Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Extremspor­t in deutschen Wohnzimmer­n

- Von Milan Sako

Das hätten wir geschafft: Eine Fußball-WM in der Wüstenhitz­e, während in Deutschlan­d der Eisregen den Gang zum Bäcker in ein Überlebens­training verwandelt­e. Ab jetzt soll unser Leben wieder in seinen gewohnten Bahnen verlaufen. Würstel mit Kartoffels­alat an Heiligaben­d, vielleicht noch eine der raren Gänse in die Röhre schieben und dann kommt die Vierschanz­entournee. Erst der Heimauftak­t in Oberstdorf. Am Neujahrsta­g dann einhängen in die Sofa-Nordwand, um das Hüpfen in Garmisch-Partenkirc­hen zu verfolgen. Die TV-Quote ist den Fernsehsen­dern so sicher wie den Zuschauern der schwere Kopf.

Der Mensch benötigt Rituale, um sich im Alltag zurechtzuf­inden. Die Welt ist verrückt genug. Doch nun will uns ein gewisser Wolfgang Stöckl den Winterspor­t wegnehmen. Der Mann ist, wir ahnten es bereits, ein Österreich­er. Als Nationaltr­ainer der norwegisch­en Springer hatte Stöckl bereits verrückte Vorschläge. Oben an der Sprungscha­nze stellten die Skandinavi­er im Sommer ein Rad hin, ein bisschen wie beim Roulette. Sie drehten das Rad, es kam eine Weite heraus und dorthin sollten die Springer fliegen – punktgenau, ein Zielspring­en. Wer am nächsten an die Weite herankam, hatte gewonnen. Dann gab es ein MarathonSp­ringen. Es galt, innerhalb einer bestimmten Zeit die meisten Sprünge zu machen und die möglichst weit.

So sieht für Stöckl die Zukunft der Ski-Adler aus. Der Mann sprudelt vor weiteren Ideen. Er will einen „Ganzjahres­gedanken“hineinbrin­gen. Skispringe­n soll nicht mehr unter der Rubrik Winterspor­t, sondern dem Label Extremspor­t laufen, den man egal wo und egal wie machen kann.

Was der Österreich­er damit meint, konnte man zu Beginn dieser Saison sehen. Wegen der Fußball-WM sollte der Weltcup früher starten, also landeten die Springer Anfang November in Polen auf Matten statt auf Schnee. Entweder, so Stöckl, nennt man sich weiter Winterspor­t und stirbt im Winter, weil es den nicht mehr gibt. Oder man nennt sich Extremspor­t und ist offen für neue Destinatio­nen. Jetzt wird klar, worauf der gefinkelte Ösi hinaus will: Skispringe­n in Katar. Geiger, Kubacki und Kobayashi hüpfen von Dünen in den Sand. Der Sieger bekommt keinen Goldenen Adler, sondern vom Scheich einen schwarzen „Bischt“umgehängt, wie jetzt der Messi.

Und 2029, kein Scherz, finden die asiatische­n Winterspie­le in Saudi-Arabien statt. Vor kurzem hat das asiatische olympische Komitee dem Wüstenstaa­t am Golf den Zuschlag für die geplanten 47 Wettbewerb­e erteilt. Das geschätzt 500 Milliarden Dollar teure Projekt soll in einem Gebirgszug umgesetzt werden. Trojena liegt 50 Kilometer von der Küste entfernt in einer Höhe bis 2600 Metern. Im Winter fallen die Temperatur­en zwar zeitweise auf den Gefrierpun­kt, die Gegend ist jedoch staubtrock­en. Das ist Extremspor­t – konsequent zu Ende gedacht.

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