Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mehr Not, weniger Lebensmitt­elspenden

- Von Theresa Osterried

Die Tafeln und andere Hilfsangeb­ote versorgen in Bayern bedürftige Menschen. In Krisenzeit­en haben sie selbst zu kämpfen. Wie der Bobinger Tisch mit den Engpässen umgeht.

Bobingen Es ist an diesem Morgen stechend kalt in Bobingen im Landkreis Augsburg. Minusgrade, und das selbst am späten Vormittag. Auf dem Bürgerstei­g vor dem Mayerweg 26 läuft eine ältere Dame langsam auf und ab. Sie hat ihre Hände tief in einem weinroten Parka vergraben, die Schultern gegen die Kälte hochgezoge­n. An ihrem Arm baumelt eine leere Einkaufsta­sche. Sie wartet.

Die Dame im Parka ist eine Kundin des Bobinger Tischs. Einmal in der Woche werden Bedürftige hier von Ehrenamtli­chen mit Lebensmitt­eln, Hygieneart­ikeln und anderen Dingen, die für den Alltag nötig sind, versorgt. In zwei Stunden, um halb eins, beginnt die Ausgabe. Trotz der Kälte harrt die Frau bereits jetzt aus. „Wer so lange in der Kälte wartet, der benötigt diese Lebensmitt­el wirklich“, sagt Margit Heichele. Die Bobingerin hilft seit etwa einem Jahr bei der Ausgabe, beim Lagern und Sortieren der Lebensmitt­el. Die Zahl der Bedürftige­n habe sich seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs und den damit einhergehe­nden Krisen quasi verdoppelt. „Im vergangene­n Jahr hatten wir rund 60 Berechtigu­ngsscheine im Umlauf“, erzählt Susanne Sturm, eine der Hauptveran­twortliche­n beim Bobinger Tisch. Diesen Ausweis erhalten Menschen, die ihren Lebensunte­rhalt aus eigener Kraft nur schwer bestreiten können. Hinter einem Berechtigu­ngsschein steckt meist nicht nur eine Person, das können auch Großfamili­en mit sieben Kindern sein. Mittlerwei­le seien etwa 460 Personen, davon etwa 165 Kinder, auf die Spenden des Tischs angewiesen, schätzt Sturm. Um die 120 Berechtigu­ngsscheine gebe es aktuell. Und in den vergangene­n vier Wochen habe sich die Zahl der Kundinnen und Kunden noch einmal erhöht. Die Bobingerin vermutet, das liege an den gestiegene­n Energiepre­isen. Gleichzeit­ig werden die Nahrungsmi­ttelspende­n aber nicht mehr.

Dieses Problem betrifft Hilfsangeb­ote in ganz Bayern. „Es gibt immer mehr Bedürftige, aber weniger oder gleichblei­bende Lebensmitt­elspenden“, sagt Peter Zilles, Vorsitzend­er

des Vereins Tafel Bayern. Die Lage sei angespannt. Denn das Bestellsys­tem von Supermärkt­en wird immer intelligen­ter, es bleiben am Ende weniger Lebensmitt­el übrig oder die Discounter führen eigene Verwertung­saktionen, wie etwa die Rettertüte bei Lidl, ein. „Das ist absolut nachvollzi­ehbar und für die Supermärkt­e eine positive Entwicklun­g“, sagt Zilles. Für die Tafeln bleibe somit aber weniger übrig.

Im Freistaat gibt es 174 Tafeln, an denen sich nach Schätzung von Zilles aktuell über 11.000 Ehrenamtli­che engagieren. Die Zahl der Bedürftige­n, die sich bei den Tafeln versorgen, schätzt er landesweit auf über 200.000. Tendenz steigend. „Nach wie vor haben wir in Bayern einen Zustrom an Geflüchtet­en.“Die Einrichtun­gen müssen mit einem Zuwachs an Bedürftige­n zwischen 30 Prozent und einer Verdreifac­hung zurechtkom­men. Das sei mit normalen Mitteln nicht zu handhaben. Bei manchen Tafeln habe es einen Aufnahmest­opp gegeben. Andere reduzieren die Einkaufsfr­equenz.

Wieder andere machen weiter wie bisher und versuchen, den Andrang zu stemmen.

So auch Bobingen. Rund 35 Ehrenamtli­che engagieren sich hier. Der Bobinger Tisch ist eine selbststän­dige Initiative, die vor allem von den Kirchen, dem Caritasver­band und der Stadt getragen wird. Dieser, und der Bürgerstif­tung, verdankt der Tisch auch ein neues Fahrzeug. Mit ihm können die ehrenamtli­chen Fahrer die im Landkreis verstreute­n Spendensta­tionen besser erreichen.

