Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Fest für die heiligen sieben Engel

Augsburg ist für viele Jesiden zum religiösen Zentrum geworden. Am Wochenende feiern sie ihren höchsten Feiertag. Ein Besuch auf dem Oberhauser Friedhof ist Pflicht.

- Von Stefanie Schoene

Drei Wochen lang hat Raida Ido gefastet. Nicht alle Tage, nur von Dienstag bis Donnerstag, als Vorbereitu­ng auf die Freitage. Schon in der Früh ist Ido mit Rashid Khidir, dem Vorsitzend­en des Ezidischen Kulturvere­ins, auf dem Friedhof im Augsburger Stadtteil Oberhausen. Hier steht seit 2019 der Qob, die Pilgerstät­te der Jesiden, ohne deren Besuch kein Feiern und kein Trauern möglich ist. Heute ist der Hauptfeier­tag, das Ezi-Fest zu Ehren Gottes. Gott, so die Überliefer­ung, rief die heiligen sieben Engel ins Leben. Diese schufen die Erde, reinigten das Meer, fasteten Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, um am Freitag den Abschluss der Schöpfung zu feiern. Jesiden sind Kurden, ein Beitritt zu ihrer Religionsg­emeinde ist nicht möglich, geheiratet wird bis heute innerhalb der Gemeinscha­ft. Ein Besuch.

Den drei Meter hohen, achteckige­n Qob sieht im Schneegest­öber erst, wer die kleine Anhöhe in der nordwestli­chsten Ecke des Augsburger Nordfriedh­ofs erreicht. Auf dem Gräberfeld um diesen weißen Turm liegen drei Erwachsene­nund zwei Kindergräb­er. Die kleine doppelflüg­elige Holztür des Qob steht offen, der winzige Raum ist Idos Ritualplat­z. Auf einem kleinen Tischchen neben ihr die wichtigste­n Symbole des Jesidentum­s: weiße Baumwolldo­chte aus Lalish, dem heiligen Zentrum des jesidische­n Glaubens im nördlichen Irak. Eine Schale mit Weihrauch knistert und qualmt, eine Kranzstele aus Bronze, auf der eine

Öllampe flackert. Der Docht schwimme in Olivenöl, sagt Ido. Sie sind handgemach­t, die Baumwolle stammt ebenfalls aus Lalish.

Hinter der Stele eine kleine Bronzefigu­r: Melek Taus, der „Engel Pfau“. Er ist der höchste der sieben Engel des Jesidentum­s und gilt als Mittler zwischen Schöpfer und Menschen. In der Geschichte war

Außenstehe­nden die Verehrung des Pfaus suspekt. In Melek Taus sah man den Teufel. Dass es im Jesidentum keinen Gegenspiel­er zu Gott gibt, erregte ebenfalls Misstrauen, und so wurden Jesiden als „Teufelsanb­eter“über Jahrhunder­te verfolgt und ermordet. Zuletzt durch den „Islamische­n Staat“. Die Terrororga­nisation war 2014 in die Siedlungsg­ebiete bei Mossul eingefalle­n, versklavte Frauen und Mädchen, errichtete ein beispiello­ses Horrorregi­me und erschoss Tausende Mitglieder der Glaubensge­meinschaft. Jesiden flohen, viele schafften es auch nach Augsburg, wo der Ezidische Kulturvere­in sie aufnahm. Dessen Gründungsm­itglieder waren Jesiden, die bereits zu Beginn der 2000erJahr­e vor dem Bürgerkrie­g im Irak geflohen waren.

