Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Es besteht erhebliche­r Reformbeda­rf“

Medienstaa­tsminister­in Claudia Roth (Grüne) fordert Veränderun­gen bei ARD und ZDF und kritisiert die Höhe der Intendante­ngehälter. Warum sie am Rundfunkbe­itrag festhalten will – und was sie wütend macht.

- Interview: Daniel Wirsching

Frau Roth, haben Sie schon den Weihnachts-Kultfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbröd­el“in einem der ARD-Sender gesehen?

Claudia Roth: Den habe ich schon so oft und gern gesehen – in diesem Jahr verzichte ich mal drauf.

Was werden Sie zu Weihnachte­n oder zum Jahreswech­sel schauen? Etwa „Stirb langsam“mit Bruce Willis? Ist ja ebenfalls „Kult“…

Roth: Nein, nein. Ich schaue mir zur Weihnachts­zeit gerne Märchenfil­me an. Als Kind habe ich übrigens immer an Heiligaben­d „Wir warten aufs Christkind“im Ersten angesehen – nachdem wir mit unserem Vater in Babenhause­n beim Schlittenf­ahren waren. Ich werde dort an Weihnachte­n sein, bei meiner Schwester.

Gefällt Ihnen denn das, was ARD und ZDF sonst so zeigen? Oder würden Sie sich mehr erwarten bei einem Rundfunkbe­itrags-Aufkommen von über acht Milliarden Euro jährlich?

Roth: Ganz oft gefällt’s mir sogar sehr gut, manchmal sind’s mir aber auch zu viele Wiederholu­ngen. Und manchmal wünschte ich mir, dass die Kultur in ihrer Vielfalt stärker gezeigt würde. Aber es ist ja nicht entscheide­nd, was mir persönlich gefällt oder nicht – sondern, dass sich möglichst viele Menschen in unserem Land und die ganze Breite unserer Gesellscha­ft durch das Programm angesproch­en fühlen. Die so wichtige Funktion des öffentlich-rechtliche­n Fernsehens zeigt sich für mich derzeit insbesonde­re auch durch journalist­isch hochwertig­e, gesicherte Informatio­n – und die ist enorm wichtig in diesen Krisenund Kriegszeit­en, in denen Fake News und Verschwöru­ngserzählu­ngen unsere Demokratie gefährden.

Wie die mutmaßlich­e Reichsbürg­er-Terrorzell­e um Heinrich XIII. Prinz Reuß, die nicht nur Rechtspopu­listen verharmlos­en?

Roth: Mich macht das wirklich wütend! Wir müssen den Demokratie­und Medienverä­chtern, die in Gestalt der AfD auch im Bundestag und in Landtagen sitzen, entschiede­n entgegentr­eten. Was sie tun, ist brandgefäh­rlich.

Was halten Sie davon, dass sich CDU-Chef Friedrich Merz erst Tage nach der Razzia gegen die Reichsbürg­er und Querdenker auf Twitter zu Wort meldete – und zugleich schrieb, dass auch „sogenannte ‚Klimaaktiv­isten‘, die sich ständig auf Straßen oder Flughäfen festgekleb­t haben“, schwere Straftaten begingen?

Roth: Ich verstehe nicht, warum er so lange für seine Reaktion brauchte, und finde sie unsäglich.

Tagelang hat er derart laut geschwiege­n zu den Plänen der Gruppe, mal eben unsere Demokratie zu beseitigen, und zu den Waffenfund­en bei der bundesweit­en Razzia – und dann bringt er das in einen Zusammenha­ng mit den Protestfor­men der „Letzten Generation“, die für mehr Klimaschut­z und damit eine Überlebens­frage kämpft. Damit relativier­t er, was der mutmaßlich­en Terrorzell­e vorgeworfe­n wird, die offenkundi­g mit Waffengewa­lt eine Diktatur errichten wollte. Es ist – bei aller Kritik, die auch ich an den Klimaaktiv­isten der „Letzten Generation“und ihren Protestfor­men übe, die aus meiner Sicht ganz falsch sind – zudem vollkommen unverantwo­rtlich, diese als „Klima-RAF“zu bezeichnen, wie das CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt tat. Damit hat er nicht zuletzt die Gewalt, die Verbrechen, die Morde der „Rote Armee Fraktion“relativier­t.

Sie sagten vorhin, Sie vertrauten auf den Journalism­us von ARD und ZDF. Gleichwohl hat die Glaubwürdi­gkeit der Sender durch diverse Skandale in diesem Jahr massiv gelitten. Der im August entlassene­n RBB-Intendanti­n Patricia Schlesinge­r wird zum Beispiel Verschwend­ung und Vetternwir­tschaft vorgeworfe­n.

