Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Deutschlan­d hat immerhin Jamal Musiala

- Von Frank Hellmann

Die Fifa stellt die Trends der WM vor: Sichere Abwehr, treffsiche­re Stürmer – alles, was die Deutschen eben nicht haben. Dafür aber einen Mittelfeld­mann, der das Spiel prägen wird.

Doha An der West Bay von Doha hängen sie noch, die überlebens­großen Bilder von Fußballern, die diese WM im Wüstenstaa­t hätten prägen sollen. Nicht jede Abbildung war im Rückblick ein Volltreffe­r, aber es muss ja nicht überall Lionel Messi erscheinen. Weshalb am Ende auch noch Xherdan Shaqiri, der bereits im Achtelfina­le verabschie­dete Schweizer Dribbler, von einem glitzernde­n Hochhaus strahlte. Was ansonsten diese WM an fußballeri­schen Glanzlicht­ern brachte, hat der Weltverban­d Fifa wissenscha­ftlich umfassend untersucht, wobei dieser Studiengru­ppe Jürgen Klinsmann als Kapitän vorstand, der an dieser Rolle sichtlich Gefallen fand. Mehr als an seinem grandios entglitten­en Intermezzo

bei Hertha BSC. Um den 58-Jährigen gruppierte sich eine fleißige Helferscha­r, die sich jeden Tag – aufgeteilt in zwei Gruppen – zwei Spiele vornahm.

Hinterher wurden Zahlen, Daten, Statistike­n mit den Eindrücken abgegliche­n. Vorweg: Neue Innovation­en hat diese WM nicht gebracht, wohl aber einige Trends aufgezeigt – und noch mal die alten Helden ins rechte Licht gerückt. Dass Lionel Messi, Olivier Giroud oder Luka Modric noch mit 35, 36 und 37 Jahren so glänzen konnten, sagte Klinsmann, könnte darauf hindeuten, dass für einige gelte: „Man fängt früher an und hört später auf.“Die alterslose­n Helden haben bei einer WM geholfen, die „qualitätsm­äßig außergewöh­nlich“gewesen sei, wie der mit 73 Jahren als Fußball-Entwicklun­gshelfer eingespann­te Arsène Wenger urteilte. Gemeinsam mit Klinsmann, beide verbindet Anfang der 90er Jahre die Zusammenar­beit bei AS Monaco, entkräftet­e Wenger die vor der WM geäußerte Befürchtun­g: „Die kurze Vorbereitu­ng hatte keinen Einfluss

auf die Qualität des Turniers.“So etwas wollte die Fifa sicher hören.

Was waren nun die wichtigste­n Erkenntnis­se? Bei einer fast gleich gebliebene­n Torezahl (2,63 pro Spiel) hat die Bedeutung der Standards wieder abgenommen, die Treffer nach Flanken aber zugenommen. Obwohl die Anzahl der Flanken im Vergleich zu 2018 zurückgega­ngen ist, sind über diesen Weg 83 Prozent mehr Tore zustande

gekommen, „was auf eine verbessert­e Qualität der Flanken hindeutet“, wie Wenger erklärte. „Natürlich ist es eine Sache, Chancen zu kreieren, aber sie zu nutzen, ist eine ganz andere, und es ist kein Zufall, dass sich sowohl Frankreich als auch Argentinie­n auf einen klassische­n Mittelstür­mer verlassen konnten.“Auch Harry Kane als Prototyp Torjäger wurde genannt. Man müsse noch mehr Angreifer

entwickeln, „die sofort erfolgreic­h abschließe­n, es gibt diesen Bedarf einer Nummer neun“, sagte der frühere Weltklasse­stürmer Klinsmann.

Die Experten filterten auch den entscheide­nden physischen Vorteil der Franzosen heraus: „Jeder Spieler ist schneller als sein Gegenspiel­er. Das kann für den Gegner tödlich sein“, sagte Wenger. Als beste Mittelfeld­spieler wurden Antoine

Griezmann (Frankreich) und Enzo Fernandez (Argentinie­n) genannt. Allgemein fiel auf: Fast alle WMTeams verteidigt­en sehr kompakt im Block. Die Fifa-Experten können die letzte Verteidigu­ngslinie genau bestimmen: Sie steht im Mittel jetzt 37,6 Meter vor der Torlinie, 80 Zentimeter höher als bei der WM 2018. Auch der Torhüter hat sich höher postiert und angepasst. Auffällig ist, dass speziell das mittlere Spieldritt­el überlagert wird, um nicht im Zentrum überspielt zu werden. Dass so manche Gruppenspi­ele genau in dieser Zone zum Erliegen und Strafraums­zenen gerade in ersten Halbzeiten oft selten zustande kamen, war die Schattense­ite. Darüber aber sprachen Klinsmann und Wenger im Auftrag der Fifa nicht vertiefend.

Immerhin gab es tröstende Worte für gescheiter­te Top-Nationen:

Wirkliche taktische Neuerungen brachte diese WM nicht

Tröstende Worte für die Top-Nationen Egland und Brasilien

England, sagte Wenger, sei mit seiner Mannschaft definitiv auf dem richtigen Weg. Die Spanier, führte Klinsmann aus, kämen zwar mit dem Tiki-Taka-Modell („das ist Vergangenh­eit“) nicht mehr durch, müssten aber um die Zukunft nicht fürchten: „Der spanische Fußball wird zurückkomm­en.“Und Deutschlan­d habe immerhin einen Jamal Musiala: „Er wird den Fußball mit seinen Qualitäten prägen.“Noch mehr aber schien dem Offensivli­ebhaber aus dem Ländle zu schmerzen, dass sich ein Team wie Brasilien vor dem Halbfinale verabschie­dete. „Ich bedaure das sehr, dass eines der besten Teams so früh ausgeschie­den ist“, sagte Klinsmann. „Sie haben viel individuel­le Qualität, waren auch im Kollektiv in der Defensive stark, aber dann haben sie es sich gegen Kroatien am Ende zu bequem gemacht und die Konzentrat­ion verloren.“Mit der bekannt bitteren Folge für den Rekordwelt­meister. Anhängern des schönen Fußballs dürfte der deutsche Chefanalyt­iker damit aus der Seele gesprochen haben.

 ?? Foto: Christian Charisius, dpa ?? Jamal Musiala war der auffälligs­te deutsche Spieler bei der Weltmeiste­rschaft. Allerdings war auch er im Abschluss nicht effektiv genug, weshalb für die Nationalma­nnschaft die WM schnell vorbei war.
Foto: Christian Charisius, dpa Jamal Musiala war der auffälligs­te deutsche Spieler bei der Weltmeiste­rschaft. Allerdings war auch er im Abschluss nicht effektiv genug, weshalb für die Nationalma­nnschaft die WM schnell vorbei war.

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