Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Durchbruch beim Schutz der Arten
Fast 200 Staaten einigen sich auf der Weltnaturkonferenz in Montreal auf ein Abkommen. Die Reaktionen sind geteilt. Die Umweltministerin spricht von „riesigem Erfolg“. Experten fordern hingegen konsequentes Handeln ein.
Nach zweiwöchigem harten Ringen hat sich die Staatengemeinschaft auf ein neues weltweites Abkommen für den Erhalt der Natur geeinigt. Es legt fest, dass bis 2030 jeweils 30 Prozent der weltweiten Landes- und Meeresfläche unter Schutz gestellt werden muss. In die Freude über die Einigung in vielen wichtigen Bereichen des Naturschutzes mischen sich aber auch Mahnungen, dass nur bei konsequenter Umsetzung das Artensterben gestoppt werden kann.
Die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke zeigte sich erfreut: Staatengemeinschaft hat sich dafür entschieden, das Artenaussterben endlich zu stoppen. Nach langen und anstrengenden Verhandlungen ist uns eine Abschlussvereinbarung geglückt, die Entschlossenheit ausstrahlt.“Sie hob neben dem 30-Prozent-Ziel hervor, dass der Pestizideinsatz halbiert und umweltschädliche Subventionen abgebaut werden sollen. „Heute ist ein guter Tag für den weltweiten Natur- und Umweltschutz“, so die Grünen-Politikerin.
In Montreal hatte es lange Zeit nicht nach einer Einigung ausgesehen. Zu weit lagen die Vorstellungen der Staaten auseinander. Das 30-Prozent-Ziel bei den Schutzgebieten wurde zwar von Anfang als Notwendigkeit genannt, um das
Artensterben überhaupt stoppen zu können, aber die konkrete Zahl war noch nicht fixiert. Ein Knackpunkt war die Finanzierung. Auch hier gab es am Ende nach langem Ringen und einer Nachtsitzung eine Einigung, auch wenn sie nicht dem entspricht, was sich die Entwicklungsund Schwellenländer erhofft hatten. „Wir haben alles in unserer Macht Stehende unternommen, um zu Kollaboration, Kompromiss und Konsens zu kommen“, sagte Kanadas Umweltminister Steven Guilbeault, der Chefunterhändler
bei der Lösung von Konflikten war. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass wir konkrete Zahlen in dieses Abkommen bekommen. Das ist ein riesiger Erfolg“, sagte Lemke. Der WWF Deutschland bezeichnete die Festschreibung des Schutzes von 30 Prozent der weltweiten Land-, Süßwasser- und Meeresökosysteme bis 2030 als „vorgezogenes Weihnachtsgeschenk für den Planeten“.
Es sei ein „lückenhaftes, aber letztlich überraschend gutes Rahmenwerk“,
urteilte Florian Titze, Experte für internationale Politik beim WWF Deutschland. Das Abkommen biete die Möglichkeit, „unsere Lebensgrundlagen zu retten, wenn die Vertragsstaaten es denn wollen“. Die Staaten müssten den politischen Willen aufbringen, die Schwachstellen in der nationalen Umsetzung zu beheben, forderte er. Der Naturschutzbund Deutschland erklärte, trotz inhaltlicher Fortschritte werde das Weltnaturabkommen nicht ausreichen, um den Verlust der Artenvielfalt und Ökosysteme zu stoppen oder umzukehren. „Die Welt rast in der Natur- und Klimakrise auf einen Abgrund zu. Doch statt entschieden zu bremsen, geht sie lediglich etwas vom Gas“, kritisierte Präsident Jörg-Andreas Krüger.
Greenpeace sprach von einer „schwachen Vereinbarung“. Es sei als Erfolg zu bezeichnen, dass nach zähen Verhandlungen der Vertragsstaaten überhaupt eine Vereinbarung zustande gekommen ist. Die Weltnaturkonferenz habe mit einem „gemischten Ergebnis“geendet. „Die Massenvernichtungswaffe Mensch, die die Biodiversitätskrise maßgeblich vorantreibt, wurde nur bedingt entschärft“, sagte Jannes Stoppel von Greenpeace Deutschland. Die Mechanismen zur Garantie einer schnellen Umsetzung von Maßnahmen zur Erreichung der Ziele seien zwar da, jedoch zu schwach ausgestaltet.
Ebenfalls vereinbart wurde die
Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme: Bis 2030 sollen 30 Prozent dieser Gebiete „restauriert“, also wiederhergestellt und renaturiert werden. Die Länder sollen künftig melden, wie groß die unter Schutz gestellte Meeres- und Landfläche ist und welche Fortschritte sie bei der Renaturierung machen. Zu den Schwachstellen des Abkommens zählt nach Auffassung von Experten, dass es zu wenig Konkretes zur nachhaltigen Nutzung der Ökosysteme außerhalb von Schutzgebieten und zur Priorisierung von Gebieten mit besonderem Wert für die biologische Vielfalt enthalte.
Die finanzielle Unterstützung des „globalen Südens“war der „Knackpunkt“der Verhandlungen. Nach der 1992 beschlossenen Konvention über Biodiversität müssen die entwickelten Staaten den Entwicklungsländern finanziell helfen. Diese sind oft die artenreichsten Regionen. Die Schwellen- und Entwicklungsländer hatten 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr von den Industrieländern gefordert. Die Einigung der fast 200 Staaten sieht nun mindestens 20 Milliarden Dollar bis 2025 und mindestens 30 Milliarden bis 2030 vor. Als Finanzierungsziel wird im Vertrag ein Betrag von 200 Milliarden USDollar festgeschrieben. Das Abkommen enthält auch eine Zusage an die indigenen Völker, dass ihre Rechte respektiert und gestärkt werden.