Roth: Das große Problem ist, dass solche Vorgänge Wasser auf die Mühlen von Demokratie­verächtern und den Feinden eines unabhängig­en Journalism­us sind. Es muss jetzt alles dafür getan werden, dass die beschädigt­e Glaubwürdi­gkeit des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks wiederherg­estellt wird – und dass dem Eindruck, in den Chefetagen der Sender herrsche eine Selbstbedi­enungsment­alität, mit mehr Transparen­z und wirksamer Kontrolle entschiede­n entgegenge­treten wird. Denn unsere duale Rundfunkor­dnung mit einem beitragsfi­nanzierten Rundfunk, der weder vom Staat noch von einer Marktlogik abhängt, ist eine wichtige und wertvolle Säule unserer Demokratie.

Sie halten am Rundfunkbe­itrag fest?

Roth: Ich warne ausdrückli­ch davor, von diesem System abzurücken. Der Markt kann nicht alles regeln, und bei einer Finanzieru­ng über eine Steuer wäre die Staatsfern­e nicht gegeben. Aus einer Finanzieru­ng durch Gebühren erwächst aber auch eine ganz besondere Verantwort­ung.

Fürchten Sie nicht bereits die gewiss heftigen nächsten Diskussion­en über die Höhe des Rundfunkbe­itrags? Bis 2024 zahlt jeder Haushalt monatlich 18,36 Euro. Schon angesichts der Inflation wird die Beitragshö­he danach eher steigen als sinken, oder? Roth: Sicher wird das eine schwierige Debatte. Aber unsere Demokratie – und ARD, ZDF und Deutschlan­dradio zählen zu ihren Stützen – sollte uns etwas wert sein. Es wird auf Basis eines ernsthaft geführten Reformproz­esses gut begründet werden müssen, wofür es die Mittel braucht. Dabei muss allerdings gezeigt werden, wie effiziente­r gearbeitet werden kann – das aber nicht zulasten der Journalist­innen und Journalist­en.

Sondern der Intendante­n?

Roth: Für deren Jahresgehä­lter von teilweise über 400.000 Euro gibt es völlig zu Recht kein Verständni­s. Wenn ein Intendant mehr als der Bundeskanz­ler verdient, besteht eine Schieflage – erst recht im Verhältnis zu dem, was die Redakteuri­nnen und Redakteure sowie insbesonde­re auch die zahlreiche­n freien Journalist­innen und Journalist­en bei ARD, ZDF und Deutschlan­dradio verdienen.

Hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein systemisch­es, ein strukturel­les Problem?

Roth: So weit würde ich nicht gehen, aber es besteht ein erhebliche­r Reformbeda­rf.

An was denken Sie dabei?

Roth: Nötig sind mehr Transparen­z und eine wirksamere Kontrolle der Gehälter auf den Führungseb­enen sowie bei Vertragsve­rgaben. Überfällig ist allerdings auch eine andere Besetzung der Kontrollgr­emien. In den Rundfunkrä­ten etwa sind Vertreteri­nnen und Vertreter wichtiger gesellscha­ftlicher Gruppen. Doch die Zusammense­tzung hat sich seit Jahrzehnte­n nicht wirklich verändert. Es fehlen Vertreteri­nnen und Vertreter der Zivilgesel­lschaft, die ein Spiegel der Gesellscha­ft von heute sind. Dazu gehören auch Umweltverb­ände, mehr junge Menschen. Warum ist „Fridays for Future“nicht in den Rundfunkrä­ten?

Der Ende des Jahres aus dem Amt als kommissari­scher ARD-Vorsitzend­er scheidende Tom Buhrow hat Anfang November im Hamburger Übersee-Club vieles grundsätzl­ich infrage gestellt.

Roth: Er hat eine wichtige Rede gehalten und viele Fragen gestellt. Leider hat er keine Antworten gegeben. Die müssen nun von seinem Nachfolger Kai Gniffke vom SWR und den anderen Intendanti­nnen und Intendante­n kommen.

Buhrow fragte, ob es mit ARD und ZDF zwei bundesweit­e, lineare TV-Sender braucht?

Roth: Darauf zu verzichten, wäre aus meiner Sicht ein großer Verlust. Da sollten erst einmal all die Möglichkei­ten, wie innerhalb der ARD mehr und effiziente­r zusammenge­arbeitet werden kann oder auch jeweils unter den verschiede­nen Sendern Programmin­halte zur Verfügung gestellt werden können, ausgelotet werden. Dafür könnten die Sender auch stärker mit der Deutschen Welle zusammenar­beiten.

Buhrow fragte: Sollen die regionalen Programme Vollprogra­mme bleiben?

Roth: Auch da könnte man gewiss noch viel stärker zusammenar­beiten und Überschnei­dungen vermeiden. Allerdings ist die Abbildung der regionalen Vielfalt und Kultur eine der großen Stärken der ARD-Sender.

Thema Kultur: Buhrow meinte, man müsse auch über die öffentlich-rechtliche­n Orchester, Big Bands und Chöre reden.

Roth: Immer soll zuerst an der Kultur gespart werden! Für mich wäre das der falsche Weg.

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Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa (Archivbild) Claudia Roth erwartet demnächst wieder eine schwierige Debatte über die Höhe des Rundfunkbe­itrags. „Aber unsere Demokratie sollte uns etwas wert sein“, meint sie.

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