Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zu Besuch beim König des Kakaos
Vor der Westküste Afrikas liegt das Inselreich São Tomé Principe. Hier produziert der Italiener Claudio Corallo die wohl beste Schokolade der Welt. Und hier verrät er ihr Geheimnis.
Pechschwarze Wolken sitzen auf den Felsnadeln in der Baia das Agulhas, Blitze zucken. Wie eine Zeichnung historischer Forschungsreisender wirkt dieses Panorama, wie eine Illustration aus dem Abenteuerroman „Die vergessene Welt“. Darin erzählt SherlockHolmes-Erfinder Arthur Conan Doyle die fantastische Geschichte einer Expedition, die in einem fernen Land Dinosaurier aufspürt. Sollten die Echsen aus der Urzeit tatsächlich irgendwo auf dem Globus überlebt haben, dann wohl hier, auf Príncipe, dieser Insel wie aus „Jurassic Park“.
Als mahnender Finger aus Vulkangestein reckt sich der Pico de Príncipe bis auf 947 Meter in die Höhe. Mal als Felsenturm, mal als Tafelberg wachsen auch seine nicht minder spektakulären Nachbarn direkt aus dem dampfenden Regenwald. An der Steilküste klatschen die Wellen an schwarze Lavabrocken. Doch in den kleinen Buchten zwischendrin leuchtet goldgelber Sand unter rauschenden Kokospalmen. Einmal an Land gegangen, entdeckt man im Grün des Dschungels jahrhundertealte Kakaoplantagen aus der Kolonialzeit. Unter dem Blätterdach mächtiger Blattwurzelbäume wachsen jene historischen Sorten, die der Italiener Claudio Corallo in die wohl beste Schokolade der Welt verwandelt.
Bislang kennen São Tomé und Príncipe nur ein paar eingeweihte Feinschmecker. Der Winzstaat mit gerade einmal 200.000 Einwohnern liegt 250 Kilometer westlich des afrikanischen Kontinents im Golf von Guinea. Das geografische Zentrum der Welt ist nur eine Fingerbreite entfernt: Der Nullmeridian verpasst das Land knapp, doch im Süden der Hauptinsel São Tomé kann man auf dem Inselchen Rolas am Äquator-Marker auch ein Erinnerungsfoto schießen. Vor über 500 Jahren landeten hier zum ersten Mal europäische Seefahrer und nahmen die noch menschenleeren Inseln für die portugiesische Krone in Besitz, als Versorgungsstation für die Schifffahrt zwischen Amerika, Afrika und Europa.
Dann kam der wirtschaftliche Aufschwung: Vor hundert Jahren produzierte die kleine Kolonie so viel Kakao wie kein anderes Land auf der Welt. 1975 entließ Portugal seine Perle über Nacht in die Unabhängigkeit. Doch weil es mit dem Kommunismus auch hier nicht klappte, verfielen die Plantagen, die man Roças nennt. Heute sind sie ein Dorado für Fotografen: Lianen ranken sich durch Maschinenhallen, Würgefeigen überwuchern die alten Wohnanlagen. Doch auf der Farm Terreiro Velho auf der Insel Príncipe ist es nun vorbei mit dem Dornröschenschlaf. Denn hier residiert Claudio Corallo, der König des Kakaos.
