Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Werden und Vergehen

Die Fotografin Herlinde Koelbl präsentier­t in Augsburg den völlig neuen Werkzyklus „Metamorpho­sen“. Erstmals spielt bei ihr nicht der Mensch, sondern die Natur die Hauptrolle.

- Von Richard Mayr

Augsburg Berühmt geworden ist die Fotografin Herlinde Koelbl für ihren besonderen Blick, aber auch ihre Ausdauer und Hartnäckig­keit. Lange hat sie an ihren großen Themen gearbeitet, ob nun für „Das deutsche Wohnzimmer“, „Starke Frauen“oder „Spuren der Macht“. Immer ist auf ihren Bildern mehr als nur ein Porträt zu sehen, hat sie da auch in ihren Aufnahmen Geschichte­n sichtbar gemacht. Nun hat sich Koelbl noch einmal als Fotografin etwas vollkommen Anderem zugewandt: erstmals nicht den Menschen, sondern der Natur.

„Metamorpho­sen“heißt die Ausstellun­g im Augsburger H2-Zentrum für Gegenwarts­kunst. Die 83-Jährige präsentier­t darin über 80 neue Arbeiten ihres neuen Werkzyklus, entstanden in den zurücklieg­enden sieben Jahren. Koelbl hat darin das Verwelken, das Vergehen von Pflanzen festgehalt­en, den Moment der Verwandlun­g, wenn das Leben weicht. Blüten, die verschrump­eln, Farben, die verblassen, Formen, die sich auflösen. Versammelt ist ein großer Abgesang, das Schöne, das gerade schwindet.

Gleichzeit­ig wirkt auch dieses Vergehen, das Koelbl festgehalt­en hat, geradezu verschwend­erisch opulent. Die Farben schimmern oft, sind nicht mehr genau zu benennen, wechseln gerade in andere, dunklere Tönungen. Die Blütenblät­ter kräuseln sich zu bizarren Formen. Manchmal meint man, ein Gesicht zu entdecken, dann wieder eine strenge geometrisc­he Form oder etwas Grafisches. So wie einen Wolken immer wieder dazu anregen, etwas in den willkürlic­hen Formatione­n zu entdecken, lässt sich das auch im H2 bei diesen Naturaufna­hmen machen. Die Gedanken können, ja sollen das munter fortspinne­n.

Die Einblicke und Ausschnitt­e, die Koelbl gefunden hat, schaffen eine weitere Ebene. Oft werden die Objekte dadurch aus ihren Hintergrün­den gelöst, verlieren ihren Bezug und Kontakt zur Umwelt und wirken dadurch umso intensiver aus sich heraus. Das Geläufige, das Bekannte, hier wirkt es fremd und anders, ja verwandelt, oft auch erhaben in dem Vergehen. Mit dem Titel „Metamorpho­sen“liegt Koelbl goldrichti­g. Der Titel weist den Weg, was da alles gesehen werden kann.

Für die Künstlerin bedeutet dieser neue Werkzyklus keinen Bruch, sondern eine folgericht­ige Fortentwic­klung ihres fotografis­chen Schaffens. „Ich bin nicht der Menschen müde geworden“, sagt sie am Rande der Ausstellun­gseröffnun­g. „Im Gegenteil, es ist eine Erweiterun­g. Früher war ich immer auf den Menschen fokussiert, jetzt habe ich mich auch der Natur zugewandt.“Wie bei ihren anderen großen Serien legt sie auch bei den Naturaufna­hmen das Augenmerk auf die Veränderun­g.

Genauso wie bei ihren anderen Serien war auch bei den Naturaufna­hmen der Schlüssel für alles die Offenheit und Zuwendung im Blick, die Achtsamkei­t der Fotografin. Es sind keine zufällig im Vorbeigehe­n entstanden­en Schnappsch­üsse, die Koelbl präsentier­t, sondern Aufnahmen, die durch langes und genaues Hinsehen entstanden sind. Nur so kamen diese Schnitte, diese Perspektiv­en und dadurch auch die zusätzlich­en Ebenen hinzu. Manches Bild wirkt wie eine abstrakte Arbeit, wie die Lust der Natur auf das Spiel mit der Form.

In dem Vergehen steckt natürlich auch das Gegenteil, das große Verspreche­n der Natur in jedem Herbst und Winter, dass es auch wieder einen Frühling, ein neues Wachstum, eine neue Blüte geben wird. Der Mensch weiß das, wenn er die vergehende Natur in ihrem ewig sich fortspinne­nden Kreislauf sieht.

Wer möchte, kann sich ausgehend von diesen Bildern in die große Menschheit­sliteratur hin begeben, also zum Beispiel zu Ovid und seinen „Metamorpho­sen“– oder zum großen deutschen Philosophe­n des Werdens und Vergehens, zu Friedrich Nietzsche und dessen Gedanken von der ewigen Wiederkehr. Einmal macht Koelbl das überdeutli­ch, einmal wechselt sie mit zwei Bildern auf die menschlich­e Ebene, hier ein Säugling bei seinem ersten Schrei, dort, direkt daneben, alte, faltig gewordene Haut.

Zum Schönen, oder besser noch, Großartige­n dieser Fotografie­n gehört, dass diese geistigen Ausflüge nicht wichtig sind, dass die Arbeiten auch frei von solcher Aufladung etwas transporti­eren. Die Hängung und der stete Wechsel verschiede­n großer Formate führen immer wieder zu neuen Wahrnehmun­gen, hier rückt stärker die gesamte Kompositio­n in den Blick und dort das Detail. Auch die Betrachter­in und der Betrachter sollen sich wie die Fotografin auf das Abenteuer des Sehens einlassen – und dazu gehört: anzuhalten, innezuhalt­en und immer wieder auch den Abstand zu ändern.

In einer Videoarbei­t führt Koelbl vor, wie sie beim Natur-Fotografie­ren vorgeht, zeigt, wie nah sie den Pflanzen kommt und wie sich der Blick immer wieder auf Neues richtet. Man spürt in manchen Augenblick­en, dass da gerade ein fertiges Bild auf der Leinwand zu sehen ist, dann wandert der Blick weiter, öffnet sich Neuem, wird wieder vager, unbestimmt­er. In einer Diaserie hat Koelbl dann Ausschnitt­e von Grabsteine­n festgehalt­en und immer auch ein wenig von dem umgebenden Grün, das Werden und Vergehen von Menschen liegt da maximal verkürzt vor: auf zwei Jahreszahl­en und einen Namen. Damit öffnet Koelbl noch einmal einen großen Raum: hier die Natur mit ihren Ewigkeitsz­yklen, dort das Individuum in seiner Endlichkei­t. Dieser Gegensatz berührt das Menschsein an sich: der Mensch im Zwiespalt, als Teil der Natur und als ein mit der Gewissheit des Todes lebender Fremdkörpe­r.

Die Ausstellun­g „Metamorpho­sen“ist bis zum 23. April im H2-Zentrum für Gegenwarts­kunst in Augsburg zu sehen, geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr. Im Steidl Verlag erscheint demnächst der Bildband „Metamorpho­sen“von Herlinde Koelbl, in dem viele Fotografie­n der Ausstellun­g enthalten sind (160 Seiten, 45 Euro).

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 ?? Fotos: Herlinde Koelbl ?? Immer wieder auch Blüten, die gerade im Verwelken sind, hat die Fotografin Herlinde Koelbl in ihrem neuen Werkzyklus „Metamorpho­sen“festgehalt­en.
Fotos: Herlinde Koelbl Immer wieder auch Blüten, die gerade im Verwelken sind, hat die Fotografin Herlinde Koelbl in ihrem neuen Werkzyklus „Metamorpho­sen“festgehalt­en.
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Foto: Klaus Rainer Krieger Mit ihren großen Langzeitpr­ojekten hat sich die Fotografin Herlinde Koelbl einen Namen gemacht. Nun hat sie erstmals nicht den Menschen in den Blick genommen, sondern die Natur.

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