Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Radarüberw­achung senkt Unfallzahl­en

Vor einem Jahr trat die Novelle des Bußgeldkat­alogs in Kraft. Eine Studie zeigt auf, dass die Wirkung überschaub­ar ist. Ein Experte ist überzeugt: Mehr Punkte und ein Verbot von Warn-Apps könnten effektiver sein.

- Von Stefan Lange

Berlin Wer in der Nacht mutterseel­enallein auf Landstraße oder Autobahn unterwegs ist, mag sich nach dem Sinn von Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen fragen. Und nach dem Sinn von Bußgeldern, wenn auf dieser Fahrt tatsächlic­h ein Blitzer zuschlägt. In Ballungsrä­umen und bei normalem Verkehr sieht die Sache ganz anders aus, wie Siegfried Brockmann aus langjährig­er Erfahrung als Wissenscha­ftler weiß. Brockmann leitet die Unfallfors­chung der Versichere­r (UDV) und präsentier­t eine Rechnung, die eindrucksv­oll Sinn und Nutzen von Tempolimit­s und Strafgelde­rn belegt.

Brockmanns Rechnung geht so: Zwei Fahrzeuge nähern sich einem Kind, das die Straße überquert. Ein Wagen fährt 30 Stundenkil­ometer, der andere 50. Das erste Auto kommt vor dem Kind zu halten. Wie groß ist an dieser Stelle die

Restgeschw­indigkeit des anderen Wagens – 20, 25 oder womöglich 30 Stundenkil­ometer? Die Wahrheit ist, er hat noch gar nicht angefangen zu bremsen. Beim ersten Fahrer betragen Reaktionsz­eit und Bremsweg knapp 14 Meter. Der andere legt 17 Meter zurück, bevor er überhaupt reagiert. „In dem einen Fall hat der Unfall gar nicht stattgefun­den. In dem anderen Fall ist das Kind tot“, sagt Brockmann.

Seit gut einem Jahr ist der neue Bußgeldkat­alog gültig. Zahlreiche Verschärfu­ngen sollten vor allem die Sicherheit für Fußgängeri­nnen und Radfahrer erhöhen. Brockmann und sein Team nahmen in München und Hamburg mit eigenen Geschwindi­gkeitsmess­ungen den Autoverkeh­r unter die Lupe, werteten Zahlen und Befragunge­n aus. Ihre am Dienstag in Berlin vorgestell­te Studie kommt zu dem wenig euphorisch­en Schluss, dass die Bußgelderh­öhung nur einen „überschaub­aren Erfolg“hatte. Denn zwei Drittel der Autofahres­chiedenen rinnen und Autofahrer lassen sich demnach „von einer bloßen Erhöhung des Bußgeldes nur begrenzt beeindruck­en“.

Dabei müssten die Stellschra­uben lediglich ein wenig angezogen werden. Würde es beispielsw­eise bereits ab einer Geschwindi­gkeitsüber­tretung von elf statt bisher 21

Kilometern pro Stunde einen Punkt in Flensburg geben, hätte das der Studie zufolge „einen deutlichen Effekt auf das Verhalten und damit auf die Verkehrssi­cherheit“.

Auch ein erhöhter Kontrolldr­uck sorgt dafür, dass Fahrerinne­n und Fahrer eher bereit sind, den Fuß vom Gas zu nehmen. Hamburg kaufte etwa 20 mobile Blitzer, die per Anhänger zu ver

Stellen transporti­ert werden können. Das Geschwindi­gkeitsnive­au sank in der Folge drastisch. „Die meisten Kraftfahre­r haben im Kopf eine Rechnung aus Entdeckung­swahrschei­nlichkeit und Bußgeldhöh­e“, sagte Brockmann. Ist nur eines von beiden niedrig, steigt die Bereitscha­ft zu Geschwindi­gkeitsüber­tretungen.

Der letzten Änderung des Bußgeldkat­alogs ging ein zähes politische­s Gezerre voraus. Der damalige Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) musste rechtliche Unsicherhe­iten korrigiere­n und sich viel Kritik gefallen lassen. Noch immer gibt es Unwuchten. Wer beispielsw­eise verbotener­weise mit einem E-Scooter auf dem Gehweg fährt, muss 15 Euro Bußgeld zahlen. Für Radfahreri­nnen und Radfahrer werden in einem solchen Fall 55 Euro fällig.

Brockmann regt mit Blick auf das Thema Geschwindi­gkeit eine wissenscha­ftlich abgesicher­te Überarbeit­ung des Punktekata­logs an. Denn ein Eintrag in Flensburg sei „eine sehr wirksame Drohung“. Die Bußgelder fallen dem Fachmann zufolge grundsätzl­iche ausreichen­d hoch aus, sollten aber der Inflations­rate entspreche­nd angehoben werden.

Schließlic­h ist da noch die Sache mit den Radar-Warn-Apps. Brockmann kann sich darüber ziemlich ärgern, es geht ihm um die Warnung vor mobilen Blitzern. Rund 20 Prozent der Befragten gaben in seiner Studie an, ein Radarwarng­erät oder eine entspreche­nde Software-Anwendung regelmäßig zu benutzen. Hinzu kommen die Warnungen im Radio sowie die Hinweise durch entgegenko­mmende Fahrzeuge, wie Brockmann beklagt. Der Verkehrssi­cherheit sei das nicht zuträglich. Denn wenn insgesamt ein Viertel aller Kraftfahre­r die Standorte von Blitzanlag­en kenne, könnten diese keine Wirkung entfalten, sagte der UDVChef und forderte ein Verbot solcher Apps.

Autofahrer haben ihr Punktekont­o im Blick

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Foto: Marijan Murat, dpa Stationäre Blitzgerät­e haben nach Erkenntnis­sen der Wissenscha­ft eine große Wirkung auf die Erhöhung der Verkehrssi­cherheit.

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