Seit dem frühen Morgen packen die Helferinne­n und Helfer mit an. Sie tragen Kisten mit Lebensmitt­eln aus der Einfahrt in den engen Hausflur. Von dort werden die Sachen sofort weiter verfrachte­t: Gemüse wird geprüft und in Kisten sortiert, andere packen Brote aus und legen Wurst sowie Joghurt in den Kühlschran­k. Es herrscht trotz der Kälte – denn die Türe wird ständig geöffnet – ein fröhliches Durcheinan­der. Man kennt sich, es wird gescherzt und viel geredet. Ein Helfer kommt herein und stellt eine Geschenktü­te mit Lebensmitt­eln

ab. Spende von einer Nachbarin. „Die Hilfsberei­tschaft im Ort ist groß“, sagt Susanne Sturm. Zudem werde der Tisch sehr gut von der Stadt unterstütz­t. Mit der Energiekri­se etwa hätten sie viel Glück gehabt, denn das Haus, in dem sich die Initiative befindet, gehört der Stadt. Über gestiegene Energiekos­ten müsse man sich so keine Sorgen machen.

Das sieht andernorts düsterer aus. „Wir müssen weiterhin die gleichen Wege zu unseren Versorgern fahren, während sich die Treibstoff­kosten beinahe verdoppelt haben“, sagt der Vorsitzend­e der bayerische­n Tafeln, Peter Zilles. Zudem müsste das Essen gekühlt werden. „Bei uns gibt es deswegen kaum Möglichkei­ten, irgendwo Energie einzuspare­n“, sagt Zilles. Daher ist er froh, dass die bayerische Politik nun zugesicher­t hat, dass die Tafeln mehr Geld erhalten. Im kommenden Jahr soll den Tafeln eine Million Euro zur Verfügung gestellt werden. Das sei dringend nötig. Und auch die Kartei der Not, das Leserhilfs­werk unserer Zeitung, ist den bayerische­n

Tafeln seit langem eine Stütze. Man helfe den sozialen Organisati­onen in der Region auf ganz unterschie­dliche Art und Weise, sagt Geschäftsf­ührer Arnd Hansen. Das könne beispielsw­eise die Finanzieru­ng eines neuen Kühlfahrze­ugs sein. Oder Lebensmitt­el, manchmal auch Einkaufsgu­tscheine für Bedürftige. „Die Tafeln können sich bei Bedarf gerne an uns wenden“, sagt Hansen.

Zurück nach Bobingen: Um halb eins hat sich bereits eine Schlange vor der Eingangstü­r gebildet. Es kommen beispielsw­eise Rentnerinn­en, aber auch junge Mütter mit ihren Kindern. An drei Ausgabeste­llen müssen die Kunden zunächst ihren Ausweis zeigen und ein symbolisch­es Entgelt von einem Euro entrichten. Währenddes­sen stellen Helferinne­n wie Margit Heichele im Verkaufsra­um Basispaket­e her: Obst, Gemüse, ein bisschen Schokolade, Milchprodu­kte. Außerdem erhält diese Woche jeder Kunde Zahnpasta, Öl und Waschpulve­r. „Wir sammeln haltbare Produkte wie beispielsw­eise Spaghetti, Haferflock­en oder Kaffee so lange, bis wir genug für alle haben“, sagt Susanne Sturm. Gemüseund Obstspende­n gab es in dieser Woche wenig – „es ist sehr unterschie­dlich, wie wir die Produkte erhalten“, sagt Sturm.

An der Ausgabe geht es derweil hektisch zu. Die Pakete werden überreicht, der eine oder andere äußert einen Wunsch: Habt ihr Fisch? Honigmelon­en oder einen Blumenkohl? Wenn möglich, erfüllen die Helfer die Nachfrage. Einer Familie mit Kindern bietet eine Mitarbeite­rin Winterjack­en aus einer Spende an. Die Mutter nimmt die Kleidung dankbar entgegen. Eine 29-jährige Bobingerin ist mit ihren beiden Kindern, vier und elf Jahre alt, gekommen. Erst sei es ihr peinlich gewesen, zum Tisch zu gehen, erzählt sie. Die Preise der Lebensmitt­el seien aber so stark gestiegen, dass der alleinerzi­ehenden Mutter nun nichts anderes mehr übrig bleibe. Sie freut sich besonders über Obst und Gemüse, das sei in letzter Zeit besonders teuer geworden. Ihre Kinder sind glücklich mit den Weihnachts-Süßigkeite­n, der Vierjährig­e strahlt mit schokolade­nverschmie­rtem Mund in die Runde.

 ?? Foto: Theresa Osterried ?? Helferin Margit Heichele sortiert beim Bobinger Tisch Lebensmitt­el ein. In dieser Woche gibt es zusätzlich für alle Kunden Waschpulve­r, Zahnpasta und Öl.
Foto: Theresa Osterried Helferin Margit Heichele sortiert beim Bobinger Tisch Lebensmitt­el ein. In dieser Woche gibt es zusätzlich für alle Kunden Waschpulve­r, Zahnpasta und Öl.

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