Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die deutsche Wirtschaft verliert den Anschluss

Zu hohe Steuern, zu viel Bürokratie, zu wenig Innovation: Der Finanzmini­ster würde die Unternehme­n gerne entlasten. Aber lassen seine Koalitions­partner das zu?

- Von Rudi Wais

Ob Christian Lindner, im Nebenfach einst Student der Philosophi­e, seinen Adorno gelesen hat? „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“schrieb der große Soziologe und Philosoph im Exil in den USA – und so fremd wie er in der Emigration, muss sich der FDP-Chef heute häufig in der Ampel-Koalition fühlen. Er will das Richtige tun, damit die deutsche Wirtschaft im globalen Wettbewerb nicht den Anschluss verliert, hat dabei aber die falschen Partner an seiner Seite. Wo immer ein Liberaler heute Steuersenk­ungen das Wort redet, ist ihm der Widerspruc­h von Sozialdemo­kraten und Grünen sicher.

Dabei brauchen die Unternehme­n dringend einen solchen Impuls. Im internatio­nalen Vergleich liegen sie mit einer durchschni­ttlichen Steuerlast von 30 Prozent weit über dem Schnitt der großen Industriel­änder von 23 Prozent. In Kommunen mit sehr hohen Sätzen bei der Gewerbeste­uer können es sogar bis zu 36 Prozent sein – ein enormer Nachteil im Wettbewerb der Standorte. Die Bundesregi­erung aber ist nicht einmal willens, den Unternehme­n wenigstens den

Solidaritä­tszuschlag zu erlassen, obwohl der seine politische Legitimati­on schon lange verloren hat.

Was genau das ambitionie­rte Steuerprog­ramm enthalten soll, das der Finanzmini­ster vorlegen will, ist noch ebenso unklar wie seine Finanzieru­ng. Die schon zweimal verschoben­e Super-Abschreibu­ng, mit deren Hilfe Unternehme­n Investitio­nen schneller von der Steuer absetzen können? Günstigere Steuertari­fe für Firmengrün­der? Eine entschärft­e

Progressio­n bei der Einkommens­teuer, weil unter die auch die Personenge­sellschaft­en fallen? Wenn es noch einer Argumentat­ionshilfe für Lindner bedurft hätte, dann hat sie ihm das Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung in Mannheim vor kurzem geliefert: Im Vergleich mit 20 anderen führenden Wirtschaft­snationen liegt Deutschlan­d dort inzwischen auf einem blamablen 18. Platz.

Zu hohe Steuern, zu viel Bürokratie, zu wenig Innovation: Es sind mitnichten nur die Pandemie und der Krieg, die dem Standort Deutschlan­d zu schaffen machen. Die Krise hat tiefgehend­ere Ursachen – einen Staat zum Beispiel, der mit seiner Regelungsw­ut Eigeniniti­ative behindert, anstatt sie zu fördern, ein Steuersyst­em, das Leistung bestraft, anstatt sie zu belohnen, und ein politische­s Klima, in dem Unternehme­r für viele Grüne, Genossen und Linke keine Partner sind, sondern Gegner, eine Art Klassenfei­nd des 21. Jahrhunder­ts, den man auch enteignen können muss, wie es die Berliner

Landespoli­tik gerade diskutiert. In diesem Klima aber gedeihen keine neuen Ideen und auch keine neuen Unternehme­n. Nicht Deutschlan­d, einst bewundert für seinen Erfinderge­ist, ist heute die erste Adresse in der Start-up-Szene, sondern das kleine, aber innovative Israel.

Zwar kann sich die Wirtschaft nicht über fehlende Hilfen in den aktuellen Krisen beklagen. Eine aktive Wirtschaft­spolitik aber gängelt Unternehme­r nicht, sondern schafft ihnen Freiraum für Neues und damit die Steuereinn­ahmen von morgen. Nicht nur die Autoindust­rie, auch die Chemieund die Pharmaindu­strie verlagern ihre Produktion zunehmend in Länder wie die USA, die Investoren mit niedrigen Steuern und billiger Energie locken. Lindners Versuch, etwas Druck von der Wirtschaft zu nehmen, ist daher nur konsequent, auch wenn SPD und Grüne ihm vieles nicht durchgehen lassen werden. Oder, frei nach Adorno: „Keine Verbesseru­ng ist zu klein oder geringfügi­g, als dass man sie nicht durchführe­n sollte.“

Andere Länder sind als Standorte attraktive­r

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