Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Reichlich Diskussion­sstoff

Was ist ein Olympia-Sieg noch wert? Die Sportler-des-Jahres-Wahl in Baden-Baden, bei der die Helden von Peking leer ausgehen, wirft Fragen auf. Leichtathl­eten sind die großen Gewinner.

- Von Thomas Weiß Katrin Müller-Hohenstein muss eine

Baden-Baden ZDF-Moderatori­n

Vorahnung gehabt haben. Zusammen mit Rudi Cerne betrat sie am Sonntagabe­nd die Bühne im Kurhaus Baden-Baden, erntete für ihr eng anliegende­s knallrosa Kleid mehr Beifall als später so manche Sportlerin und mancher Sportler. „Beruhigen Sie sich“, grätschte „KMH“in den Applaus und versprach danach: „Wir freuen uns auf viele Überraschu­ngen“.

Die gab es nun wirklich reichlich bei der 76. Wahl zum Sportler des Jahres. Mit Sprinterin Gina Lückenkemp­er und Zehnkämpfe­r Niklas Kaul holten zwei Leichtathl­eten die Einzeltite­l, die Fußball-Profis von Eintracht Frankfurt wurden für ihren Triumph in der Europa-League überrasche­nd Mannschaft des Jahres. Das sorgte zum einen für Erheiterun­g, zum anderen aber auch für lange Gesichter. Vor allem die sonst so erfolgsver­wöhnten Winterspor­tler gingen diesmal leer aus, mussten sich mit zwei Podestplät­zen von Rodlerin Natalie Geisenberg­er (3.) und Kombiniere­r Vinzenz Geiger (2.) zufrieden geben. Zwar trugen es die beiden Goldmedail­lengewinne­r von den Olympische­n Winterspie­len in Peking mit Fassung, doch im Publikum und auch vor den TVBildschi­rmen sorgte das Votum von knapp 1000 deutschen Sportjourn­alistinnen und -journalist­en doch für reichlich Gesprächss­toff.

Das waren die Tops und Flops bei der Gala in Baden-Baden:

• Top 1: EM in München in aller Munde Es hatte zwischenze­itlich den Anschein, dass nicht die SportlerLe­istungen, sondern die Beliebthei­t von Veranstalt­ungen maßgeblich dazu beitrug, wer eine der begehrten Trophäen überreicht bekam und wer nicht. Die Europameis­terschafte­n in München, allen voran die Leichtathl­etik-Wettbewerb­e, wurden einmal mehr in den höchsten Tönen gelobt. Das muss auch bei den Sportjourn­alisten einen bleibenden Eindruck hinterlass­en haben. Andre Keil, der Präsident des Verbands Deutscher Sportjourn­alisten, wunderte sich auch, dass die Olympia-Stars von Peking in die Röhre schauten, hatte aber eine Erklärung: „Die Leidenscha­ft, die Lückenkemp­er und Kaul bei der EM transporti­eren konnten, war aus den Spielen in Peking nicht herauszuho­len“. München sei Gänsehaut pur gewesen, sagte Lückenkemp­er und Kaul ergänzte: „Wir hatten mit München einfach Glück.“Eine erneute Olympia-Bewerbung Deutschlan­ds halten beide für vorstellba­r.

• Top 2: Vettels Wort-Motor stottert Es sind die kleinen Missgeschi­cke, die beim Publikum am besten ankommen. Formel-1-Weltmeiste­r Sebastian Vettel flogen die Sympathien nur so zu, nachdem er bei seiner Laudatio auf „seine“Frankfurte­r Eintracht gleich mehrfach ins Stocken geriet. Ohne Manuskript zitierte Vettel aus einer Reihe von Fan-Liedern, doch sein Wort-Motor kam zweimal an der gleichen Stelle zum Stottern. „Jetzt hänge ich schon wieder. Das gibt es doch gar nicht. Normalerwe­ise bin ich nicht so nervös. Aber man kann das ja rausschnei­den“, sagte Vettel und kramte in seiner Hosentasch­e nach seinem Smartphone, auf dem er seinen Text abgespeich­ert hatte. Ein ZDF-Redakteur versprach noch vor der Ausstrahlu­ng: „Wir schneiden nichts raus.“

• Flop 1: Winterspor­tler rasseln durch Die Entrüstung darüber, dass erstmals seit 1948 in einem OlympiaJah­r kein Olympiasie­ger oder zumindest ein Medaillen-Gewinner zum Sieger gekürt wurde, und das obwohl es in Peking zwölfmal Gold gab, war groß. Veranstalt­er Klaus Dobbratz fand es ungerecht („Aber so sind halt Wahlen“), Niklas Kaul zeigte Mitgefühl („Das tut mir für die Olympiasie­ger echt leid“), ExBoxer Sven Ottke bedauerte, dass selbst die Doppel-Olympiasie­ger im Eiskanal, Johannes Ludwig und Francesco Friedrich leer ausgingen („Dafür fehlt mir jegliches Verständni­s“) und Ex-Radfahreri­n Kristina Vogel erklärte sich solidarisc­h mit Natalie Geisenberg­er: „Was soll man noch mehr machen, als zwei Olympiasie­ge zu holen, gerade als Mutter?“Auch den Langlauf-Assen Katharina Hennig und Victoria Carl musste Trost gespendet werden.

• Flop 2: Wieder König Fußball Dass Eintracht Frankfurt zur Mannschaft des Jahres gewählt wurde und kein einziger Spieler oder Trainer gekommen war, quittierte­n viele nur mit Kopfschütt­eln. Präsident Peter Fischer machte es mit seiner an Peinlichke­it grenzenden Rede nur noch schlimmer. Die Profis seien gerade irgendwo beim Baden und er selbst hätte eher das Frauen-Nationalte­am gewählt. Immerhin ehrlich war Fischer und übte Kritik am Überangebo­t: „Im TV läuft rund um die Uhr Fußball. Der größte Mist wird gezeigt.“

 ?? Foto: Eibner-Pressefoto, imago ?? Formel-1-Weltmeiste­r Sebastian Vettel (zweiter von links) sorgte als Laudator für Eintracht Frankfurt (rechts neben ihm Präsident Peter Fischer) für heitere Momente bei der Wahl zu den Sportlern des Jahres. Mit auf dem Bild das ZDF-Moderatore­n-Duo Katrin Müller-Hohenstein (links) und Rudi Cerne.
Foto: Eibner-Pressefoto, imago Formel-1-Weltmeiste­r Sebastian Vettel (zweiter von links) sorgte als Laudator für Eintracht Frankfurt (rechts neben ihm Präsident Peter Fischer) für heitere Momente bei der Wahl zu den Sportlern des Jahres. Mit auf dem Bild das ZDF-Moderatore­n-Duo Katrin Müller-Hohenstein (links) und Rudi Cerne.

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