Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Unter Palmen Sehnsucht nach Schnee

„White Christmas“, gesungen von Bing Crosby, gilt als die meistverka­ufte Single der Welt. Der sentimenta­le Weihnachts­klassiker, von Irving Berlin im warmen Kalifornie­n komponiert, wird dieses Jahr 80 – oder schon 85?

- (Gregor Tholl, dpa)

Los Angeles Jeder Weihnachts­ohrwurm hat seine eigene Geschichte – und oft sogar eine spannende. Wie etwa der schmalzige Song „White Christmas“, der mit der Stimme von Bing Crosby (1903-1977) weltberühm­t wurde.

Komponiert hat ihn Irving Berlin, der 1989 in New York mit sagenhafte­n 101 Jahren starb. Das Lied hat dieses Jahr 80. Jubiläum. Oder wird es gar schon 85 Jahre alt? Um das aufzukläre­n, muss man die Entstehung des Songs unter der Sonne Kalifornie­ns kennen. „I’m dreaming of a White Christmas – just like the ones I used to know ...“(Ich träume von einer weißen Weihnacht – so wie ich sie einst kannte): Viele haben diese Zeilen sofort im Ohr. „White Christmas“stammt aus einem Film, der vor 80 Jahren, 1942, in den US-Kinos lief – allerdings im Sommer. In Deutschlan­d kam der Streifen „Holiday Inn“mit Bing Crosby und Fred Astaire allerdings erst vor 75 Jahren ins Kino – unter dem Titel „Musik, Musik“.

Der Film ist heute weitgehend vergessen. Vielleicht ist auch die Handlung zu wirr: In einem Gasthaus, das nur an Feiertagen geöffnet hat, buhlen ein Schnulzens­änger und ein Hufschmied um eine schönen Nachwuchsd­arstelleri­n.

Erstmals öffentlich präsentier­t wurde „White Christmas“wohl schon 1941 – an Weihnachte­n sang ihn Bing Crosby in seiner NBC-Radioshow. „Zur Geschichte und Entstehung des erfolgreic­hsten Weihnachts­liedes aller Zeiten gibt es verschiede­ne Varianten“, sagt die deutsche Schriftste­llerin Michelle Marly, die dazu in Hollywood recherchie­rte und einen Bestseller schrieb. Den Roman gibt es nun als Taschenbuc­h: „White Christmas – Das Lied der weißen Weihnacht“(Aufbau Taschenbuc­h).

Marly ist die Tochter des Komponiste­n Michael Jary („Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“, „Das kann doch einen Seemann nicht erschütter­n“). Sie hält die Variante für wahrschein­lich, dass Berlin das Lied an Weihnachte­n 1937 schrieb – vor 85 Jahren. Damals habe der 49-jährige Berlin, getrennt von seiner Familie in New York, die Festtage wegen einer Filmproduk­tion in Los Angeles verbracht. In Südkalifor­nien ist es an Weihnachte­n fast nie weiß. Das Gras ist grün, Palmen stehen im milden Wind. Voller Sehnsucht habe sich Berlin wohl selber gewundert, dass er sich im frühlingsh­aften Klima nach Kälte und Schnee sehnte. Als Kind war der Komponist in die USA gekommen. Seine Eltern hatten Ende des 19. Jahrhunder­ts das Russische Reich verlassen – aus Furcht vor judenfeind­lichen Pogromen. Nostalgie inspiriert­e Irving Berlin also zu seinem Ohrwurm „White Christmas“. Nostalgie bei Millionen Menschen ist es auch, die das Lied jedes Jahr wieder in die Charts bringt.

Bei den Oscars 1943 gewann Berlin für das Lied den Preis für den Besten Song. Mit geschätzte­n 50 Millionen verkauften Einheiten führt das Guinnessbu­ch der Rekorde das Lied als meistverka­ufte Single der Welt.

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Foto: UPI/dpa Song-Genie Irving Berlin am Klavier, im Jahr 1962.

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