Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Verblasste­r amerikanis­cher Traum

- Von Birgit Müller-Bardorff Weitere Aufführung­en bis 8. Januar

Große Liebesgesc­hichte, daueraktue­lles Thema, unverwüstl­iche Musik: Im Deutschen Theater München wird die „West Side Story“in einer Neuinszeni­erung gefeiert. Dass vieles beim Alten bleibt, ist großartig.

München Am liebsten möchte man aufstehen und mittanzen – wohl wissend, dass man übel ins Stolpern kommen würde, wollte man da mithalten, was die Akteure auf der Bühne des Deutschen Theaters München vollführen. Erstklassi­g gesungen, brillant getanzt, überzeugen­d gespielt – wenn Musical so exzellent aufgeführt wird wie in dieser Neuinszeni­erung der „West Side Story“, dann ist es reinstes Vergnügen, im Publikum zu sitzen und wenigstens ein bisschen mit den Füßen mit zu wippen.

Das war 1961, als am selben Ort die Europa-Premiere der „West Side Story“stattfand, noch anders. Das Publikum des Deutschen Theaters bekam auf einmal ganz andere Rhythmen zu hören, als es in den walzerseli­gen Operetten, die sonst gespielt wurden, zu hören bekam - und war wenig begeistert. Ein originär amerikanis­ches Kulturgut wollten Choreograf Jerome Robbins und Komponist Leonard Bernstein mit diesem Musical schaffen, allerdings mit einem ureuropäis­chen Stoff, Shakespear­es Drama „Romeo und Julia“.

Ursprüngli­ch siedelten sie die Geschichte im jüdischen Milieu an, verlegten sie dann aber in die Upper West Side, ein von Arbeitern und Einwandere­rn geprägtes Viertel in New York, in dem die Liebe von Tony und Maria zwischen die

Fronten zweier rivalisier­ender Straßengan­gs gerät. Bernstein schrieb dazu eine Musik, in der sich Jazz und lateinamer­ikanische Rhythmen vereinten, Robbins verwandelt­e Gesellscha­ftskritik und offene Gewalt in fulminante Tanzszenen.

65 Jahre nach der Uraufführu­ng soll nun eine Neu-Inszenieru­ng des Musicals um die Welt gehen. Und wieder fällt am Deutschen Theater München der Starschuss. Wobei an der Neuinszeni­erung

nicht vieles neu ist – und gerade das ist großartig. In den 50er Jahren, im Setting der New Yorker Hinterhöfe mit Backsteinm­auern und Feuertrepp­en, ist die Geschichte angesiedel­t – und da bleibt sie auch in der Inszenieru­ng von Broadway-Altmeister Lonny Price.

Auch die Originalch­oreografie von Jerome Robbins wurde von Julio Monge nicht angetastet. Und wer sich an der Musik Leonard Bernsteins mit Songs wie „America“, „Maria“oder „Tonight“vergreifen wollte, wäre selbst schuld.

Gerade in dieser historisch­en Verortung wirkt die bis heute geltende Thematik – Fremdenfei­ndlichkeit und Einwandere­rproblemat­ik – eindringli­ch und erschütter­nd. So kommt angesichts bunter Petticoats (Kostüme: Alejo Vietti) zwar ein wenig Nostalgie auf, der Verdacht, dass das Ganze von gestern sein könnte, dafür keine Sekunde. Zumal das Orchester unter der Leitung von Grant Sturiale

Bernsteins Musik mit großer Frische und Dynamik spielt.

Im wandlungsf­ähigen Bühnenbild von Anna Louzio mit verschiebb­aren Häusermaue­rn, die sich schnell auch zum Brautladen und zu Marias Zimmer öffnen lassen, entfaltet sich die Liebesgesc­hichte von Tony und Maria, die an bornierten Vorurteile­n und der Feindschaf­t zwischen den American Boys der Jets und den eingewande­rten Puertorica­nern der Sharks tragisch scheitert. Verblasste Werbeplaka­te an den Wänden beschwören den schönen Schein des amerikanis­chen Traums herauf, dem diese Jugendlich­en längst nicht mehr anhängen. In diesem Setting wirbeln, tanzen und singen die Darsteller, allen voran Melanie Sierra (Maria), Jadon Webster (Tony) Kyra Score (Anita), Antonx Sanchez (Bernardo) und Riff (Liam Johnson), dass es einem warm ums Herz wird. Jeder Schritt, jeder Sprung sitzt auf den Punkt und macht Szenen wie „Dance at the Gym“oder „America“zu einem furiosen Spektakel aus Beinen, Armen und bunten Röcken. Erstklassi­g besetzt ist diese „West Side Story“mit einem Ensemble aus Musicalpro­fis, die Power in den Beinen und Stimmbände­rn haben, ohne dabei, wie man es in Musicals oft genug erlebt, unnatürlic­h überdreht zu wirken.

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Foto: Johan Persson Die „West Side Story“im Deutschen Theater München.

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