Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zeitarbeit: Das geringere Übel als einziger Ausweg
Wer es sich zum Beruf macht, Menschen zu helfen, tut das nicht, um reich zu werden. Das ist ehrenwert – und wird gnadenlos ausgenutzt. Schon vor der Pandemie waren die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte schlecht, inzwischen sind sie häufig desolat. In vielen Stationen herrscht so viel Druck, dass mehr von Massenabfertigung denn von echter Pflege die Rede ist. Wenn dazu noch Hickhack um unfair verteilte Corona-Boni kommt, eine dem gesellschaftlichen Mehrwert unwürdige Bezahlung und die Perspektive, woanders mehr Wertschätzung zu erfahren, so verwundert es nicht, dass viele gehen. Wenn sie über Zeitarbeitsfirmen in andere Häuser wechseln, ist das noch das kleinere Übel, weil jede Kraft im System gebraucht wird. Dennoch ist das Modell gefährlich.
Niemandem darf ein Vorwurf gemacht werden, wenn er oder sie in Zeitarbeit einen Ausweg sucht; die Gründe sind genannt. Diese Menschen haben auch eine Verantwortung sich selbst und ihren Familien gegenüber. Am wenigsten ist der Gesellschaft geholfen, wenn sie irgendwann derart zermürbt und frustriert sind, dass sie dem Beruf ganz abschwören.
Gleichzeitig werden sie dadurch Teil eines wachsenden Problems. Die ohnehin viel zu eng bemessenen Krankenhaus-Budgets werden durch jede Zeitarbeitskraft weiter überstrapaziert; was aber wohl noch schwerer wiegt: Die Solidarität und Loyalität, die die Teams in den Krankenhäusern noch zusammenhält, wird von innen ausgehöhlt. Jede Pflegekraft, die sieht, wie eine andere im selben Job für weniger Arbeit mehr Geld bekommt und sich Schichten quasi selbst aussuchen kann, muss sich verhöhnt vorkommen. Das ist – noch mal: aus Sicht der Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter vollkommen legitime – Rosinenpickerei.
Wenn bundesweit mit der groß angekündigten Krankenhaus-Reform der große Wurf kommen soll, dann muss auch das Modell Zeitarbeit auf den Prüfstand. Und zwar in dem Sinne, dass es unattraktiv wird, weil die Arbeitsbedingungen wirklich aller Pflegekräfte nachhaltig verbessert werden.