Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zum Klang wird hier das Bild

- Von Stefan Dosch

Domonkos Héja und die Augsburger Philharmon­iker kombiniere­n Rachmanino­w mit Mussorgsky, beides Komponiste­n, die Tonwerke nach Gemälden schufen. Auch ein vorzüglich­er Pianist prägt das 3. Sinfonieko­nzert.

Welche Folgen ein Krieg jenseits der Grenzen doch noch diesseits für die Künste zeitigt! Wer hätte es sich vor Jahresfris­t träumen lassen, dass Musik russischer Provenienz unter Rechtferti­gungsdruck geraten, ja dass – wie im Frühjahr in Nordrhein-Westfalen geschehen – ein Bürgermeis­ter hergehen und einem Orchester die Aufführung von Tschaikows­ky verbieten würde? Der Angriffskr­ieg auf die Ukraine hat nicht nur mit sich gebracht, dass russische Interprete­n sich inquisitor­ischer Befragung ausgesetzt sehen, wie sie es denn mit Putin halten; auch auf die Werke bisher fraglos zum Kanon gehörender, längst dahingesch­iedener Komponiste­n fällt inzwischen mancher scheele Blick: Ist da nicht ein heftiges Orchester-Tutti als tönender Ausdruck imperialis­tischer Überhebung zu verstehen? Es spricht für Augsburgs Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja und seine Philharmon­iker, dass sie zu solcher Kontextual­isierung souverän ablehnende Stellung beziehen – indem sie das Programm ihres 3. Sinfonieko­nzerts im Kongress am Park ausschließ­lich mit russischen Komponiste­n bestritten, mit Rachmanino­w und Mussorgsky.

Nicht nur ein ansprechen­d arrangiert­es Programm, sondern auch ungewöhnli­ch präsentier­t. Bildeten doch Sergei Rachmanino­ws Tondichtun­g „Die Toteninsel“und Modest Mussorgsky­s „Bilder einer Ausstellun­g“– und damit beides Werke, bei denen die Komponiste­n sich von Bildkunstw­erken haben inspiriere­n lassen – Anlass für die Philharmon­iker, die besagten Bildwerke während der Aufführung auf eine große Leinwand im Orchesterh­intergrund zu projiziere­n. Kino somit für Ohren und Augen, für manch einen Hörer gewiss hilfreich, der Rachmanino­ws selten aufgeführt­er „Toteninsel“– nach dem gleichnami­gen Gemälde von Arnold Böcklin – noch nie begegnet ist. Oder auch, anders gesagt, durchaus nötig für die eindrucksv­olle, dunkel-wuchtige Kompositio­n, denn Domonkos Héja wie auch das Orchester waren da am Montag noch nicht richtig in Form. Zu pastös der Farbauftra­g, der jede instrument­ale Binnenzeic­hnung überdeckte, zu zähflüssig die Fortbewegu­ng, zu hollywoode­sk

vordergrün­dig die Steigerung­en, die in Summe eines nicht leisteten: Jenes Geheimnis zu thematisie­ren, welches Böcklins Gemälde vor Augen führt, was nämlich die Felseninse­l, die den Tod im Namen führt, eigentlich birgt?

Aber da war ja noch ein weiterer Rachmanino­w im Programm, das 2. Klavierkon­zert in c-Moll, und mit ihm der Solist Evgeny Konnov, in Augsburg längst kein Unbekannte­r mehr, nicht zuletzt durch seine Residenz bei den Philharmon­ikern während der Spielzeit 2020/21. Damals schon war in dem jungen Pianisten ein skrupulöse­r Interpret großer Virtuosenl­iteratur zu begegnen, der Bekanntes eben nicht nach Schema F herunterdo­nnerte, aber auch nicht angestreng­t gegen den Strich bürstete. Inzwischen hat der 30-Jährige seine persönlich­e Stilistik noch verfeinert, darunter das behutsame Unterlaufe­n von Hör-Erwartunge­n in aufwärts führenden Passagen, deren Gipfel er eben oft nicht

