Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zum Klang wird hier das Bild
Domonkos Héja und die Augsburger Philharmoniker kombinieren Rachmaninow mit Mussorgsky, beides Komponisten, die Tonwerke nach Gemälden schufen. Auch ein vorzüglicher Pianist prägt das 3. Sinfoniekonzert.
Welche Folgen ein Krieg jenseits der Grenzen doch noch diesseits für die Künste zeitigt! Wer hätte es sich vor Jahresfrist träumen lassen, dass Musik russischer Provenienz unter Rechtfertigungsdruck geraten, ja dass – wie im Frühjahr in Nordrhein-Westfalen geschehen – ein Bürgermeister hergehen und einem Orchester die Aufführung von Tschaikowsky verbieten würde? Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat nicht nur mit sich gebracht, dass russische Interpreten sich inquisitorischer Befragung ausgesetzt sehen, wie sie es denn mit Putin halten; auch auf die Werke bisher fraglos zum Kanon gehörender, längst dahingeschiedener Komponisten fällt inzwischen mancher scheele Blick: Ist da nicht ein heftiges Orchester-Tutti als tönender Ausdruck imperialistischer Überhebung zu verstehen? Es spricht für Augsburgs Generalmusikdirektor Domonkos Héja und seine Philharmoniker, dass sie zu solcher Kontextualisierung souverän ablehnende Stellung beziehen – indem sie das Programm ihres 3. Sinfoniekonzerts im Kongress am Park ausschließlich mit russischen Komponisten bestritten, mit Rachmaninow und Mussorgsky.
Nicht nur ein ansprechend arrangiertes Programm, sondern auch ungewöhnlich präsentiert. Bildeten doch Sergei Rachmaninows Tondichtung „Die Toteninsel“und Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“– und damit beides Werke, bei denen die Komponisten sich von Bildkunstwerken haben inspirieren lassen – Anlass für die Philharmoniker, die besagten Bildwerke während der Aufführung auf eine große Leinwand im Orchesterhintergrund zu projizieren. Kino somit für Ohren und Augen, für manch einen Hörer gewiss hilfreich, der Rachmaninows selten aufgeführter „Toteninsel“– nach dem gleichnamigen Gemälde von Arnold Böcklin – noch nie begegnet ist. Oder auch, anders gesagt, durchaus nötig für die eindrucksvolle, dunkel-wuchtige Komposition, denn Domonkos Héja wie auch das Orchester waren da am Montag noch nicht richtig in Form. Zu pastös der Farbauftrag, der jede instrumentale Binnenzeichnung überdeckte, zu zähflüssig die Fortbewegung, zu hollywoodesk
vordergründig die Steigerungen, die in Summe eines nicht leisteten: Jenes Geheimnis zu thematisieren, welches Böcklins Gemälde vor Augen führt, was nämlich die Felseninsel, die den Tod im Namen führt, eigentlich birgt?
Aber da war ja noch ein weiterer Rachmaninow im Programm, das 2. Klavierkonzert in c-Moll, und mit ihm der Solist Evgeny Konnov, in Augsburg längst kein Unbekannter mehr, nicht zuletzt durch seine Residenz bei den Philharmonikern während der Spielzeit 2020/21. Damals schon war in dem jungen Pianisten ein skrupulöser Interpret großer Virtuosenliteratur zu begegnen, der Bekanntes eben nicht nach Schema F herunterdonnerte, aber auch nicht angestrengt gegen den Strich bürstete. Inzwischen hat der 30-Jährige seine persönliche Stilistik noch verfeinert, darunter das behutsame Unterlaufen von Hör-Erwartungen in aufwärts führenden Passagen, deren Gipfel er eben oft nicht
akzentuiert, sondern leicht zurücknimmt, eine so reizvolle wie kultivierte Methode der Spannungserzeugung. Überhaupt kehrt Konnov in Rachmaninows bekanntestem Klavierkonzert nicht den Tastenlöwen hervor, auch dort nicht, wo, wie in den Einleitungsakkorden des ersten Satzes, vollgriffige Wucht gefordert ist. Die ganze Klasse dieses Pianisten macht sich nicht zuletzt in scheinbaren Kleinigkeiten bemerkbar, etwa den sorgsam durchgeformten Akkordbrechungen in Abschnitten, in denen das Klavier Begleitfunktion hat. Pianistisch Anspruchsvolles, wie es gerade der Schlusssatz fordert, erledigt Konnov ohne großes Gewese – und besitzt doch zugleich den überlegenen Blick für die große Solistengeste in ausgesuchten Momenten. Jubel für den sympathischen Exzellenzmusiker, den dieser in zwei Zugaben noch zu steigern wusste, erneut mit Rachmaninow: mit dessen poetischer „Vocalise“, zu welcher
Konnov den PhilharmonikerCellisten Johannes Gutfleisch zum instrumentalen Zwiegespräch bat – welcher Solist teilt seine Zugabe so nobel mit anderen? –, virtuos zupackend dann mit dem Schlusssatz aus der 2. Klaviersonate.
Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“(in Ravels Orchesterfassung) – eine dankbare Aufgabe für Héja und sein Orchester, ein x-fach gespielter Klassiker, eine sichere Bank. Meinte man – und war umso mehr überrascht. Denn Héja dachte gar nicht daran, diese „Bilder“– deren einstige Vorlagen aus der Hand des russischen Künstlers Viktor Hartmann wiederum wechselnd projiziert wurden – einfach nur effektgewiss hinzupinseln. Schon die Eröffnungs-„Promenade“ließ aufhorchen, so subjektiv belebt, quasi flanierend sinnierend sie war, was auch für alle noch folgenden „Promenaden“galt. Und die einzelnen Bilder erst: „Gnomus“– äußerst differenziert in der musikalischen Vielgestalt, dennoch zu einem Guss gefügt; „Das alte Schloss“– hier war, die KlangIngredienzien in wunderbarer Mischung, jenes steinerne Geheimnis Klang geworden, das bei der „Toteninsel“von Rachmaninow sich nicht einstellen wollte; das „Ballett der Küken“– brillant pointierend vom Orchester geboten, das überhaupt in allen „Bildern“mit solistischen Leistungen glänzte und wofür stellvertretend Gábor Vanyó mit seinen lockerlässig hingestichelten Trompeten-Triolen („Goldenberg und Schmuyle“) genannt sei. Héja krönte diesen herausragenden „Ausstellungs“-Gang mit dem finalen „Großen Tor von …“– hoppla, Kiew, Hauptstadt der Ukraine, in der Klanggewalt Mussorgskys, ist das so einfach darstellbar, fragt der sensibilisierte Gedankenapparat? Ja. Denn Héja und die Philharmoniker taten das Beste, indem sie die FortissimoÜberwältigung nicht zum Schlachtgetümmel, sondern zur Apotheose werden ließen.