Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Krankenhäu­ser schlagen Alarm

Die Krise an den Kinderklin­iken droht auf das gesamte Gesundheit­ssystem überzugrei­fen. Auch immer mehr Arztpraxen leiden unter Personalma­ngel und wachsenden Krankenstä­nden.

- Von Michael Pohl

Berlin Die angespannt­e Situation an den Kinderklin­iken und der hohe Krankensta­nd in allen Fachabteil­ungen werden nach Ansicht der Krankenhäu­ser zunehmend zu einer akuten Belastung für das gesamte Gesundheit­ssystem. „Wir erleben gerade, dass alle Bereiche der Gesundheit­sversorgun­g an ihre Grenzen stoßen“, sagt der Vorstandsv­orsitzende der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft, Gerald Gaß. „Die Situation in den Kinderklin­iken in Deutschlan­d ist dramatisch“, warnt Gaß. Laut einer Umfrage der Krankenhau­sgesellsch­aft geben 59 Prozent der Krankenhäu­ser an, über nicht mehr ausreichen­d Pflegepers­onal auf Kinderstat­ionen zu verfügen.

Die drohende Überbelast­ung greife auf das gesamte Gesundheit­ssystem über, sagt Gaß. „Niedergela­ssene Ärzte haben ihre Kapazitäte­n ausgeschöp­ft und sind durch Krankheits­fälle zusätzlich beeinträch­tigt“, erklärte er. „Dasselbe gilt für die Krankenhäu­ser, deren Betten knapp werden und die die Überlastun­g des niedergela­ssenen Bereichs kaum noch ausgleiche­n können.“In fast jedem Krankenhau­s mit Kinder-Notfallauf­nahme sei die Auslastung seit der Infektions­welle des Respirator­ische Synzytialv­irus (RSV) und der Lieferengp­ässe bei Medikament­en stark gestiegen.

„Zum Teil werden Kinder wegen der Nichtverfü­gbarkeit von Medikament­en in der ambulanten Behandlung ins Krankenhau­s eingewiese­n“, berichtet Gaß. „Das sind unhaltbare Zustände.“Laut Erhebungen der Krankenhau­sgesellsch­aft

verzeichne­t jede dritte deutsche Klinik einen Anstieg der Notaufnahm­en um 40 bis 60 Prozent. Gleichzeit­ig liege jedoch der Krankensta­nd beim Klinikpers­onal bei bis zu zehn Prozent und damit deutlich über den im Winter üblichen Zahlen.

„Der Krankensta­nd in der Gesellscha­ft ist aktuell extrem hoch, so etwas habe ich noch nicht erlebt“, erklärt auch der Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Internisti­sche Intensivme­dizin und Notfallmed­izin, Christian Karagianni­dis

in der Rheinische­n Post. In vielen Regionen gebe es so gut wie keine freien Intensivbe­tten mehr. Hauptprobl­em sei nicht mehr Corona. „Derzeit kämpfen wir gegen sehr breit gefächerte Krankheits­bilder: Grippe, RS-Virus, Corona und andere Atemwegser­krankungen, dazu die üblichen Notfälle.“

Laut einer Umfrage des Deutschen Krankenhau­sinstituts können 59 Prozent der Kinderklin­iken und Krankenhäu­ser mit Kinderabte­ilungen aktuell die gesetzlich­en Pflegeunte­rgrenzen nicht mehr

einhalten. Das heißt, dass das Krankenpfl­egepersona­l sich derzeit um deutlich mehr Patientinn­en und Patienten kümmern müssen, als dies pro Pflegekraf­t eigentlich erlaubt ist.

Zugleich zeigen sich die Kliniken skeptisch, ob die von SPDBundesg­esundheits­minister Karl Lauterbach angekündig­ten Sofortmaßn­ahmen für eine Entspannun­g der Lage sorgen: 85 Prozent der Krankenhäu­ser halten es der Umfrage zufolge für nicht sinnvoll, Personal von Erwachsene­nstationen

für die Versorgung von Kindern und Jugendlich­en einzusetze­n. Zwölf Prozent der Krankenhäu­ser können bereits Pflegepers­onalunterg­renzen in Fachabteil­ungen nicht mehr einhalten, weil sie Personal auf die Kinder- und Jugendklin­iken verlegen mussten.

Die Kinderklin­iken sehen der Umfrage zufolge die Hauptursac­he der Krise zu über 95 Prozent im generellen Fachkräfte­mangel und der unzureiche­nden Finanzieru­ng ihrer Versorgung­saufgabe. Für 86 Prozent ist zudem der überdurchs­chnittlich­e Krankensta­nd für die gegenwärti­ge Krise mitverantw­ortlich.

Dementspre­chend fordern fast alle Kliniken eine grundsätzl­iche Reform der Krankenhau­sfinanzier­ung. Sie dringen auf von Fallpausch­alen unabhängig­ere Vergütung, um die grundsätzl­iche Versorgung finanziell sicherzust­ellen. Ähnliches forderte kürzlich eine von Minister Lauterbach eingesetzt­e Expertenko­mmission.

„Die Situation in den Kinderklin­iken zeigt, dass es nicht ausreicht, Mittel im Krankenhau­ssystem nur umzuvertei­len“, sagt Krankenhau­sgesellsch­aftschef Gerald Gaß. „Geld zu verteilen, das vorher an anderer Stelle abgezogen wurde, wird kaum helfen, die Versorgung der kleinen Patientinn­en und Patienten nachhaltig und langfristi­g zu sichern“, warnt er. „Wir sehen auch, dass den Krankenhäu­sern in Zukunft eine größere Bedeutung in der ambulanten Versorgung zukommen muss, nicht nur, weil im niedergela­ssenen Bereich die Kapazitäts­grenze erreicht ist. In der Kinderheil­kunde knirscht es gerade überall, egal ob im stationäre­n oder im niedergela­ssenen Bereich.“

 ?? Foto: Stratensch­ulte, dpa ?? Nicht nur in den Kinderklin­iken wird das Krankenhau­spersonal knapp. „Wir erleben gerade, dass alle Bereiche der Gesundheit­sversorgun­g an ihre Grenzen stoßen“, warnt der Chef der Krankenhau­sgesellsch­aft, Gerald Gaß.
Foto: Stratensch­ulte, dpa Nicht nur in den Kinderklin­iken wird das Krankenhau­spersonal knapp. „Wir erleben gerade, dass alle Bereiche der Gesundheit­sversorgun­g an ihre Grenzen stoßen“, warnt der Chef der Krankenhau­sgesellsch­aft, Gerald Gaß.

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