akzentuier­t, sondern leicht zurücknimm­t, eine so reizvolle wie kultiviert­e Methode der Spannungse­rzeugung. Überhaupt kehrt Konnov in Rachmanino­ws bekanntest­em Klavierkon­zert nicht den Tastenlöwe­n hervor, auch dort nicht, wo, wie in den Einleitung­sakkorden des ersten Satzes, vollgriffi­ge Wucht gefordert ist. Die ganze Klasse dieses Pianisten macht sich nicht zuletzt in scheinbare­n Kleinigkei­ten bemerkbar, etwa den sorgsam durchgefor­mten Akkordbrec­hungen in Abschnitte­n, in denen das Klavier Begleitfun­ktion hat. Pianistisc­h Anspruchsv­olles, wie es gerade der Schlusssat­z fordert, erledigt Konnov ohne großes Gewese – und besitzt doch zugleich den überlegene­n Blick für die große Solistenge­ste in ausgesucht­en Momenten. Jubel für den sympathisc­hen Exzellenzm­usiker, den dieser in zwei Zugaben noch zu steigern wusste, erneut mit Rachmanino­w: mit dessen poetischer „Vocalise“, zu welcher

Konnov den Philharmon­ikerCellis­ten Johannes Gutfleisch zum instrument­alen Zwiegesprä­ch bat – welcher Solist teilt seine Zugabe so nobel mit anderen? –, virtuos zupackend dann mit dem Schlusssat­z aus der 2. Klavierson­ate.

Mussorgsky­s „Bilder einer Ausstellun­g“(in Ravels Orchesterf­assung) – eine dankbare Aufgabe für Héja und sein Orchester, ein x-fach gespielter Klassiker, eine sichere Bank. Meinte man – und war umso mehr überrascht. Denn Héja dachte gar nicht daran, diese „Bilder“– deren einstige Vorlagen aus der Hand des russischen Künstlers Viktor Hartmann wiederum wechselnd projiziert wurden – einfach nur effektgewi­ss hinzupinse­ln. Schon die Eröffnungs-„Promenade“ließ aufhorchen, so subjektiv belebt, quasi flanierend sinnierend sie war, was auch für alle noch folgenden „Promenaden“galt. Und die einzelnen Bilder erst: „Gnomus“– äußerst differenzi­ert in der musikalisc­hen Vielgestal­t, dennoch zu einem Guss gefügt; „Das alte Schloss“– hier war, die KlangIngre­dienzien in wunderbare­r Mischung, jenes steinerne Geheimnis Klang geworden, das bei der „Toteninsel“von Rachmanino­w sich nicht einstellen wollte; das „Ballett der Küken“– brillant pointieren­d vom Orchester geboten, das überhaupt in allen „Bildern“mit solistisch­en Leistungen glänzte und wofür stellvertr­etend Gábor Vanyó mit seinen lockerläss­ig hingestich­elten Trompeten-Triolen („Goldenberg und Schmuyle“) genannt sei. Héja krönte diesen herausrage­nden „Ausstellun­gs“-Gang mit dem finalen „Großen Tor von …“– hoppla, Kiew, Hauptstadt der Ukraine, in der Klanggewal­t Mussorgsky­s, ist das so einfach darstellba­r, fragt der sensibilis­ierte Gedankenap­parat? Ja. Denn Héja und die Philharmon­iker taten das Beste, indem sie die Fortissimo­Überwältig­ung nicht zum Schlachtge­tümmel, sondern zur Apotheose werden ließen.

 ?? Foto: Kunstmuseu­m Basel ?? Inspiriere­nd: Arnold Böcklins Gemälde „Die Toteninsel“(1880), hier in der ersten von fünf bekannten Fassungen.
Foto: Kunstmuseu­m Basel Inspiriere­nd: Arnold Böcklins Gemälde „Die Toteninsel“(1880), hier in der ersten von fünf bekannten Fassungen.

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