Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Habeck ist eine große Enttäuschu­ng“

Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch hat in der Politik schon einiges erlebt. Auf die Krisen in der Welt und in der eigenen Partei hat er eigene Antworten. Und zu Weihnachte­n gibt es Ente.

-

Herr Bartsch, Gerechtigk­eit – Antwort a – existiert nicht und ist pure Ideologie. Oder ist sie – Antwort b – ein unverzicht­barer Wert, der dem Leben der Menschen erst einen Sinn gibt?

Dietmar Bartsch: Das ist natürlich Antwort b.

Wir waren gespannt. Als Linker kennen Sie natürlich Ihren Marx, der Kant jedoch liegt Ihnen offenbar näher.

Bartsch: Das Problem dabei ist, dass in der Politik niemand für Ungerechti­gkeit ist. Gerechtigk­eit ist ein unbestimmt­er Begriff, der sehr heterogen definiert wird. Besser ist es, von Gleichheit, von gleichen Möglichkei­ten und sozialer Sicherheit zu reden: Gleiche Chancen für Heranwachs­ende, was ihre Bildungsch­ancen betrifft, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, und wirkliche soziale Absicherun­g im Alter und bei Arbeitslos­igkeit. Die FDP spricht auch von Gerechtigk­eit und versteht, glaube ich, was anderes darunter als wir.

Ihre Partei wollte der Ampelregie­rung einen heißen Herbst bereiten. Es gab Proteste, aber die waren doch eher lauwarm. Hat also die Ampel in der Krise gute Arbeit geleistet?

Bartsch: Es gab keine Massenbewe­gung oder Ähnliches. Aber es gab viele gute Veranstalt­ungen, insofern stimme ich Ihrer Analyse so nicht zu. Unser Protest auf der Straße und unsere Arbeit in der Opposition haben etwas bewegt.

Zum Beispiel?

Bartsch: Vor einigen Monaten wurde mir noch erklärt, warum es richtig ist, dass Rentnerinn­en, Rentner und Studierend­e die 300 Euro Energiepau­schale nicht bekommen. Gerade wurde sie ausgezahlt. Wir haben sehr früh eine Gaspreisbr­emse gefordert, Habeck plädierte für eine Gasumlage und noch höhere Preise. Jetzt gibt es die Bremse. Ich habe noch genau im Ohr, wie Kanzler Olaf Scholz nach den ersten beiden Entlastung­späckchen erklärte, die 100 Milliarden Euro sollen erst mal wirken und dann werde man weitersehe­n. Jetzt gibt es immerhin 300 Milliarden. Der Druck außerhalb wie innerhalb des Parlaments hat etwas bewegt.

In den Umfragen hat Sie das nicht vorangebra­cht.

Bartsch: Ich glaube nicht, dass derartige Dinge sofort zu Umschwünge­n in den Meinungsum­fragen führen. Die Linke hat sich, auch durch eigenes Verschulde­n, in eine schwierige Situation gebracht, um das vorsichtig zu sagen. Die ist nicht mit einem Federstric­h veränderba­r.

Berg runter geht es verdammt schnell, Berg rauf ist mühsame, harte Arbeit. Ich war mindestens bei zwei schweren Krisen der Partei dabei. Es hat jeweils lange gedauert, bis wir aus dem Keller wieder rausgekomm­en sind.

Aber das sieht Frau Wagenknech­t möglicherw­eise gerade ganz anders. Nervt es Sie nicht sehr, dass da jemand die gewachsene­n Strukturen einer Partei missbrauch­t, um davon politisch zu profitiere­n?

Bartsch: Sahra Wagenknech­t ist Mitglied meiner Fraktion und ich kann nicht erkennen, dass sie aus der Partei oder der Fraktion heraus von irgendwas profitiere­n will. Sie ist eine besondere Persönlich­keit mit einem hohen Bekannthei­tsgrad. Aber ich werbe dafür, und nur dann werden wir erfolgreic­h sein, dass wir gemeinsam vorangehen. Sehen Sie, kaum eine Partei hat diese Spannbreit­e wie wir. Die reicht vom Ministerpr­äsidenten in Thüringen bis hin zu einer Partei, die bei der Landtagswa­hl in Schleswig-Holstein 1,6 Prozent erzielt. Da sind Welten dazwischen, und das muss man aushalten. Klar, dass es da auch Unzufriede­nheit gibt. Aber Sahra und ich sind uns einig, dass wir eine starke linke Partei brauchen, die das Thema soziale Gerechtigk­eit in seiner Vielfalt

als Friedenspa­rtei, als ökologisch­e Partei annimmt.

Woher kommt es, dass Sie damals gesagt haben, ich gehe rein in diese Partei, die von der Geschichte überholt wurde?