Wer eine schicke Boutique erwartet, wird überrascht sein. „Auf Äußerlichkeiten gebe ich nicht viel“, grinst der sympathische Italiener, der Besucher in T-Shirt und Flipflops empfängt. Fenster hat sein historisches Herrenhaus schon lange keine mehr, auch das Dach ist inzwischen undicht. Doch Claudio Corallo hat sein Leben in Afrika verbracht, ist also hart im Nehmen. Im Alter von über 70 Jahren verschwendet er auch keine Zeit an so etwas Unwichtiges wie Reparaturen. Er ist ein Fanatiker, ein Mann mit einer Mission, aber einer mit Charme und Humor. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang widmet er jede Minute erst den Kakaopflanzen auf seiner Plantage und dann der Weiterverarbeitung der geernteten reifen Schoten. Er treibt einen irren Aufwand, der sich am Ende aber auszahlt: Claudio Corallos Schokolade schmeckt viel aromatischer und intensiver als alles, was man anderswo kosten kann. Chocolatiers gibt es unzählige, doch nahezu alle kaufen sie ihren Rohstoff von Händlern. Auf Anbau, Ernte und Verarbeitung des Kakaos nehmen sie keinen Einfluss, sondern nutzen das fertige Produkt für Pralinen oder Tafeln. Als Erster seines Fachs baut Corallo seinen Kakao selbst an. „Es sind jene alten Sorten, die vor 200 Jahren aus Brasilien eingeführt worden sind und anderswo längst nicht mehr wachsen.“Moderne Hybridsorten bringen zwar mehr Ertrag. „An den Geschmack der alten Sorten kommen die Neuzüchtungen nicht heran.“
Rot, gelb und orange leuchten die Schoten im dichten tropischen Grün, wenn sie geerntet werden. Das wochenlange Fermentieren der herausgelösten Bohnen, das behutsame Trocknen, das erst nach unzähligen Versuchen perfektionierte Rösten: Alles machen sie hier selbst und von Hand. Am Ende wird Bohne für Bohne auch ein winzig kleiner Trieb aussortiert,
Kaum zu glauben: Die Kakaostücke passen sogar zu Tagliatelle Bolognese
der für Fehlaromen sorgt. „Bitterkeit ist bei Schokolade immer ein Defekt“, sagt der Meister. „Wenn der Kakao gut ist, braucht man auch keine Vanille oder andere Zusatzstoffe.“Das unterscheidet Corallos Produkte von industriell hergestellter Schokolade.
Schokolade mit 75, 80, gar 100 Prozent Kakao entsteht in Corallos Manufaktur, dazu Kreationen mit Ingwer, Orangenschalen, Meersalz und Pfeffer. Über einen Onlineshop werden die Delikatessen in der ganzen Welt vertrieben. Inzwischen sind auch die Köche vor Ort auf den Geschmack gekommen und experimentieren mit der Schokolade des Maestros. Das Restaurant der Lodge Praia Sundy serviert Gästen ein ganzes Schokoladenmenü. Da gibt es eine Tapenade aus zerstoßenen Kakaobohnen, Olivenöl, Kapern und Sardellen, dann Gnocchi mit Oktopus und einer Paste aus 100 Prozent Kakao und später Tagliatelle Bolognese, in die kleine Kakaostückchen gemixt worden sind.
Eine gute Dreiviertelstunde braucht die Propellermaschine von São Tomé nach Príncipe, wo man bislang keine Dinosaurier oder andere Monstertiere gefunden hat. Trotzdem ist die Schokoladeninsel ein Hotspot der Artenvielfalt: Viele Pflanzen und Tiere, die hier vorkommen, gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Die Unesco hat Príncipe deshalb zum Biosphärenreservat ernannt. Wer mit den Guides durch den Wald stapft, kann sich auch im 21. Jahrhundert noch als Entdecker fühlen, darf dann aber zurück in seine komfortable Strandunterkunft. Man setzt auf Ökotourismus und eine nachhaltige Entwicklung. Príncipes größter Luxus aber ist, dort fast alleine unterwegs zu sein. Selbst am Praia Banana ist nichts los, dort, wo in den 90er-Jahren ein Werbespot für eine Rum-Marke gedreht wurde. Der Clip ist total verkitscht, doch darauf kommt es nicht an – sondern auf die Begleitmusik. Die klingt nämlich nicht nur nach Karibik, sondern ist auch der passende Soundtrack für Príncipe. „Nothing is as nice as finding paradise“, heißt es in dem Song: Es gibt nichts Schöneres, als das Paradies zu finden – hier, auf der Schokoladenseite des Äquators.