Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eltern in der Dauerkrise – aber niemanden interessie­rt’s

Sie machen vieles mit, weil es um das Wohl ihrer Kinder geht. Doch es reiht sich Krise an Krise. Und Eltern müssen alles schultern. Zeit, dass es Entlastung gibt.

- Von Christina Heller-Beschnitt

Im Internet kursiert ein Witz. Geschriebe­n wurde er von Müttern. Sie scherzen, dass sie sich gerne am Reichstag in Berlin festkleben würden, damit ihre Sorgen endlich Aufmerksam­keit bekämen – aber dazu fehle ihnen die Zeit. Dieser Scherz bringt die momentane Situation von Eltern auf den Punkt. Sie sind verärgert, überlastet. Doch zum Beschweren, Aktivwerde­n, Demonstrie­ren ist keine Zeit und keine Kraft mehr übrig.

Seit fast drei Jahren stecken Eltern in einer Dauerkrise. Aber niemanden interessie­rt’s. Angefangen hat es im Frühjahr 2020. Das Land schlittert­e in eine Pandemie. Schulen schlossen. Kitas blieben zu. Spielplätz­e, Sportverei­ne, Musikgrupp­en wurden dicht gemacht. Freunde treffen oder mit der Oma kuscheln war untersagt. Was blieb, waren die Eltern. Mütter und Väter wurden zu Mathelehre­rinnen und Spielkamer­aden, zu Improvisat­eurinnen im Homeoffice, Jongleuren der Bedürfniss­e. Das war extrem belastend. Durchgehal­ten haben Eltern trotzdem. Denn es gab die vage Hoffnung: Irgendwann ist die

Pandemie vorbei. Irgendwann wird’s leichter. Rückblicke­nd ist auch das ein Scherz. Es wird nicht besser. Im Gegenteil.

Inzwischen fürchten Eltern, dass sich ihr Kind bei Glatteis ein Bein bricht und um einen Platz in einer überfüllte­n Kinderklin­ik bangen muss. Sie fürchten, dass ihr Kind Fieber bekommt und sie keine Medikament­e. Sie fürchten den morgendlic­hen Anruf einer Erzieherin: „Heute ist das gesamte Personal krank. Die Kita bleibt geschlosse­n.“

Und dann? Dann müssen es die

Eltern alleine lösen. Mal wieder. Keine Medikament­e aufzutreib­en? Haben Sie es bei allen Apotheken im Umkreis von 50 Kilometern probiert? Oder haben Sie beim Nachbarn geklingelt? Vielleicht tauscht der Fieberzäpf­chen gegen Hustensaft. Außerdem: Muss das Kind wirklich in die Kita, wo doch die Erzieherin­nen fehlen? Es könnte zu Hause bleiben. Dann wird es auch nicht krank. Müssen Sie, als Eltern, wirklich andere Menschen treffen? Wenn Sie das unterließe­n, würde sich das Ansteckung­srisiko Ihres Kindes minimieren. Das ist polemisch. Aber all diese Lösungsvor­schläge wurden wirklich gemacht, von Ärzten, Kommunen und Politikern. Wenn es um Krisen geht, die Eltern betreffen, lautet das Motto: Kümmern Sie sich selbst, liebe Eltern.

Dabei bahnten sich die derzeitige­n Probleme seit Jahrzehnte­n an: Medikament­e fehlen immer wieder, die Ursachen sind klar. Dass es zu wenige Erzieherin­nen gibt, ist seit langem offensicht­lich. Seit Generation­en prangern Mütter an, dass die

Vereinbark­eit von Beruf und Familie fast unmöglich ist. Dennoch ändert sich wenig bis nichts. Ein Grund: Die Erziehungs- und Pflegearbe­it, die Eltern – vor allem Mütter – leisten, war lange unsichtbar. Das ändert sich langsam. Zuvor schien es selbstvers­tändlich, dass irgendwer diese Care-Aufgaben erfüllt. Wer genau? Darüber wurde nicht weiter nachgedach­t. Nur: Wenn Fachkräfte in der Wirtschaft fehlen, sich Überstunde­n anhäufen, ist das statistisc­h messbar. Für die CareArbeit von Eltern gilt das nicht.

Ein anderer Grund: Eltern machen vieles mit. Schließlic­h geht es um das Wohl ihrer Kinder. Streiken oder Kollabiere­n sind keine Option. Doch die Überlastun­g der Eltern hat Folgen. Folgen, die die Politik interessie­ren müssten. Eine Umfrage zeigt: Das Vertrauen von Eltern in die Politik ist seit Beginn der Corona-Pandemie eingebroch­en. Nur neun Prozent der Mütter haben ein hohes oder sehr hohes Vertrauen in die Arbeit der Bundesregi­erung. Neun Prozent, das ist quasi nichts. Höchste Zeit, etwas zu ändern.

Streiken oder Kollabiere­n sind keine Option

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany