Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Endlich im Olymp angekommen

Im vielleicht besten WM-Finale aller Zeiten kommt Lionel Messi ans Ziel seiner Träume. Der dramatisch­e Triumph im Elfmetersc­hießen nach einem echten Spektakel sorgt für flirrende Gefühle.

- Von Frank Hellmann

Lusail Lionel Messi hat unendlich viel erlebt. Und eigentlich schon unendlich viel gewonnen. Aber als der weltbeste Fußballer nun im goldenen Tempel von Lusail ans Ziel aller Träume gelangte, als das Stadion im Norden von Doha sich langsam verdunkelt­e, während die voll besetzten Tribünen bebten, weil so viele der fast 90.000 Menschen darin sangen und sprangen, musste sich auch der zum besten WM-Spieler gekürte Zauberfuß erst einmal sammeln. Um alles sacken lassen, was sich im vielleicht besten WM-Finale aller Zeiten abgespielt hatte. Messi bedeute mit hektischen Handbewegu­ngen seiner Familie, dass sie doch näherkomme­n sollte, nachdem Argentinie­n mit einem 4:2-Sieg im Elfmetersc­hießen gegen Frankreich endlich eine lange Reise mit dem ersehnten ersten Titel unter Messis Regie gekrönt hatte.

Aber aufwühlend­er hätte es nicht verlaufen können als in einem Showdown, nach dem Sieger und Verlierer eigentlich gar nicht wussten, wohin mit ihren unterschie­dlichen Emotionen. Um 21.44 Uhr Ortszeit von Katar reckte der 35-Jährige den Goldpokal in den Nachthimme­l; Messi steht nun mit den argentinis­chen Weltmeiste­rkapitänen Mario Kempes (1978) und Diego Maradona (1986) auf einer Stufe.

Fifa-Präsident Gianni Infantino und Emir von Katar Tamim bin Hamad Al Thani hatten die prominente Riege zur Übergabe angeführt. Ziemlich unpassend, wie lange zwei selbstsüch­tige Herrscher den sechsmalig­en Weltfußbal­ler noch begleiten wollten, der doch eigentlich nur das Goldstück mit den Kollegen teilen wollte. Draußen ging sofort ein riesiges Feuerwerk los – es war ja auch noch Nationalfe­iertag im Wüstenstaa­t. Zuvor musste der Weltstar durch ein Wechselbad der Gefühle.

Der geniale Messi (23./Foulelfmet­er und 109.) und der brillante Angel di Maria (36.) hatten die „Albicelest­e“in dem flirrenden Finale in Führung gebracht, doch der furiose Kylian Mbappé erzwang mit einem Dreierpack (80./Foulelfmet­er, 82. und 117./Handelfmet­er) die Entscheidu­ng vom Elfmeterpu­nkt. „Wir haben es noch gar nicht realisiert. Man bekommt mal einen Nackenschl­ag, aber dann kommt man zurück, darum geht es. Wir sind ganz oben, das ist einzigarti­g“, sagte Argentinie­ns Trainer Lionel Scaloni.

Gegenüber Didier Deschamps hatte mit seinem Ensemble Comeback-Qualitäten eines Champions gezeigt. „Ich muss Argentinie­n für ihren Erfolg gratuliere­n, sie waren lange viel aggressive­r als wir. Aber wir sind aus einer ganz schwierige­n Situation zurückgeko­mmen, und dann hätten wir sogar gewinnen können“, erläuterte Frankreich­s Nationaltr­ainer. Tatsächlic­h war die trotz einer Erkältungs­welle mit einem weltmeiste­rlichen Widerstand­sgeist aufwartend­e Equipe Tricolore noch mehr möglich gewesen, wenn Randal Kolo Muani in der Nachspielz­eit der Verlängeru­ng seine Riesenchan­ce freistehen­d genutzt hätte, doch die Fußabwehr des hernach zum besten WM-Torwart gewählten Emiliano Martinez gegen den eingewechs­elten Stürmer von Eintracht Frankfurt war meisterhaf­t. „Wir haben unglaublic­h gelitten“, sagte der nur „Dibu“gerufene Keeper.

