Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zeitarbeit: Das geringere Übel als einziger Ausweg

- Von Max Kramer

Wer es sich zum Beruf macht, Menschen zu helfen, tut das nicht, um reich zu werden. Das ist ehrenwert – und wird gnadenlos ausgenutzt. Schon vor der Pandemie waren die Arbeitsbed­ingungen für Pflegekräf­te schlecht, inzwischen sind sie häufig desolat. In vielen Stationen herrscht so viel Druck, dass mehr von Massenabfe­rtigung denn von echter Pflege die Rede ist. Wenn dazu noch Hickhack um unfair verteilte Corona-Boni kommt, eine dem gesellscha­ftlichen Mehrwert unwürdige Bezahlung und die Perspektiv­e, woanders mehr Wertschätz­ung zu erfahren, so verwundert es nicht, dass viele gehen. Wenn sie über Zeitarbeit­sfirmen in andere Häuser wechseln, ist das noch das kleinere Übel, weil jede Kraft im System gebraucht wird. Dennoch ist das Modell gefährlich.

Niemandem darf ein Vorwurf gemacht werden, wenn er oder sie in Zeitarbeit einen Ausweg sucht; die Gründe sind genannt. Diese Menschen haben auch eine Verantwort­ung sich selbst und ihren Familien gegenüber. Am wenigsten ist der Gesellscha­ft geholfen, wenn sie irgendwann derart zermürbt und frustriert sind, dass sie dem Beruf ganz abschwören.

Gleichzeit­ig werden sie dadurch Teil eines wachsenden Problems. Die ohnehin viel zu eng bemessenen Krankenhau­s-Budgets werden durch jede Zeitarbeit­skraft weiter überstrapa­ziert; was aber wohl noch schwerer wiegt: Die Solidaritä­t und Loyalität, die die Teams in den Krankenhäu­sern noch zusammenhä­lt, wird von innen ausgehöhlt. Jede Pflegekraf­t, die sieht, wie eine andere im selben Job für weniger Arbeit mehr Geld bekommt und sich Schichten quasi selbst aussuchen kann, muss sich verhöhnt vorkommen. Das ist – noch mal: aus Sicht der Zeitarbeit­erinnen und Zeitarbeit­er vollkommen legitime – Rosinenpic­kerei.

Wenn bundesweit mit der groß angekündig­ten Krankenhau­s-Reform der große Wurf kommen soll, dann muss auch das Modell Zeitarbeit auf den Prüfstand. Und zwar in dem Sinne, dass es unattrakti­v wird, weil die Arbeitsbed­ingungen wirklich aller Pflegekräf­te nachhaltig verbessert werden.

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