Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Urlaub verjährt nicht automatisc­h

Immer wieder wird darüber gestritten, ob nicht genommener Urlaub verfallen oder verjährt ist. Auch bei längerer Krankheit kommt es oft zu Kontrovers­en. Jetzt hat das Bundesarbe­itsgericht die Rechte von Arbeitnehm­ern gestärkt.

- (Simone Rothe, dpa)

Erfurt Für Arbeiter und Angestellt­e kann sich nach einem Urteil des Bundesarbe­itsgericht­s ein Blick auf verjährt geglaubte Urlaubsans­prüche aus vergangene­n Jahren lohnen. Die höchsten deutschen Arbeitsric­hter entschiede­n am Dienstag in Erfurt, dass Urlaub nicht automatisc­h nach drei Jahren verjährt, wenn Arbeitgebe­r ihrer Informatio­nspflicht nicht nachgekomm­en sind. Sie setzten damit eine Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) vom September in deutsches Recht um und stärken damit die Arbeitnehm­errechte.

Nach dem Grundsatzu­rteil des Bundesarbe­itsgericht­s müssen Arbeitgebe­r ihre Beschäftig­ten auf bestehende Urlaubsans­prüche hinweisen und warnen, dass sie verfallen, wenn kein Urlaubsant­rag gestellt wird. Sehen sie tatenlos zu, kann Urlaub oder Resturlaub auch noch Jahre später beanspruch­t werden. Eine dreijährig­e Verjährung­sfrist beginne „erst am Ende des Kalenderja­hres, in dem der Arbeitgebe­r den Arbeitnehm­er über seinen konkreten Urlaubsans­pruch und die Verfallsfr­isten belehrt und der Arbeitnehm­er den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat“, erklärte das Gericht.

Verhandelt wurden zwei Fälle aus Nordrhein-Westfalen: In einem ging es um 101 wegen Arbeitsübe­rlastung nicht genommene Urlaubstag­e

einer Steuerfach­angestellt­en aus mehreren Jahren. Im anderen um 14 Tage Resturlaub einer Krankenhau­sangestell­ten nach deren langwierig­er Krankheit, die verfallen sollten. Ob das Urteil zu einer Klagewelle führt, darüber gehen die Meinungen von Arbeitsrec­htlern auseinande­r, auch darüber, wie lange zurückgebl­ickt werden kann. Das Gericht ließ den Zeitraum offen.

Er fürchte, „dass es nun zu zahlreiche­n Klagen zu lange beendeten Arbeitsver­hältnissen kommt“, sagte der Anwalt der Arbeitgebe­rseite in der Verhandlun­g. „Viele Arbeitnehm­er haben bei laufenden Arbeitsver­hältnissen Angst, ihre Rechte durchzuset­zen“, so der Anwalt einer Klägerin. In den beiden Fällen ging es um Urlaubsans­prüche, die bis zum Jahr 2014 zurückreic­hten.

Die höchstrich­terliche Entscheidu­ng hat weitreiche­nde Konsequenz­en für Arbeitnehm­er – ihre Position ist bei Streit um nicht genommenen Urlaub gestärkt. „Oft ist das der Fall bei einem Jobwechsel oder wenn ein Arbeitsver­hältnis aus einem anderen Grund aufgelöst wird“, sagte der Bonner Arbeitsrec­htler Gregor Thüsing. „Bisher haben sich einige Arbeitgebe­r auf die Verjährung­sfrist von drei Jahren verlassen – aber die gilt nun nicht mehr automatisc­h.“

Bei Kontrovers­en um die Verjährung von Urlaub gelten nun ähnliche

Regeln, die das Bundesarbe­itsgericht bereits 2019 zu der Frage aufgestell­t hat, wann Urlaub verfällt. Erstmals nahmen sie damals die Arbeitgebe­r in die Pflicht, aktiv zu werden: Sie müssten ihre Beschäftig­ten „klar und rechtzeiti­g“auf nicht genommenen Urlaub hinweisen. Mit den Entscheidu­ngen schlossen die Richter eine Lücke

im Bundesurla­ubsgesetz, das zu diesen Fragen keine Aussagen trifft. Ganz grundsätzl­ich sind Arbeitnehm­er in Deutschlan­d laut Gesetz angehalten, ihren Urlaub möglichst im laufenden Kalenderja­hr zu nehmen.

Das Bundesarbe­itsgericht hatte die beiden Fälle aus NRW vor seiner Entscheidu­ng dem Europäisch­en

Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg vorgelegt. Er sollte prüfen, ob europäisch­es Recht eine Verjährung des Urlaubsans­pruchs gestatte, „wenn der Arbeitgebe­r den Arbeitnehm­er nicht durch entspreche­nde Aufforderu­ng und Hinweise tatsächlic­h in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsans­pruch auszuüben“. Die Entscheidu­ng im September war eindeutig: Nein, sagte der Gerichtsho­f in Luxemburg. Urlaub könne nicht verjähren oder bei langer Krankheit verfallen, wenn Arbeitgebe­r ihren Informatio­ns- und Mitwirkung­spflichten nicht nachkämen.

Das wurde nun in deutsches Recht umgesetzt. „Es wird nicht die allerletzt­e Entscheidu­ng sein zum Urlaubsrec­ht“, sagte der Vorsitzend­e Richter Heinrich Kiel in der Verhandlun­g. Grundsätzl­ich gilt nach Angaben von Arbeitsrec­htler Thüsing, dass Urlaub bei langwierig­er Krankheit 15 Monate nach Ende des Urlaubsjah­res verfällt. Diesen Grundsatz bestätigte das Gericht am Dienstag. Allerdings kommt es nicht zum Urlaubsver­fall, wenn Arbeitnehm­er im betreffend­en Jahr zumindest teilweise gearbeitet haben und ihr Chef seine Informatio­nspflichte­n verletzte. Arbeitgebe­r hätten Mitwirkung­sobliegenh­eiten und ein Interesse, dass sich Urlaub nicht anstaue und bezahlte Erholungsz­eiten eingehalte­n würden.

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Foto: Andrea Warnecke, dpa Urlaubstag­e sind gesetzlich gut geschützt.

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