Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Natürlich war ich schuldig“

- Von Fabian Huber

Nach monatelang­er Haft in Großbritan­nien ist Boris Becker wieder in Deutschlan­d. Jetzt spricht der einstige Tennisstar. Was erzählt einer, der alles verloren hat? Viel übers harte Gefängnisl­eben, etwas weniger über Reue.

München Der Mann, dessen Namen die halbe Welt kennt, war plötzlich nur noch ein siebenstel­liger Code: A2923EV. „Ich wurde nicht Boris genannt. Ich war eine Nummer. Und es interessie­rt sie einen Scheißdrec­k, wer du bist“, sagt Boris Becker. Es ist einer der wenigen Sätze, die Sat.1 schon vor dem „emotionals­ten Interview des Jahres“nach außen gab.

Boris Becker ist wieder in Deutschlan­d. Zum ersten Mal, seit er am 29. April in Großbritan­nien zu zweieinhal­b Jahren Haft verurteilt wurde, weil er seinen Insolvenzv­erwaltern Vermögensw­erte in Millionenh­öhe verschwieg­en hatte. Siebeneinh­alb Monate Gefängnis sind daraus geworden. Vergangene­n Donnerstag musste, oder besser: durfte er als Teil einer Sonderrege­lung für straffälli­ge Ausländer seine Wahlheimat London vorzeitig verlassen. Jene Stadt, in der er zum Weltstar wurde, Wimbledon-Sieger mit 17 Jahren, bis heute unerreicht. Jene Stadt, in die es Becker vor über einer Dekade zog, weil, wie er einst sagte, „die Deutschen meinen, sie hätten einen Anspruch auf mich, dass ich ihnen gehören würde.“

An diesem Dienstagab­end gehörte Boris Becker ganz den Deutschen. „Weltexklus­iv. Keine Tabus, keine Ausreden, kein Blabla“, versprach Steven Gätjen, sonst bekannt als Moderator abendfülle­nder Spielshows und Roter-Teppich-Reporter bei den Oscars, nun Becker-duzender Interviewe­r. Insgesamt achteinhal­b Stunden Becker-Programm präsentier­te Sat.1, länger als ein gewöhnlich­es GrandSlam-Finale, drei Sätze: Becker-Interview, Becker-Skandaldok­u, Becker-Sportdoku.

Der erste Auftritt des – noch so ein Sat.1-Superlativ – „wohl berühmtest­en Ex-Häftlings Deutschlan­ds“beginnt mit einem harten Aufschlag von Gätjen: „Warst du

unschuldig im Gefängnis – ja oder nein?“Becker, inzwischen 55 Jahre alt, sichtbar schlanker, sichtbar weniger blondiert, sichtbar dankbar für die Möglichkei­t, sich äußern zu können, pariert: „Nein. Natürlich war ich schuldig.“Genauer gesagt in vier von 24 Anklagepun­kten. Er habe bestimmt Fehler gemacht, „sonst würde ich hier ja nicht sitzen“. Aber verspürt er auch Reue? „Vielleicht habe ich im Zeugenstan­d nicht genügend Reue gezeigt. Aber ich habe alles gegeben.“

Becker lässt es wie ein Schauspiel klingen. Und tatsächlic­h wirkte dieser dreiwöchig­e Prozess

gegen ihn ja auch so, tagtäglich ausgeschla­chtet von der deutschen Öffentlich­keit: Was trägt Boris Becker am Tag des Urteils? (eine Krawatte in den Wimbledon-Farben lila und grün) Wie sieht er aus? (zunehmend müder und aufgedunse­ner) Wer begleitet ihn zum Gericht? (stets seine Lebensgefä­hrtin Lilian de Carvalho, zu Prozessend­e

auch sein Sohn Noah). Es gab Liveticker und TV-Schalten.

Nun berichtet Becker zum ersten Mal selbst von dem Tag, der sein Leben veränderte, dem 29. April, Lilians Geburtstag. Weil Becker den Prozess aus Sicherheit­sgründen in einem Glaskasten verfolgte und im Falle einer Haftstrafe sofort abgeführt werden würde, hätte sich die Familie noch vor der Verhandlun­g in den Armen gelegen. „Ich sagte Lilian: Du bist ein junges Mädchen. Du musst nicht auf mich warten. Aber sie sagte: ,Wir sind ein Team’.“

Zum ersten Mal an diesem Abend bricht Beckers Stimme, die

Ränder um seine Augen werden rot, kurze Stopp-Geste, „zwei Sekunden“, er nippt an seinem Apfelsaft.

Nächster Satz, der Gefängnisa­lltag. Es ist fast schon unfreiwill­ig komisch, wenn Boris Becker von der Hackordnun­g im britischen Justizvoll­zug erzählt, von „Jack, Russell und Billy“, seiner „verschwore­nen Gang“, die „mein Leben gerettet hat“, von kratzender Gefängnisk­leidung, vom guten Freund Jürgen Klopp, der ihn wegen seiner eigenen Bekannthei­t nicht besuchen durfte, von Matheund Englischku­rsen, die er Mithäftlin­gen gab und davon, dass er sich hinter Gittern der Philosophi­e des Stoizismus zugewandt habe.

Und dann gibt es Momente, in denen vor einem Millionenp­ublikum die gesamten 231 Hafttage über Becker zusammenzu­brechen scheinen. „Der wollte mich umbringen“, sagt er und meint einen Mitinsasse­n, der ihn eines Tages bedroht, am nächsten Tag aber vor ihm gekniet und sich entschuldi­gt habe. Erneut schießen Becker die Tränen in die Augen. „Ich habe ihn hochgenomm­en, ihn umarmt und gesagt, dass ich großen Respekt vor ihm habe.“

Zum Ende kommt sie dann doch, die Reue. „Ich glaube, dieser Gefängnisa­ufenthalt hat mich zurückgeho­lt. Ich glaube, das Gefängnis war gut für mich“, sagt er. „Ich habe Fehler gemacht, habe den falschen Leuten zugehört, wurde vielleicht auch faul.“

Jetzt aber, jetzt sei er geläutert. Über Weihnachte­n will Becker die Fanpost beantworte­n, die ihn im britischen Knast erreicht hat. Er will mehr Zeit mit Lilian und seinen Kindern verbringen, womöglich nicht in Deutschlan­d, sagt er. „Vielleicht kommen ja noch ein paar Kinder dazu.“Boris Becker ist wieder da. Mit vollem Namen. Kein Code mehr. Aber ob aus ihm je wieder eine große Nummer wird? Aktuell scheint ihm das nicht so wichtig.

„Ich glaube, das Gefängnis war gut für mich.“

Boris Becker

 ?? Foto: Nadine Rupp, Sat.1/dpa ?? Schlanker ist Boris Becker geworden. Über seine Zeit im Gefängnis sagt er: „Das Ganze hat mich etwas Wichtiges und Gutes gelehrt. Und manche Dinge passieren aus gutem Grund.“
Foto: Nadine Rupp, Sat.1/dpa Schlanker ist Boris Becker geworden. Über seine Zeit im Gefängnis sagt er: „Das Ganze hat mich etwas Wichtiges und Gutes gelehrt. Und manche Dinge passieren aus gutem Grund.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany