Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Reichlich Diskussionsstoff
Was ist ein Olympia-Sieg noch wert? Die Sportler-des-Jahres-Wahl in Baden-Baden, bei der die Helden von Peking leer ausgehen, wirft Fragen auf. Leichtathleten sind die großen Gewinner.
Baden-Baden ZDF-Moderatorin
Vorahnung gehabt haben. Zusammen mit Rudi Cerne betrat sie am Sonntagabend die Bühne im Kurhaus Baden-Baden, erntete für ihr eng anliegendes knallrosa Kleid mehr Beifall als später so manche Sportlerin und mancher Sportler. „Beruhigen Sie sich“, grätschte „KMH“in den Applaus und versprach danach: „Wir freuen uns auf viele Überraschungen“.
Die gab es nun wirklich reichlich bei der 76. Wahl zum Sportler des Jahres. Mit Sprinterin Gina Lückenkemper und Zehnkämpfer Niklas Kaul holten zwei Leichtathleten die Einzeltitel, die Fußball-Profis von Eintracht Frankfurt wurden für ihren Triumph in der Europa-League überraschend Mannschaft des Jahres. Das sorgte zum einen für Erheiterung, zum anderen aber auch für lange Gesichter. Vor allem die sonst so erfolgsverwöhnten Wintersportler gingen diesmal leer aus, mussten sich mit zwei Podestplätzen von Rodlerin Natalie Geisenberger (3.) und Kombinierer Vinzenz Geiger (2.) zufrieden geben. Zwar trugen es die beiden Goldmedaillengewinner von den Olympischen Winterspielen in Peking mit Fassung, doch im Publikum und auch vor den TVBildschirmen sorgte das Votum von knapp 1000 deutschen Sportjournalistinnen und -journalisten doch für reichlich Gesprächsstoff.
Das waren die Tops und Flops bei der Gala in Baden-Baden:
• Top 1: EM in München in aller Munde Es hatte zwischenzeitlich den Anschein, dass nicht die SportlerLeistungen, sondern die Beliebtheit von Veranstaltungen maßgeblich dazu beitrug, wer eine der begehrten Trophäen überreicht bekam und wer nicht. Die Europameisterschaften in München, allen voran die Leichtathletik-Wettbewerbe, wurden einmal mehr in den höchsten Tönen gelobt. Das muss auch bei den Sportjournalisten einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Andre Keil, der Präsident des Verbands Deutscher Sportjournalisten, wunderte sich auch, dass die Olympia-Stars von Peking in die Röhre schauten, hatte aber eine Erklärung: „Die Leidenschaft, die Lückenkemper und Kaul bei der EM transportieren konnten, war aus den Spielen in Peking nicht herauszuholen“. München sei Gänsehaut pur gewesen, sagte Lückenkemper und Kaul ergänzte: „Wir hatten mit München einfach Glück.“Eine erneute Olympia-Bewerbung Deutschlands halten beide für vorstellbar.
• Top 2: Vettels Wort-Motor stottert Es sind die kleinen Missgeschicke, die beim Publikum am besten ankommen. Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel flogen die Sympathien nur so zu, nachdem er bei seiner Laudatio auf „seine“Frankfurter Eintracht gleich mehrfach ins Stocken geriet. Ohne Manuskript zitierte Vettel aus einer Reihe von Fan-Liedern, doch sein Wort-Motor kam zweimal an der gleichen Stelle zum Stottern. „Jetzt hänge ich schon wieder. Das gibt es doch gar nicht. Normalerweise bin ich nicht so nervös. Aber man kann das ja rausschneiden“, sagte Vettel und kramte in seiner Hosentasche nach seinem Smartphone, auf dem er seinen Text abgespeichert hatte. Ein ZDF-Redakteur versprach noch vor der Ausstrahlung: „Wir schneiden nichts raus.“
• Flop 1: Wintersportler rasseln durch Die Entrüstung darüber, dass erstmals seit 1948 in einem OlympiaJahr kein Olympiasieger oder zumindest ein Medaillen-Gewinner zum Sieger gekürt wurde, und das obwohl es in Peking zwölfmal Gold gab, war groß. Veranstalter Klaus Dobbratz fand es ungerecht („Aber so sind halt Wahlen“), Niklas Kaul zeigte Mitgefühl („Das tut mir für die Olympiasieger echt leid“), ExBoxer Sven Ottke bedauerte, dass selbst die Doppel-Olympiasieger im Eiskanal, Johannes Ludwig und Francesco Friedrich leer ausgingen („Dafür fehlt mir jegliches Verständnis“) und Ex-Radfahrerin Kristina Vogel erklärte sich solidarisch mit Natalie Geisenberger: „Was soll man noch mehr machen, als zwei Olympiasiege zu holen, gerade als Mutter?“Auch den Langlauf-Assen Katharina Hennig und Victoria Carl musste Trost gespendet werden.
• Flop 2: Wieder König Fußball Dass Eintracht Frankfurt zur Mannschaft des Jahres gewählt wurde und kein einziger Spieler oder Trainer gekommen war, quittierten viele nur mit Kopfschütteln. Präsident Peter Fischer machte es mit seiner an Peinlichkeit grenzenden Rede nur noch schlimmer. Die Profis seien gerade irgendwo beim Baden und er selbst hätte eher das Frauen-Nationalteam gewählt. Immerhin ehrlich war Fischer und übte Kritik am Überangebot: „Im TV läuft rund um die Uhr Fußball. Der größte Mist wird gezeigt.“