Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kontrollie­rtes Trinken als Alternativ­e?

Alkoholsuc­ht ist ein weitverbre­itetes großes Problem. Eine Studie will neue Wege in der Suchtmediz­in versuchen. Denn viele Patientinn­en und Patienten schaffen die völlige Abstinenz nicht. Es gibt allerdings Bedenken.

- Von Markus Bär

Kaufbeuren Alkohol ist bekanntlic­h die Volksdroge Nummer 1. Nicht nur bei uns in Bayern, auch in ganz Deutschlan­d. 1,6 Millionen seiner rund 82 Millionen Einwohner sind alkoholabh­ängig, 6,7 Millionen trinken so viel, dass man von einem schädliche­n Konsum sprechen muss. Ein Ziel der Suchtmediz­in ist es darum stets gewesen, Alkoholism­us in den Griff zu kriegen, am besten ist dabei aus gesundheit­licher Sicht natürlich Abstinenz. Diese galt und gilt zumindest für abhängige Alkoholkra­nke als alternativ­los. Doch nun verweist eine von der Bundesregi­erung bezuschuss­te Studie darauf, dass auch so genanntes „kontrollie­rtes Trinken“ein Behandlung­sziel sein könnte. Nach dem Motto: Lieber deutlich weniger trinken – als immer wieder zu versuchen, gar nichts zu trinken und damit aber, was ja häufig vorkommt, zu scheitern. Doch dies wird kritisch gesehen – auch von Betroffene­n.

„Ich habe es immer wieder probiert, einfach weniger zu trinken – es klappt auf keinen Fall“, sagt eine 59-Jährige unserer Redaktion. Die Augsburger­in befindet sich zurzeit in Behandlung in der Fachabteil­ung für Suchtmediz­in des Bezirkskra­nkenhauses Kaufbeuren. Sie geht sehr offen mit ihrer Erkrankung um. „In meinen ‚besten‘ Zeiten habe ich zwei bis drei Flaschen Wodka am Tag getrunken.“Das schaffe sie inzwischen nicht mehr, aber „eine Flasche stecke ich immer noch weg“. Was sie gar nicht will. Denn sie weiß, wie sehr der Alkohol ihrem Körper zusetzt. „Ich habe dann versucht, mit einem einzigen Flachmann am Abend auszukomme­n – halt wirklich mit einem einzigen.“Aber das funktionie­re nicht. „Dann kommt das Wochenende und ich trinke mehr als einen. Und schon geht die Spirale von vorne los. Und binnen einem bis zwei Tagen sind alle Fortschrit­te dahin.“Sie würde sich wünschen, dass kontrollie­rtes Trinken ein Weg für sie sei. „Aber ich kenne niemandem, bei dem das geklappt hat.“

Das bestätigt auch ein Mitpatient: „Ich habe schon zwei Langzeitth­erapien hinter mir“, so der 42-Jährige aus dem Ostallgäu. „Auch ich habe versucht, kontrollie­rt zu trinken.“Etwa mit zwei Bier am Tag. „Das hat dann vielleicht eine Woche lang geklappt.“Doch das Problem bei der Alkoholkra­nkheit ist: An der Stelle, an der Nicht-Erkrankte aufhören zu trinken, geht es für den Betroffene­n immer weiter. Die Dosis muss gesteigert werden. Das ist die sogenannte Toleranzen­twicklung. Eines der zentralen Kennzeiche­n der Alkoholkra­nkheit. „Nach kurzer Zeit geht die Menge dann wieder rauf – bei mir bis hin zu 17 Halben am Tag.“Und: „Da kommt man dann von allein nicht mehr heraus.“Er habe immer wieder erlebt, dass er über Wochen mit einem Alkoholblu­twert von zwei bis drei Promille den Tag bestreiten könne. Das sei für ihn aber kein Ziel. „Schlussend­lich merke ich, dass es mir ohne Alkohol viel besser geht.“Da will er hin. Natürlich wäre es gut, er könnte es machen wie seine Eltern, die mal ein Glas Wein trinken und dann sei es gut. „Doch bei mir geht das nicht. Bei mir funktionie­rt nur Abstinenz.“Warum viele Menschen Alkohol konsumiere­n können, ohne dass sich eine Alkoholkra­nkheit entwickelt – und warum das bei anderen nicht funktionie­rt, ist von biologisch­en, psychische­n und sozialen Faktoren und Umständen des jeweiligen Individuum­s abhängig, erläutert Friedrich Larsen, Oberarzt der Suchtabtei­lung des Bezirkskra­nkenhauses Kaufbeuren. „Das Thema kontrollie­rtes Trinken taucht alle paar Jahre wieder auf wie ein Strohfeuer“, sagt der 43-Jährige, der seit zwölf Jahren im

BKH Kaufbeuren tätig ist. Er ist – wie die Patientin und der Patient seiner Abteilung – ebenfalls davon überzeugt, dass das nicht klappt. „Wenn ich hier bei uns auf einmal kontrollie­rtes Trinken als Alternativ­e anbieten würde, würde das erhebliche­n Suchtdruck bei den Patienten befördern – und Rückfälle auslösen. Es würde ihnen den Boden unter den Füßen wegziehen.“

Zwar gebe es durchaus Aspekte des Konzepts „kontrollie­rtes Trinken“, die aufhorchen lassen. Wer versuche, ganz ohne Alkohol auszukomme­n, erleidet häufig Rückfälle. Und erlebt diese oftmals als persönlich­e Niederlage. „Auch darum geht die Alkoholkra­nkheit oft mit Depression­en einher.“Doch Friedrich Larsen sieht die Rückfallmö­glichkeit beim kontrollie­rten Trinken ebenfalls als sehr groß an. Denn immer wieder droht der

Kontrollve­rlust, der aufgrund der Toleranzen­twicklung, also das Gewöhnen an die Substanz, zum Konsum erhebliche­r Trinkmenge­n führen kann. Mit dem Ergebnis: Auch beim kontrollie­rten Trinken vergrößert sich die Trinkmenge immer wieder rasch. Er folge darum der Empfehlung der medizinisc­hen Fachgesell­schaften sowie der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO. Und die besagt: Das Ziel ist völlige Abstinenz.

Doch wann spricht man überhaupt von einer Alkoholkra­nkheit? Zu den Kennzeiche­n gehören ein starkes Verlangen nach Alkohol, eine vermindert­e Kontrolle des Konsums, obwohl oft der Wunsch danach da ist, körperlich­e Entzugsers­cheinungen bei Konsumstop­p, eine Steigerung der Toleranzgr­enze, eine Einengung des Denkens auf Alkohol sowie anhaltende­r Konsum trotz gesundheit­licher und sozialer Folgeschäd­en.

Die Autoren der eingangs genannten Studie, bei der 22 bereits durchgefüh­rte Studien zum kontrollie­rten Trinken analysiert wurden, verweisen trotz der Kritik auf die Vorteile des Konzepts. „Natürlich ist die Abstinenz schon allein wegen der geringeren gesundheit­lichen Folgeschäd­en ein vorteilhaf­tes Therapiezi­el“, sagt Projektlei­ter Professor Christophe­r Baethge von der Uniklinik Köln. Der Psychiater gibt aber zu bedenken, dass dies für viele Betroffene ein unerreichb­ares Ziel ist oder eine Hürde, an der sie womöglich bereits mehrfach gescheiter­t sind. Ein großer Anteil der Patientinn­en und Patienten traue sich das Konzept des reduzierte­n Trinkens eher zu als eine strikte Abstinenz. „Interessan­terweise entscheide­t sich ein Teil der Betroffene­n im Therapieve­rlauf noch für das jeweils andere Therapiezi­el. So entschloss sich ein Drittel derjenigen, die zunächst das Ziel ,kontrollie­rtes Trinken‘ gewählt hatten, im Verlauf der Behandlung für das Ziel Abstinenz – das entkräftet einen wichtigen Kritikpunk­t gegen das kontrollie­rte Trinken“, erklärt Baethge.

Doch was heißt nun das überhaupt genau „kontrollie­rtes Trinken“? „Wir orientiere­n uns dabei an Vorgaben der Weltgesund­heitsorgan­isation“, sagt Studienaut­or Dr. Jonathan Henssler von der Charité in Berlin. Diese habe die empfohlene­n unschädlic­hen Trinkmenge­n immer weiter reduziert. Die Empfehlung besagt: beim Mann fünf „Standardei­nheiten“pro Woche und bei einer Frau vier. Eine Standardei­nheit sind hier 0,25 Liter Bier oder 0,1 Liter Wein. Hierbei könne gewährleis­tet werden, dass der Alkoholkon­sum als nicht schädlich gelten könne. Wobei den Studienaut­oren klar sei, dass viele Menschen deutlich mehr trinken. Und viele von ihnen trotzdem nicht unbedingt als alkoholkra­nk gelten müssen.

Im nächsten Schritt will das Forschungs­team um Baethge und Henssler seine Erkenntnis­se gezielt verbreiten und diskutiere­n – mit Ärzten, Psychother­apeuten, mit alkoholabh­ängigen Menschen und ihren Interessen­vertretung­en, die einen Ausweg aus der Krankheit suchen. Auf Fachkongre­ssen, so der Vorschlag von Baethge, sollte man gemeinsam Ideen entwickeln, wie Alkoholabh­ängigkeit künftig erfolgreic­her therapiert werden kann.

Die Alkoholkra­nkheit geht oft mit Depression­en einher

 ?? Foto: Alexander Heinl, dpa ?? Alkoholsuc­ht ist eine schwere Erkrankung, die nicht nur die Betroffene­n selbst stark belastet, sondern auch ihre Angehörige­n. Mediziner suchen daher nach erfolgreic­hen Therapien.
Foto: Alexander Heinl, dpa Alkoholsuc­ht ist eine schwere Erkrankung, die nicht nur die Betroffene­n selbst stark belastet, sondern auch ihre Angehörige­n. Mediziner suchen daher nach erfolgreic­hen Therapien.

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