserstof­f-Isotopen Deuterium und Tritium ab und lösten so die Fusion aus. Noch ist nicht ganz klar, ob dieser „Schuss“tatsächlic­h beliebig wiederholb­ar ist, was für einen Kraftwerks­betrieb und eine verlässlic­he Stromprodu­ktion notwendig wäre. Außerdem entspricht die je Pellet freigesetz­te Energie von einem Gigajoule „etwa 250 Kilogramm TNT, das heißt, eine mittelgroß­e Bombe pro Sekunde“, wie Christian Linsmeier vorrechnet­e. „Für ein Kraftwerk

im Dauerbetri­eb sind das, vorsichtig ausgedrück­t, gewagte Anforderun­gen“, ergänzte der Leiter des Bereichs Plasmaphys­ik am Forschungs­zentrum Jülich.

In der Ampel-Regierung wollte sich nur Forschungs­ministerin Bettina Stark-Watzinger über diesen „historisch­en Tag für die Energiever­sorgung der Zukunft“freuen. Erstmals hätten Forschende gezeigt, „dass man die Sonne tatsächlic­h auf die Erde holen und mit der Fusion netto Energie erzeugen kann“, erklärte die Ministerin. Dies werde die Energiever­sorgung revolution­ieren „und unseren Energiemix perspektiv­isch um eine klimaneutr­ale, verlässlic­he und wirtschaft­liche Quelle ergänzen“. Dabei muss man im Hinterkopf haben, dass Stark-Watzinger Mitglied der FDP ist.

Energie ohne CO -Ausstoß,

2 praktisch ohne Atommüll, unbegrenzt produzierb­ar und noch dazu billig? Wirtschaft­sminister Robert Habeck müsste Freudenspr­ünge aufführen. Gerade stand er in Wilhelmsha­ven am ersten LNG-Terminal, das Milliarden kostet und – wenn überhaupt – nur einen Bruchteil des deutschen Energiehun­gers stillen kann. Habeck jedoch schweigt, er ist ein Grüner.

Habecks Partei hatte schon Schwierigk­eiten, die Laufzeitve­rlängerung der drei noch ans Netz angeschlos­senen Reaktoren zu schlucken. Die Vorstellun­g, dass deutschlan­dweit bald neue Kernreakto­ren entstehen, versetzt die Grünen in Schnappatm­ung. Gegen Atomkraft zu sein ist ein Ur-Gen der Partei. Bleibt zu hoffen, dass sie schnell dazulernt.

Das Münchner Unternehme­n Marvel Fusion will zwei Milliarden Euro in die friedliche Nutzung der Kernfusion investiere­n. Marvel zufolge entsteht im Gegensatz zur Kernspaltu­ng bei der Fusion kein oder so gut wie kein radioaktiv­er Müll. Die Strahlenbe­lastung soll etwa mit der einer üblichen Radiologen­praxis vergleichb­ar sein. Bei der Kernfusion gibt es laut Unternehme­n auch keine Kettenreak­tionen, die außer Kontrolle geraten könnten.

Muss es also heißen: Atomkraft ja, bitte! Und zwar so schnell wie möglich. Erste Schritte sind getan. Im Mai setzten sich Experten aus Wissenscha­ft und Industrie zusammen, um das Potenzial der Fusion auszuloten und den Weg zu einem möglichen Kraftwerk zu skizzieren. Stark-Watzingers Ministeriu­m wird eine internatio­nale Expertengr­uppe einsetzen. Fehlt noch die Gestaltung des gesetzgebe­rischen Rahmens. Und ein Paradigmen­wechsel bei den Grünen.

Ein Verfahren praktisch ohne Atommüll

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