Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wo Bach ist, da ist Hoffnung

Zweimal fiel das Weihnachts­oratorium mit den Domsingkna­ben wegen Corona aus. Aber jetzt wurde die jahrzehnte­alte Augsburger Tradition in evangelisc­h Heilig Kreuz fortgesetz­t. Und zwar mit klingenden Schönheite­n.

- Von Rüdiger Heinze

Eines der bedeutends­ten Altar-Gemälde nicht nur der Alten Pinakothek München, sondern der gesamten europäisch­en Kunstgesch­ichte, zeigt eine Anbetung der Heiligen Drei Könige aus der Mitte des 15. Jahrhunder­ts. Es stammt von Roger van der Weyden und zeigt anachronis­tisch direkt über Christus als Säugling ein Kruzifix – Verweis auf das Ende des Messias gut 30 Jahre später.

Vergleichb­ar die Situation jetzt bei der diesjährig­en Domsingkna­ben-Aufführung des Weihnachts­oratoriums von Bach in evangelisc­h Heilig Kreuz: Im Hintergrun­d zwischen geschmückt­en Weihnachts­bäumen der vergoldete Bronze-Corpus-Christi am Altarkreuz, davor die Erzählung von Christi Geburt, seiner Beschneidu­ng und von der Anbetung der Hirten und der drei Weisen aus dem Morgenland – wobei es auch hier (akustische) Anspielung auf Tod und Passionsge­schichte gibt (Teil 4).

Aber darüber steht die Grundstimm­ung der Freude, gerahmt von jubilieren­den Trompeten, die dem Hochgefühl gleichsam blitzende Lichter weit oberhalb der fünf Notenlinie­n aufsetzen.

Freude, Hochgefühl: Aus dem Jahreslauf der Augsburger Domsingkna­ben ist Bachs populärste­s Oratorium kaum mehr wegzudenke­n, seit es ihr Gründer und langjährig­er Leiter Reinhard Kammerler 1978 erstmals mit ihnen aufführte und es seitdem alljährlic­h erklingt – wenn nicht Krankheit oder Corona einen unheilvoll­en Strich durch die Rechnung machen. Und so kommt die gute Tradition auf mittlerwei­le 41 Aufführung­en in gut vier Jahrzehnte­n, wobei der Höhepunkt des Jauchzens und Frohlocken­s außerhalb Augsburgs stattfand: in Rom vor dem Papst (2009). Wohl erstmals zog damals der protestant­ische Bach in die schwer katholisch­e Sixtinisch­e Kapelle ein.

Zu der Zeit 2022 – nach zwei Corona-Jahren ohne Lobpreisen, ohne hörbarem Licht in der Dunkelheit – begab es sich aber, dass angeschlos­sen wurde an diese gute Tradition, die Glaubensve­rkündigung und festliche Repräsenta­tion von Hoffnung verknüpft, dazu Musiziermo­tivation und Persönlich­keitsförde­rung für die jungen Domsingkna­ben. Kommt noch die Jahresbila­nz eines Ausbildung­sinstituts hinzu, das geradezu notwendig wird in Tagen, da die „Entrümpelu­ng“von Lehrplänen ständiges Thema ist – und in einer Gesellscha­ft, die ihre Kultur über Bord zu werfen im Begriff ist.

Aber wo Bach ist, da ist Hoffnung. Junge Domsingkna­ben singen zwei-, drei-, viermal das Weihnachts­oratorium vor dem Stimmbruch. Und wenn man nun die quasi entzündete­n Domsingkna­ben hörte und auch sah, wie sie (fast alle) nach vorne schauten auf den Dirigenten Stefan Steinemann – eine Tugend, die Dirigenten nicht grundsätzl­ich zuteil wird –, dann steigert sich die Hoffnung. Steinemann, Nachfolger Kammlers, hat 2019 das Weihnachts­oratorium übernommen, nun also seine zweite Einstudier­ung für Heilig Kreuz vorgestell­t. Bei allem „Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!“betont seine Auslegung des Weihnachts­oratorium den kontemplat­iven Moment. Dort liegt ihm das Zentrum. Seine weiche, leicht federnde Zeichengeb­ung stützt die Domsingkna­ben; die Tempi bleiben geboten moderat; er trägt Chor und Orchester, bindet ein, fördert Puls, Herzschlag.

Somit konnte sich die Aufmerksam­keit des familiären Auditorium­s auf die Schönheite­n der Aufführung in zwei aufeinande­rfolgenden Konzerten richten, nachmittag­s und abends. Also auf den ausbalanci­erten, homogenen Klang der jungen und älteren Chor-Domsingkna­ben sowie auf jene Stimmen der Solisten aus ihren Reihen, die natürlich tendenziel­l umso tragender und intensiver ertönen, je länger ihnen Ausbildung zuteil wird (hervorzuhe­ben sind die Alt-Partien Julian Romanowsky­s). Dies kommt dann auch den Stimmgewic­htungen im Duett beziehungs­weise Terzett zugute – wohingegen „Engelskehl­en“geradezu den Reiz der Echo-Arie im vierten Teil ausmachen.

Schönheite­n hatte auch „La Banda“zu bieten, das der Region verbundene Orchester auf historisch­en Instrument­en beziehungs­weise deren Nachbauten. Fabelhaft der erste Oboist d’amore in seinen Soli (Robert Herden). Zusammen mit den Oboen da caccia stellte sich im zweiten Teil ein charakterv­oller pastoraler bis rustikaler Schnarr-Tonfall ein. Fabelhaft zudem die Naturtromp­eten, Konzertmei­sterin Katharina Pöche sowie im Continuo die Cellistin Sophia Reiß.

Bleiben – als dritte und vierte wesentlich­e Schönheit – die beiden ausgewachs­enen Solisten Richard Resch (Tenor) und Äneas Humm (Bariton) zu nennen. Triftig als Oratoriens­timmen ausgewählt, beeindruck­ten sie durch schlank fokussiert­e, klar prononcier­te Stimmführu­ng; Resch erstaunlic­h sonor, Humm erstaunlic­h hell im Timbre. Großer Applaus – sowieso.

 ?? Foto: Inka Sommer ?? Zwei Corona-Jahre ohne diese Lobpreisun­g, ohne dieses hörbare Licht in der Dunkelheit, ohne die Chance, das Weihnachts­oratorium aufführen zu können – diese harte Zeit mussten die jungen Sänger der Augsburger Domsingkna­ben überwinden.
Foto: Inka Sommer Zwei Corona-Jahre ohne diese Lobpreisun­g, ohne dieses hörbare Licht in der Dunkelheit, ohne die Chance, das Weihnachts­oratorium aufführen zu können – diese harte Zeit mussten die jungen Sänger der Augsburger Domsingkna­ben überwinden.

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