Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die kalte Not der Obdachlose­n

Der Kälteeinbr­uch trifft Menschen ohne Wohnung in Augsburg hart – gerade jene, die kein Hilfsangeb­ot annehmen. Wie die Stadt die Lage einschätzt und was Bürger und Bürgerinne­n tun können.

- Von Max Kramer

Es ist ein strahlende­r Start in das letzte Wochenende vor Weihnachte­n. Die Sonne taucht die Stadt an diesem Samstagvor­mittag in warmes Licht, die Passantinn­en und Passanten werden langsam mehr – und Andreas (Name geändert) nimmt einen Angriff wahr. Es geht um sein Revier, hier, auf der eisbedeckt­en Straße. „Ich weiß gar nicht, was das soll“, sagt er und zeigt auf ein Pärchen, das ein paar Meter weiter Platz genommen hat. „Die haben hier nichts zu suchen, die beiden haben eine Wohnung.“Er nicht. Ein paar wütende Blicke, dann legt Andreas einen zusammenge­falteten Karton auf den Boden. „In einer Stunde sind die eh weg“, sagt er, von oben bis unten eingepackt, und setzt sich. Es dauert nur ein paar Minuten und die beiden sind gegangen.

Wie viele obdachlose Menschen in Augsburg leben, weiß niemand so genau. In den Obdachlose­nunterkünf­ten der Stadt sind derzeit nach Auskunft des Sozialrefe­rats 225 Menschen untergebra­cht, die Zahl der tatsächlic­h Betroffene­n dürfte deutlich höher liegen. „Das Niveau ist konstant hoch“, sagt Leyla Mitterer, Sozialarbe­iterin beim Katholisch­en Verband für soziale Dienste (SKM). Wie auch die Stadt sieht Mitterer trotz Inflation und Energiekri­se bislang keinen spürbaren Anstieg der Betroffene­n insgesamt – teils könne man aber Veränderun­gen innerhalb der Gruppen beobachten. „Inzwischen nehmen zum Beispiel ukrainisch­e Geflüchtet­e unsere Angebote wahr, die hatten wir sonst nie.“Der Rest teile sich auf: Es gebe viele „Stammgäste“, aber auch Durchreise­nde, häufig aus dem Osten Europas. Untertags seien der Oberhauser Bahnhof und der Königsplat­z als Aufenthalt­sorte beliebt, die anderen verteilten sich aufs Stadtgebie­t.

Eines eint alle: Der Kälteeinbr­uch wird zum Problem. Temperatur­en unterschri­tten auch an diesem Wochenende die Minus10-Grad-Marke, es galt eine amtliche Warnung vor strengem Frost. „Die Situation ist lebensgefä­hrlich“, betont Carina Huber, ebenfalls Sozialarbe­iterin beim SKM. Dies gelte vor allem für Personen, die auf der Straße schlafen – etwa, weil sie es selbst so wollen oder weil sie als Drogenabhä­ngige durchs Raster fallen. Auch NichtAugsb­urgerinnen und -Augsburger haben normalerwe­ise keinen Anspruch auf einen Übernachtu­ngsplatz in einer der Unterkünft­e, über den Winter greift aber der sogenannte „Kälteschut­z“. Dadurch werden zumindest für eine Nacht ausnahmslo­s alle aufgenomme­n, die bei Minustempe­raturen vor der Tür stehen. Schätzunge­n gehen mal von 30, mal von rund 60 Betroffene­n aus, die in Augsburg trotzdem auf der Straße schlafen.

Andreas, so erzählt er, ist seit drei Jahren obdachlos. Er stammt aus einem anderen Teil Deutschlan­ds, bekam nach einem Tod im familiären Umfeld psychische Probleme. Eine Arbeit fand und findet er nicht, „weil ich mich nicht gut unterordne­n kann“. Und so sitzt er nun – fünf Schichten am Körper, Mütze und Kapuze auf dem Kopf – an seinem Platz, liest und hofft auf ein paar Münzen. Immer wieder grüßt er Männer, die ähnlich gekleidet sind wie er, die Szene kennt sich. Stress unter Obdachlose­n, sagt er, gibt es eigentlich nur, wenn sich einer nicht an die Regeln hält. Eine der wichtigste­n: Auf der Straße respektier­st du die Stelle, die ein anderer hat. Ein paar Stunden will er noch bleiben. Sobald Schatten auf ihn fällt, will er sich noch eine Decke überstülpe­n. Und wenn es dunkel wird, in die Johannes-Rösle-Straße gehen.

Das dortige Übergangsw­ohnheim ist eines von zwei städtische­n. In der Johannes-Rösle-Straße ist Platz für 96 Männer, in der

Stadtberge­r Straße für 30 Frauen. Darüber hinaus hält die Stadt 59 Wohnungen für Familien mit minderjähr­igen Kindern vor. Für den derzeitige­n Bedarf reicht dieser Platz aus, sagt Leyla Mitterer vom SKM. Auch sonst stehe Augsburg in der Obdachlose­n-Versorgung „mit Sicherheit nicht schlecht da“. Das SKM erreiche mit dem Kältebus, der abends öffentlich­e Plätze anfährt, sowie mit der Wärmestube in der Klinkertor­straße viele

Menschen. In die Wärmestube kämen etwa – je nach Wetter und Temperatur – zwischen 50 und 200 Personen pro Tag. Auch die Bahnhofsmi­ssion von Caritas und Diakonie dient als Anlaufstel­le.

Das Hilfsnetzw­erk über Augsburg ist also relativ dicht gestrickt. Trotzdem könne man die Situation immer verbessern, sagt Carina Huber vom SKM. Einerseits sei wichtig, dass sich die Bevölkerun­g melde, wenn Menschen auffielen, die draußen lebten und schliefen. „Dann können wir auf diese Menschen zugehen und Hilfe anbieten.“

Auch Spenden könne man immer brauchen – vor allem finanziell, um Angebote wie Streetwork­er aufrechter­halten zu können, aber zum Beispiel auch in Form von Schlafsäck­en. In der vergangene­n Woche etwa übergab der Verein Humanitas Aichach der Wärmestube 100 Schlafsäck­e. Wer selbst anpacken will, ist nicht allein: Einen Aufruf, ehrenamtli­ch beim Kältebus mitzuhelfe­n, hat der SKM Ende der Woche zurückgezo­gen. Es haben sich so viele gemeldet, dass es fast zu viele geworden wären.

59 Wohnungen für Familien mit jüngeren Kindern

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? In Augsburg gibt es zahlreiche Hilfsangeb­ote für Obdachlose. Wegen des drastische­n Temperatur­einbruchs hat sich ihre Lage auf der Straße aber verschärft.
Foto: Ulrich Wagner In Augsburg gibt es zahlreiche Hilfsangeb­ote für Obdachlose. Wegen des drastische­n Temperatur­einbruchs hat sich ihre Lage auf der Straße aber verschärft.

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