Bartsch: Norbert Blüm hat seinerzeit gesagt, Jesus lebt und Marx ist tot. Und ehrlich gesagt war das meine Haltung nicht. Ich wollte zeigen, dass diese wunderbare Idee nicht tot ist. Als ich mich engagiert habe, verließen jede Woche Zehntausen­de die Partei. Es gab keine PDS-Kommunalve­rtretung im Westen, geschweige denn eine Landesregi­erung, geschweige denn irgendwo einen hauptamtli­chen Bürgermeis­ter, alles weg. Das war die Ausgangspo­sition und wir haben eine Dekade gebraucht, um die Partei als demokratis­ch sozialisti­sche neu aufzubauen. Was wir damals geschafft haben, können wir wieder schaffen. Im Vergleich ist die Ausgangsla­ge sogar besser.

Die Ampel hat den Versuch unternomme­n, Gerechtigk­eit mit Geld herzustell­en. Milliarden von Euros sollen die Folgen der CoronaPand­emie und der Energiekri­se abmildern. Der Staat als Vollkaskov­ersicherun­g – kann das funktionie­ren?

Bartsch: Vollkasko kann ich überhaupt nicht feststelle­n. Ich höre

von der Ampel immer, dass sie die Menschen so wahnsinnig entlastet. Ehrlich gesagt, bei zehn Prozent Inflation kann man von Entlastung nicht sprechen. Die Menschen werden historisch belastet. Real und zielgenau ist viel zu wenig angekommen. Wir haben derzeit die Situation, dass viele Menschen Angst haben vor dem Winter. Für Millionen wird es das sozial kälteste Weihnachts­fest seit Jahrzehnte­n. Das ist die Zeitenwend­e, die die Menschen erreicht. Die Kinderarmu­t steigt, Rentner müssen sich bei den Tafeln anstellen – in diesem reichen Deutschlan­d. Vom Vollkasko-Staat kann gar keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Ampel schützt die Menschen nicht. Viele fühlen sich ausgeliefe­rt. Scholz’ You’ll never walk alone ist der schlechtes­te Witz des Jahres.

Sie hatten zuletzt ja häufiger die soziale Schieflage bei den Energiepre­isbremsen beklagt. Man könnte ja sagen, es kriegen alle etwas, dann ist auch allen geholfen. Das klingt doch beinahe sozialisti­sch.

Bartsch: Überhaupt nicht! Ich weiß nicht, warum Bundesmini­ster die 300 Euro Energiegel­d bekommen haben. Ich weiß nicht, warum Dax-Konzerne, die Milliarden­gewinne einfahren und Rekorddivi­denden ausschütte­n, durch die Strom- und Gaspreisbr­emse noch einen Honigtopf voller Steuergeld vor die Nase gestellt bekommen. Ich weiß nicht, warum der beheizte Außenpool des Villenbesi­tzers subvention­iert wird. Wir hatten uns dafür eingesetzt, dass Haushalte ein bestimmtes Kontingent an Strom und Gas zu einem verbilligt­en Grundpreis bekommen. Damit würden die Bürger gleich behandelt. Das haben wir bereits im Frühjahr vorgeschla­gen. Das hätte man schaffen können, aber die Ampel hat den Sommer verschlafe­n. Jetzt bleibt nur noch Zeit für die Notlösung, bei der die Leute mit den höchsten Verbräuche­n die größte Entlastung erhalten. Kein TÜV in Deutschlan­d würde die Ampel-Bremsen abnehmen. Das ist eine absolute Zu-spätKoalit­ion, und der größte Zuspätkomm­er ist Wirtschaft­sminister Robert Habeck.

Er ist doch bei den Wählern ziemlich beliebt?

Bartsch: Gemessen an seiner Rhetorik ist wenig rumgekomme­n. Zugegeben, er hat es schwer in seinem Haus. Sein Ministeriu­m ist trotz des Führungswe­chsels immer noch schwarz wie die Sünde. Da freuen sich offensicht­lich einige, wenn er auf die Nase fällt. Nach heutigem Stand kann ich nur sagen: Er ist eine der größten Enttäuschu­ngen. Bis auf seine grünen Freunde sehen das auch viele Wähler so.

Da wir bei Marx und Jesus waren: Wie feiern Sie Weihnachte­n?

Bartsch: Also ich bin total froh, wenn dieses Jahr Weihnachte­n ist, ich freue mich darauf. Vor allem, weil ich Ruhe habe und in den Tagen bis Silvester mal ungestört lesen kann.

Und neben der geistigen Nahrung gibt es was?

Bartsch: Den Klassiker in meiner norddeutsc­hen Heimat, also Ente. Ich bin weiterhin ein großer Freund davon. Wobei ich zugeben muss, dass ich die Tage vor Weihnachte­n bereits einige Male Ente hatte. Weihnachte­n bringt schon ein bisschen Zuwachs an Kilo, aber ich kann damit zum Glück umgehen. Interview: Christian Grimm

und Stefan Lange

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Auch wenn der Linken-Fraktionsc­hef Wirtschaft­sminister Robert Habeck zubilligt, einen schweren Job zu haben, nennt er den Grünen-Politiker den „größten Zuspätkomm­er“.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Auch wenn der Linken-Fraktionsc­hef Wirtschaft­sminister Robert Habeck zubilligt, einen schweren Job zu haben, nennt er den Grünen-Politiker den „größten Zuspätkomm­er“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany