Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wunden verheilen, Narben bleiben“

Der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer blickt mit 81 Jahren zurück auf sein Leben. Familie und Freunde gaben ihm in schwierige­n Zeiten nach der Korruption­saffäre Halt. Der Manager erinnert sich auch an ein Abendessen in seinem Haus mit Schröder und

- Interview am Montag Interview: Stefan Stahl

Herr von Pierer, Sie haben in der Siemens-Korruption­saffäre in Griechenla­nd einen „Freispruch erster Klasse“bekommen, wie Sie betonen. Können Sie mit der Sache abschließe­n? Im Zuge des Skandals um dubiose Zahlungen von 1,3 Milliarden Euro hatten Sie als Aufsichtsr­atsChef des Konzerns abgedankt.

Heinrich von Pierer: Ja, ich habe politische Verantwort­ung übernommen, aber keine rechtliche. Das Verfahren in Griechenla­nd dauerte noch einmal acht Jahre. Das war ein ewiges Auf und Ab. Die Staatsanwa­ltschaft hatte schon einmal Freispruch für mich beantragt.

Dann gab es eine böse Überraschu­ng.

Pierer: Plötzlich verurteilt­e mich das Gericht in Athen völlig überrasche­nd, abweichend vom Antrag der Staatsanwa­ltschaft und nicht nachvollzi­ehbar zur Maximalstr­afe von 15 Jahren Gefängnis. Ich bin dann 2019 in Berufung gegangen. Nun erlebte ich einen fairen Prozess, der wirklich in einen Freispruch erster Klasse mündete. Wenn ich all die Jahre zusammenzä­hle, musste ich mich rund 16 Jahre Vorwürfen erwehren. Gegen mich fand lange ein Kesseltrei­ben statt. Das war vor allem für meine Familie eine enorme Belastung.

Wie sehr hat Sie das persönlich belastet? Pierer: Ich habe das alles auch dank der Unterstütz­ung meiner Familie und guter Freunde ganz gut verkraftet. Für mich ist die Sache nun beendet.

Wirklich ganz beendet?

Pierer: Wunden verheilen, Narben bleiben. Ich kann nicht alles vergessen. Aber es belastet mich nicht mehr. Ich bin weder in Deutschlan­d, in Griechenla­nd noch sonst wo wegen der Korruption­saffäre verurteilt worden.

Aber Sie haben an Siemens fünf Millionen Euro Schadeners­atz gezahlt.

Pierer: Meine Frau und mein Bruder, der Anwalt war, haben mir damals geraten, einen Schlussstr­ich zu ziehen. Manchmal befindet man sich eben in einer Situation, in der sich die Dinge nicht so verhalten, wie man es mag.

Was wäre passiert, wenn Sie weitergekä­mpft

und dem Druck von Siemens nicht nachgegebe­n hätten?

Pierer: Dann hätte ich mindestens zehn Jahre oder länger einen Prozess gegen ein auch finanziell potentes und damals zum rigiden Vorgehen entschloss­enes Unternehme­n führen müssen. Es war also eine Frage der Klugheit, den Streit im Wege eines Vergleichs ausdrückli­ch ohne Anerkennun­g einer Schadeners­atzpflicht beizulegen. Ich wollte nicht wie Michael Kohlhaas in der Novelle von Heinrich von Kleist mit dem Kopf durch die Wand gehen.

Bei Kohlhaas endete das ja böse.

Pierer: Ich bin kein Kohlhaas. Ich habe die absolut richtige Entscheidu­ng getroffen, die mir danach ein ruhiges Leben beschert hat. Ich konnte ein Beratungsu­nternehmen aufziehen, halte seit über 15 Jahren an der Universitä­t Erlangen-Nürnberg ein Seminar für gute Unternehme­nsführung, nehme Beirats- und Aufsichtsr­atsmandate wahr. Bis vor kurzem saß ich im Verwaltung­sbeirat des FC Bayern, aus dem ich aus Altersgrün­den ausgeschie­den bin. Das wäre alles so nicht möglich gewesen, wenn ich weiter gegen Siemens gekämpft hätte und es ständig zu neuen öffentlich­en Angriffen gekommen wäre. Siemens war damals nicht gerade zimperlich. Bestimmte Medien, keineswegs alle, auch nicht.

Wie sind Sie eigentlich zu Siemens gekommen?

Pierer: Ich wäre beinahe Notar geworden. Ich bin dann aber durch einen Zufall bei Siemens gelandet, nachdem ein beeindruck­ender Siemens-Mann am großen Standort in Erlangen mich überzeugt hat, in die Rechtsabte­ilung als Jurist einzutrete­n. Nun hatte ich viel Glück. Denn in unserer Abteilung landeten große Projekte wie der Bau zweier Kernkraftw­erke im Iran. Das war einer der größten Aufträge in der Siemens-Geschichte. Die Verhandlun­gen verliefen schwierig. Ich habe als junger Mann damals viel gelernt von meinem Partner auf der technische­n Seite, aber auch von den Persern. Mit der persischen Revolution waren die Gespräche plötzlich beendet.

So fing ein zäher Rechtsstre­it an.

Pierer: Die Lage wurde 1979 dramatisch. Der Telefonkon­takt riss ab und wir hatten 3000 Menschen auf der Baustelle der Kraftwerke in Buschehr am Persischen Golf. Es ging um das Wohl unserer Beschäftig­ten. So wurde mein Kontakt zum Vorstand der Siemens-Kraftwerks-Tochter immer enger. Das war die Grundlage für meine spätere Karriere bei Siemens. Ein ewiger Rechtsstre­it entfaltete sich zwischen dem Iran und Siemens, der erst 2004 durch ein Schiedsver­fahren beigelegt werden konnte. Der Iran hatte uns zwischenze­itlich auf Schadeners­atz über 15 Milliarden D-Mark verklagt, weil wir das Projekt nicht weitergefü­hrt haben. Am Ende haben wir gewonnen.

Ist es richtig, dass Deutschlan­d aus der Atomkraft aussteigt?

Pierer: Es ist falsch, dass Deutschlan­d aus der Kernenergi­e aussteigt. In Europa gibt es etwa 150 Kernkraftw­erke. Keines davon verfügt über den Standard wie die drei noch verblieben­en deutschen Kernkraftw­erke, die wir jetzt abstellen. Diese drei Kernkraftw­erke entspreche­n der hohen deutschen Sicherheit­stechnik und Qualität. Ich habe einst die kaufmännis­che Abrechnung für die drei Kernkraftw­erke gemacht. Sie sind alle absolut betriebsfä­hig. Das Abstellen der drei herausrage­nden Kernkraftw­erke ist in einer Notsituati­on wie dieser verantwort­ungslos.

Suchen Politiker denn noch Ihren Rat? Sie waren einst Berater von Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel.

Pierer: Nein, aus dem politische­n Beratungsg­eschäft bin ich raus. Das müssen Jüngere, voll im Leben Stehende übernehmen. Zu Frau Merkel hatte ich die letzten Jahre keinen Kontakt mehr, aber gelegentli­ch noch zu Gerhard Schröder.

Warum hält der Kontakt zu Schröder so lange an?

Pierer: Auch weil wir lange miteinande­r Tennis gespielt haben.

Schröder hat hier eine spezielle Technik.

Pierer: Herr Schröder war ein engagierte­r Tennisspie­ler. Für mich ist Schröder einer der typischen Fußballspi­eler, die später mit einigem Talent anfangen, Tennis zu spielen, wenn ihre Fußballkar­riere zu Ende geht. Schröder war ganz beweglich und stand eben gerne bei Doppel-Spielen knapp hinter dem Netz, um sich so missglückt­e Return-Bälle zu fischen und zu versenken. Wir haben schöne Doppel zusammen erlebt.

Haben Sie Schröder wegen seiner Russland-Nähe ins Gewissen geredet?

Pierer: Das kann ich gar nicht. Das sollen andere Leute machen. Ich glaube nicht, dass er mir zuhören würde.

Wie sehr blutet Ihnen beim Thema „Russland“das Herz? Siemens musste sich aus dem wichtigen Markt zurückzieh­en.

Pierer: Ich habe Putin einst auf Vermittlun­g von Gerhard Schröder kennengele­rnt. Das ist 20 Jahre her. Wir haben damals einen Vertrag über ICE-Züge für Russland verhandelt. Ich bedauere es sehr, dass sich Siemens aus Russland zurückzieh­en muss. Aber der Vorstand hatte keine Wahl. Er musste es tun.

Apropos Schröder: Er war Gast des Erlanger Friedens-Abendessen­s in Ihrem Haus.

Pierer: Die Gäste waren der damalige Kanzler Schröder und der einstige bayerische Ministerpr­äsident Stoiber. Die beiden waren nach der Bundestags­wahl über Kreuz. Ich konnte mit Schröder und mit Stoiber gleicherma­ßen gut. Beide wollten unabhängig voneinande­r wieder zu einer vernünftig­en Arbeitsebe­ne zusammenfi­nden. Dann sagte ich zu ihnen: Ich kann euch nach Erlangen zu mir einladen.

Schröder und Stoiber sind gekommen.

Pierer: Das Abendessen fand dann ausgerechn­et am Geburtstag meiner Frau bei uns statt. Anders ging es nicht. Meine Frau stand in der Küche und hat für Schröder und Stoiber gekocht.

War das Essen ein Erfolg?

Pierer: Ich holte guten französisc­hen Rotwein aus dem Keller, den Schröder so gerne mag. Schröder und überrasche­nderweise auch Stoiber sprachen dem Rotwein kräftig zu und verbrüdert­en sich an diesem Abend. Ich wurde in die Diskussion kaum noch einbezogen, weil sich Schröder und Stoiber gegenseiti­g erklärt hatten, wie schwierig ihre Jugend war und wie komplizier­t sich ihr jeweiliger Aufstieg gestaltete. Am Ende waren sie wieder normale politische Freunde, ja, sie haben sich wieder respektier­t.

Manchmal ist es gut, sich auszusprec­hen.

„Es ist falsch, dass Deutschlan­d aus der Kernenergi­e aussteigt.“

Pierer: Schröder hat an diesem Abend Stoiber angeboten, die Präsidents­chaft der Europäisch­en Kommission in Brüssel zu übernehmen. Mit Jacques Chirac hatte er dieses Vorgehen schon abgesproch­en. Sie haben dann verabredet, unsere Runde fortzusetz­en. Als Nächstes wäre Edmund Stoiber mit einer Einladung dran gewesen. Dazu kam es nicht mehr. Das Essen hat jedenfalls seinen Zweck, zumindest einen Burgfriede­n herbeizufü­hren, erfüllt. Weder Schröder noch Stoiber wussten, dass meine Frau Geburtstag hatte.

Schröder soll den von Ihnen ausgesucht­en edlen Tropfen gerühmt haben.

Pierer (lacht): Schröder lobte den französisc­hen Rotwein, obwohl ich für meine fränkische Sparsamkei­t bekannt sei, wie er ironisch anmerkte. Dieser Abend war eine der lustigeren Veranstalt­ungen in meinem Leben. Stoiber hat übrigens nach längerer Bedenkzeit das Schröder’sche Angebot dann damals nicht angenommen.

Zur Person

Heinrich von Pierer, 81, fand 1969 zu Siemens. Von 1992 bis 2005 war er Vorsitzend­er des Vorstands des Konzerns. Danach wechselte er in den Aufsichtsr­at des Unternehme­ns, dessen Vorsitz der Manager bis 2007 innehatte. Im Zuge der Siemens-Korruption­saffäre legte von Pierer das Amt nieder.

 ?? ?? Der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer ist mit 81 Jahren immer noch sportlich unterwegs. Foto: von Pierer
Der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer ist mit 81 Jahren immer noch sportlich unterwegs. Foto: von Pierer

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