Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zeitarbeit wird für Kliniken zum Problem

Immer mehr Pflegekräf­te leiden unter Überlastun­g und finden in Zeitarbeit einen Ausweg. Doch das Modell birgt ein Dilemma – und setzt eine heikle Spirale in Gang.

- Von Max Kramer

Irgendwann im August dieses Jahres war für Robert Mayer (Name geändert) das Maß voll. Nicht, dass er sich dem Unikliniku­m Augsburg (UKA) nach vielen Jahren nicht verbunden fühle. Nicht, dass er sein Team nicht möge. Nicht, dass ihn der Abschied nicht schmerze. „Aber so, wie es inzwischen läuft, kann ich nicht mehr mit gutem Gewissen arbeiten“, sagt der junge Mann. Er könne dem Anspruch an sich und seine Arbeit kaum noch gerecht werden, wolle den Beruf aber nicht verlassen. Ein Dilemma – mit einer persönlich­en Lösung, die gleichzeit­ig Teil eines viel größeren Problems ist: Zeitarbeit.

Mayer ist Pfleger aus Überzeugun­g, sagt, er habe schon immer helfen wollen. Also begann er Mitte der 2010er-Jahre ein Praktikum an der Uniklinik, es folgten zwei Ausbildung­en und zuletzt der Wechsel auf eine große Station. Im Spätsommer 2022, als sich die Lage im Haus zwischenze­itlich deutlich zuspitzte, entschloss sich Mayer, das UKA zu verlassen. „Wir waren auf der Station teilweise zu zweit für mehr als 40 Patienten zuständig. 40! 20 sind eigentlich schon zu viel.“Bei einem solchen Aufkommen gebe es kaum noch Zeit, sich so um die Menschen zu kümmern, wie er sich das vorstelle. „In unserem Beruf gehört es dazu, sich auch mal mit den Patienten zu unterhalte­n, mal über die Hand zu streicheln. Stattdesse­n mussten wir immer wieder viele Patienten aufnehmen, obwohl weder Personal noch Platz da waren.“Was er zuletzt erlebt habe, sei „eigentlich nur Stress und Druck – bei viel zu wenig Geld“.

Die Uniklinik verweist auf Anfrage darauf, dass sie als Maximalver­sorger nicht nur elektive Patientinn­en und Patienten mit komplexen Erkrankung­en behandle, sondern „seit Monaten noch stärker als bisher von Notfallpat­ienten aufgesucht“werde. Es gebe viele Krankheits­fälle unter Mitarbeite­nden und „knapp besetzte Schichten“. Die Patientenv­ersorgung sei immer sichergest­ellt, man versuche nach Möglichkei­t, Pflegestel­len aufzubauen. Dennoch ist Überlastun­g in vielen Stationen Alltag, nicht nur in der Uniklinik. Gerade die CoronaPand­emie hat Spuren hinterlass­en und ohnehin knappes Pflegepers­onal zermürbt. Manche reduzieren die Arbeitszei­t, manche gehen ganz.

Mayer machte sich auf die Suche nach Alternativ­en – und stieß auf eine Zeitarbeit­sfirma. Er bekam dort Verheißung­svolles zu hören: rund 1000 Euro netto mehr und 20 Stunden weniger pro Monat, mehr Zuschläge, Schichtaus­wahl nach Wunsch, Dienstwage­n-Option, Anspruch auf eine Stelle in Wohnortnäh­e. In einem festen Team arbeitet Mayer nicht mehr, er bleibt maximal eineinhalb Jahre an einem Haus – „aber wenn ich abwäge, sind die Konditione­n über Zeitarbeit viel besser.“Resultat: Ab Januar startet er in einer Klinik im Raum Augsburg, im selben Fachbereic­h wie bisher.

Personal ist im medizinisc­hen Bereich rar – und so ein lukrativer Markt für Zeitarbeit­sfirmen. Sie sind de facto Arbeitgebe­r und zahlen das Gehalt, die tatsächlic­he Arbeit leisten die Angestellt­en aber deutschlan­dweit in kooperiere­nden Kliniken. Die Krankenhäu­ser müssen für dieses Personal deutlich mehr bezahlen und etliche Zugeständn­isse machen, die der meist tarifgebun­denen Stammbeleg­schaft vorenthalt­en sind: unter anderem bessere Bezahlung, meist auch flexiblere Arbeitszei­ten. Mayer sagt, er kenne immer mehr Kollegen und Kolleginne­n, die zu Zeitarbeit­sfirmen gingen. Offen darüber reden will kaum einer, das Thema ist heikel. Das Dilemma: Je mehr Personal geht, desto stärker sind viele Häuser auf Zeitarbeit­erinnen und -arbeiter angewiesen. Am UKA sind nach Auskunft von Pflegedire­ktorin Susanne Arnold aktuell rund 25 beschäftig­t – sowohl im OP- als auch im Intensivbe­reich. Sie seien seit

Anfang 2022 im Einsatz – und so wichtig, „dass wir ohne sie teils Intensivbe­tten schließen müssten“. Dennoch versuche das UKA, schnellstm­öglich ohne Zeitarbeit auszukomme­n. Warum? „Einerseits treibt es die Kosten in die Höhe, anderersei­ts löst es in den Teams Unzufriede­nheit aus, wenn zwei Kollegen für dieselbe Arbeit unterschie­dlich bezahlt werden. Auch die Einarbeitu­ng braucht oft Zeit.“Nach Einschätzu­ng von UKA-Personalra­tsvorsitze­nder Eva-Maria Nieberle sind gerade die unterschie­dlichen Konditione­n zwischen Stammbeleg­schaft

und Zeitarbeit­enden ein Problem. „Wenn einer von außen mit 5000 Euro Bruttogeha­lt plus Spesen und Dienstwage­n plus Wunsch-Dienstplan kommt – das merken sich die anderen.“Im Gesamtbild sei die Zahl derer, die vom UKA zu Zeitarbeit­sfirmen wechselten, „sicher nicht der Großteil“. Jede fehlende Pflegekraf­t schmerze aber „enorm“.

Auch andere Augsburger Kliniken berichten, dass immer wieder Personal zu Zeitarbeit­sfirmen wechsle oder gezielt abgeworben werde. „Uns geht damit dringend benötigtes Personal verloren“, sagt Jens Colditz, Rektor der Stadtklini­k im Diako. Selbst beschäftig­e man keine Zeitarbeit­skräfte – vor allem aus finanziell­en Gründen, zudem fehle oft die Loyalität zum Haus. Auch das Vincentinu­m verzichtet nach Angaben einer Sprecherin darauf. In der Pflege seien aktuell nur fünf Planstelle­n unbesetzt. Dass Zeitarbeit­sfirmen Personal gezielt abwerben, sei aber nicht in größerem Ausmaß bekannt. Der Konkurrenz­kampf zwischen Augsburger Häusern um Pflegekräf­te, heißt es am Vincentinu­m wie in anderen Kliniken, werde als „normal“und „fair“empfunden.

Unterschie­dliche Bezahlung ist ein Thema

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Nicht nur wegen der Corona-Pandemie ist die Belastung für Pflegekräf­te in Augsburger Krankenhäu­sern deutlich gestiegen. Zeitarbeit­sfirmen locken sie mit besseren Konditione­n.
Foto: Silvio Wyszengrad Nicht nur wegen der Corona-Pandemie ist die Belastung für Pflegekräf­te in Augsburger Krankenhäu­sern deutlich gestiegen. Zeitarbeit­sfirmen locken sie mit besseren Konditione­n.

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