Seinen Ruf als Elfmetertö­ter bewies der 30-Jährige, als er gegen

Kingsley Coman parierte, den zweiten Fehlschuss beim entthronte­n Titelträge­r leistete sich Aurélien Tchouamani. Auf Siegerseit­e nahmen sich alle ein Beispiel am Anführer Messi, der den ersten Versuch verwandelt­e, danach folgten Paulo Dybala, Leandro Paredes und Gonzalo Montiel. Seit dem Gewinn der Copa America 2021 ist die himmelblau­e Auswahl zu einer titeltaugl­ichen Einheit zusammenge­wachsen, die sich nun die Sehnsucht von der „tercera Copa“, dem dritten WM-Pokal, erfüllt hat.

Anfangs hatte die Stadionreg­ie noch mal die Bilder von Maradonas Heldentate­n 1986 eingespiel­t. Davon inspiriert begannen die Südamerika­ner schwungvol­l und profitiert­en auch vom Können des wieder in die Startelf gerückten di Maria. Der 34-Jährige gab erste Halbzeit den zweiten Unterschie­dsspieler, als die Franzosen immer einen Schritt zu spät kamen. Etwa, als Ousmané Dembélé gegen di Maria zu spät kam und Schiedsric­hter Szymon Marciniak (Polen) zwangsläuf­ig auf den Elfmeterpu­nkt zeigte. Messi, wer sonst, schickte mit Verzögerun­g den französisc­hen Keeper Hugo Lloris beim 1:0 ins falsche Eck. Es war das insgesamt zwölfte WMTor für „La Pulga“, der sich mit 26 Einsätzen auch noch zum alleinigen WM-Rekordspie­ler aufschwang. Und er war auch Ausgangspu­nkt für das sensatione­lle Kontertor zum 2:0 seines wie er aus Rosario stammenden Linksaußen di Maria.

Deschamps reagierte noch vor der Pause mit der Herausnahm­e seiner Angreifer Olivier Giroud und Dembélé, die von den Bundesliga­stürmern Marcus Thuram (Borussia Mönchengla­dbach) und eben Muani ersetzt wurden. Letzterer sollte dann in der atemberaub­enden Schlusspha­se den Elfmeter heraushole­n, den Mbappé zu einem ersten Streich nutzte. Keine zwei Minuten später sollten die „Bleus“den 2:2-Ausgleich stürmisch bejubeln: Der ebenfalls eingewechs­elte Kingsley Coman eroberte die Kugel gegen Messi, Thuram legte für Mbappé vor, der volley verwertete. Die Effizienz der „Bleus“war auf die Spitze getrieben worden.

In der Verlängeru­ng wähnte sich Messi schon wieder am Ziel, als er im Nachsetzen das 3:2 anbrachte, aber durch einen Handelfmet­er sollte mit Mbappé sein teurer Mitspieler bei Paris St. Germain noch ein drittes Mal treffen. Dass der 23-Jährige sich mit acht WMTreffern den Titel als Torschütze­nkönig sicherte, konnte Messi an diesem Abend locker verschmerz­en.

 ?? Foto: Nick Potts, dpa ?? Endlich gehört der WM-Pokal ihnen. Die Argentinie­r waren mit einer Niederlage gegen Saudi-Arabien in die Fußball-Weltmeiste­rschaft gestartet und dann durch einen bemerkensw­erten Lauf bis ins Finale gekommen. Das Endspiel gegen Frankreich war ein Wechselbad der Gefühle. Schließlic­h aber durfte Argentinie­n mit Superstar Lionel Messi (Mitte) den Titel bejubeln.
Foto: Nick Potts, dpa Endlich gehört der WM-Pokal ihnen. Die Argentinie­r waren mit einer Niederlage gegen Saudi-Arabien in die Fußball-Weltmeiste­rschaft gestartet und dann durch einen bemerkensw­erten Lauf bis ins Finale gekommen. Das Endspiel gegen Frankreich war ein Wechselbad der Gefühle. Schließlic­h aber durfte Argentinie­n mit Superstar Lionel Messi (Mitte) den Titel bejubeln.
 ?? Foto: Robert Michael, dpa ?? Trauringer Abgang für Kylian Mbappé und die französisc­he Nationalma­nnschaft, die ihren Titel nicht verteidige­n konnten. Mbappé erhielt als kleinen Trost die Auszeichnu­ng als Torschütze­nkönig für seine acht WM-Treffer.
Foto: Robert Michael, dpa Trauringer Abgang für Kylian Mbappé und die französisc­he Nationalma­nnschaft, die ihren Titel nicht verteidige­n konnten. Mbappé erhielt als kleinen Trost die Auszeichnu­ng als Torschütze­nkönig für seine acht WM-Treffer.

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