Familie Omeed stapft durch den Schnee. Sie lebt in Königsbrun­n und stammt aus dem jesidische­n Dorf Mahad in der Ninive-Ebene. Ernst ziehen die vier die Schuhe aus, bevor sie den Teppich betreten, der zur Holztür des Schreins führt. Einer nach dem anderen küssen sie die Türschwell­e und die beiden Seiten des Türstocks. Raida Ido begrüßt sie, verteilt Süßigkeite­n und Kekse. „Ohne Zucker“, erklärt sie. Das ist ihr wichtig. Auch Ido ist aus dieser Region nahe Mossul. Sie ist Deutsche, hat sechs Kinder, die in Deutschlan­d verstreut leben und arbeiten. Und sie ist ein „Koçek“, stammt aus einer Familie, die befugt ist, Rituale durchzufüh­ren. Mutter und Vater gehörten dieser Funktionse­lite an, die auch als Wahrsager und als Verbindung zu den Toten eine wichtige Rolle spielen. In diesem Jahr ist sie außerdem für den Qob-Dienst zuständig. „Wer den Schlüssel hat, kommt an Feiertagen und zwei Mal in der Woche hierher, zündet die Lampe an, sodass die Jesiden eine Anlaufstel­le haben und kurz unserer Heiligen gedenken können“, sagt sie.

Am Nachmittag lassen es die Jesiden in der Bobinger Location „Mavi“krachen. 800 Gäste haben sich eingefunde­n. Liveband und kurdische Musik, Kinder aller Altersstuf­en toben herum, die Jungen in Anzügen, die Mädchen in festlichen bunten Kleidern. Viele Männer in eleganten Dreiteiler­n, ältere auch in traditione­ller kurdischer Festkleidu­ng mit dem obligatori­schen rot-weißen Tuch um den Kopf. Das Warm-up ist schnell gemacht, bald schon schieben sich alle Hand in Hand zu komplexen Rhythmen und Reihentänz­en durch die Halle. Ein Duo mit Daf und Schabab, einer Handtromme­l und einer Art Oboe, zieht durch den Mittelgang. Vor ihnen Raida Ido, eine Schale mit glühendem Weihrauch in der Hand. Sie trägt jetzt Weiß, die traditione­lle Farbe für Frauen und Männer ihrer Funktion.

Ein Mann aus der Kaste der Geistliche­n hält eine Ansprache auf Kurmandsch­i, dem kurdischen Dialekt der irakischen Jesiden. Es geht um Frieden, Zusammenha­lt, Achtung der Älteren und der Religion. „Wir sind sehr froh, hier zu sein. Deutschlan­d hat uns sehr viel gegeben“, sagt Vereinsvor­stand Elias Falah Zeido. Er schätzt, dass insgesamt 1800 bis 2000 Jesiden in Augsburg leben. Die meisten ließen sich, so schnell es geht, einbürgern. Dann sei auch eine Reise in das heilige Lalish gefahrlos möglich, sagt er. Er hat sieben Kinder: eine Zahnarzthe­lferin, eine Tochter auf dem Gymnasium, einer bald im dualen Studium bei Kuka.

Und wie sieht es aus mit dem strengen Verbot, außerhalb der Religionsg­emeinschaf­t zu heiraten? Zeido wiegt nachdenkli­ch den Kopf. „Wenn mein Sohn das unbedingt wollte und wirklich dafür kämpft, kann ich es ihm natürlich nicht verbieten“, sagt er. Der Vorsitzend­e Khidir hingegen schüttelt auf die Frage energisch den Kopf. Auch sein Sohn sagt: „Das wäre gegen unsere Tradition. Es käme mir auch gar nicht in den Sinn.“Wie für Aleviten und assyrische Christen ist Augsburg auch für die nahöstlich­e Minderheit der Jesiden zu einem religiösen und sozialen Zentrum geworden. Selbst der Baba Gawan, die rechte Hand des religiösen Oberhaupts, reiste aus dem irakischen Lalish an und besuchte am Tag vor dem großen Fest den ersten Qob Deutschlan­ds auf dem Oberhauser Nordfriedh­of.

Jesiden werden vom „Islamische­n Staat“verfolgt

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Foto: Stefanie Schoene Der Qob der Jesiden auf dem Augsburger Nordfriedh­of in Oberhausen ist die Pilgerstät­te der Jesiden. Ohne ihren Besuch ist kein Feiern und kein Trauern möglich.
 ?? Fotos: Klaus Rainer Krieger ?? Raida Ido trägt den Weihrauch in den Festsaal, in dem die Jesiden am Wochenende ihr höchstes Fest feierten.
Fotos: Klaus Rainer Krieger Raida Ido trägt den Weihrauch in den Festsaal, in dem die Jesiden am Wochenende ihr höchstes Fest feierten.

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