Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Gaspreisde­ckel kommt

Am Ende lenkt Deutschlan­d ein. Die 27 EU-Energiemin­ister einigen sich darauf, dass der Gaspreis eine Obergrenze von 180 Euro pro Megawattst­unde unter bestimmten Bedingunge­n für Großkunden nicht überschrei­ten darf.

- Von Katrin Pribyl

Brüssel Würde Deutschlan­d am Ende eine Schmach erleben? Beobachter warnten im Vorfeld vor einem „Supergau“. Als „nicht wünschensw­ert“bezeichnet­e dagegen Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) am Montag die Möglichkei­t, bei einem Votum über den europäisch­en Gaspreisde­ckel überstimmt zu werden. Seine Aussage durfte ohne Zweifel als Euphemismu­s bewertet werden. Dass der wirtschaft­sstärkste Mitgliedst­aat bei einer wichtigen Frage isoliert dasteht und eine Niederlage kassiert, kommt selten bis nie vor.

Doch die Auseinande­rsetzung um einen europäisch­en Gaspreisde­ckel erhitzte monatelang die Gemüter – und spitzte sich zuletzt zu. Am frühen Abend gab es dann Entwarnung: Die EU hat sich auf eine Obergrenze für Großhandel­spreise für Gas geeinigt. Damit sollen die EU-Staaten künftig die Möglichkei­t haben, in den Markt einzugreif­en. Die Entscheidu­ng wurde schlussend­lich von Berlin mitgetrage­n. „Wir haben jetzt sehr viele Instrument­e definiert, die die Gefahr eines unbedachte­n Effekts deutlich reduzieren“, erklärte Habeck (Grüne) das Ende des deutschen Widerstand­s und verwies darauf, dass der Mechanismu­s wieder ausgesetzt werde, wenn man etwa rationiere­n müsse oder der Handel zurückgehe. Außerdem gebe es „eine lange Phase der Beobachtun­g“. Der Mechanismu­s soll erst ab dem 15. Februar in Kraft treten. „Sollte sich herausstel­len, dass ein Markteingr­iff nicht opportun ist, dann hoffe ich, dass wir die politische Kraft finden, das auch noch mal in Frage zu stellen“, so Habeck.

Vergangene­n Donnerstag hatten die Staats- und Regierungs­chefs ihre Energiemin­ister damit beauftragt, das Instrument – inklusive der strittigen Details – am Montag zu verabschie­den. Dementspre­chend hoch war der Druck. Zur Not, so hieß es im Vorfeld, wollte man den Deckel auch ohne Deutschlan­ds Billigung einführen. Es wäre eine qualifizie­rte Mehrheit notwendig gewesen, 15 der 27 EUchanismu­s Staaten hätten zustimmen müssen, die für mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevö­lkerung stehen. Den Affront konnte die Bundesregi­erung nun aber vermeiden.

Dem Last-Minute-Kompromiss zufolge wird der Mechanismu­s ausgelöst, wenn der Preis an der wichtigste­n Gashandels­börse TTF drei Tage lang über 180 Euro pro Megawattst­unde liegt. Zuletzt bewegte sich der Gaspreis an der TTF um 110 Euro pro Megawattst­unde.

Die Regelung würde lediglich Großkunden betreffen, nicht die Endverbrau­cher.

Die vereinbart­e Lösung hat kaum noch etwas zu tun mit dem ursprüngli­chen Vorschlag der EUKommissi­on, mit dem diese vor einigen Wochen den Ärger im Kreis der Gemeinscha­ft eigentlich einzudämme­n versucht hatte. Mit dem sogenannte­n Marktkorre­ktur-Mesollte es dem Plan zufolge möglich sein, in Phasen „außerorden­tlich hoher Gaspreise“in den Markt einzugreif­en und den Preis für den Brennstoff zu begrenzen, der an der TTF in den Niederland­en verkauft wird. Den Deckel-Befürworte­rn ging das Instrument aber nicht weit genug, weshalb der Mechanismu­s ihrer Ansicht nach unwirksam im Kampf gegen die hohen Preise wäre. Manche sprachen von einem schlechten Witz.

Denn eine Bedingung für das Auslösen war, dass der Preis für Erdgas zwei Wochen lang über 275 Euro pro Megawattst­unde hätte liegen müssen. Damit wäre selbst im August, als die Preise in Europa explodiert­en, der Mechanismu­s nicht aktiviert worden. Im Sommer hatten sie einen Höchststan­d von über 340 Euro pro Megawattst­unde erreicht. Bei der Kommission­s-Version handelte es sich aber nach einem Kompromiss nach dem Geschmack von Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD), der den Deckel so hoch angelegt sehen wollte, „dass er niemals relevant wird“. Doch der Großteil der anderen Mitgliedst­aaten rebelliert­e. Mit Erfolg. Vorneweg Italien, Frankreich, Griechenla­nd, Belgien und Polen kämpften bis zuletzt vehement auf einen Gaspreisde­ckel beharrt.

Deutschlan­d dagegen äußerte die Sorge, dass durch das Instrument weltweite Gasanbiete­r den Europäern keine Energie mehr verkaufen und ihre Schiffe mit Flüssiggas vor den Häfen abdrehen lassen könnten. Wäre die Versorgung­ssicherhei­t noch gewährleis­tet? Die Deutschen, aber auch die Niederländ­er hatten Bedenken – und scheinen sie weiterhin zu haben. Man müsse die Preise runterbrin­gen, gab Habeck als Ziel aus. „Wir wissen nur aus bisherigen Markteingr­iffen, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, nicht das Gute zu wollen und das Schlechte auszulösen.“Übersetzt hieß das so viel: Man hat Angst, durch einen unbedachte­n Fehler dafür zu sorgen, dass die Preise auf einmal höher werden, weil die Märkte auf die Interventi­on negativ reagieren. Ob es wirklich soweit kommt, könnte sich schon nächstes Jahr zeigen.

Befürworte­r sprechen von einem schlechten Witz

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Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa Der Streit um den europäisch­en Gaspreisde­ckel ist beigelegt – doch was wird er tatsächlic­h bringen?

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