Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Fantasie beflügelt die Rendite
Auf der Spielwarenmesse in Nürnberg ist ausgestellt, was große und kleine Kinder zum Träumen bringen soll. Technik spielt dabei eine große Rolle. Aber auch das Aufnehmen gesellschaftlicher Trends.
Man kann Kinder ja um vieles beneiden. Um die Gabe, sich beim Spielen mit Kopf und Kragen in einer Fantasiewelt zu verlieren zum Beispiel. Irgendwann ist das weg. Wenn man Glück hat, schwingt noch etwas davon nach, wenn man mit Kindern in das Spielzeuggeschäft oder durch die Spielzeugabteilung im Kaufhaus geht. Für solche Schwingungen ist die traditionsreiche Spielwarenmesse in Nürnberg der maximale Resonanzverstärker. Über 2000 Aussteller aus aller Welt sind dort vertreten und zeigen, was man erleben kann – könnte man noch so abtauchen in immer neue Spielwelten wie einst.
Nathan Yin hat sich das offenbar bewahrt. Yin, Jeans und Schlabberlook, dürfte die 30 noch nicht überschritten haben. Er ist für den chinesischen Roboter-Hersteller Robosen nach Nürnberg gekommen und will einem gleich eine Reihe vielleicht kniehoher Männchen aus Metall und Plastik zeigen, die zur lauten Musik am Stand synchron tanzen. 17 Servomotoren und eine SmartphoneApp sorgen dafür, dass Yins Roboter auch ohne Elektrotechnik-Studium bedient werden können. Spürbar begeistert ist Yin, als er zeigt, dass man den „Interstellar Scout K1 Pro“auch einfach mit der Hand in eine Position bringen kann, die er sich merkt. Aus einer Reihe von Einzelpositionen werden so in Folge flüssige Bewegungen. Im Internet tauscht die Robosen-Gemeinde diese miteinander aus. Zum Beispiel kann der Roboter von einem Lachkrampf geschüttelt werden, was tatsächlich lustig und realistisch aussieht.
Zwischen drei- und vierhundert Euro kostet der lustige Geselle. Nostalgische Erinnerungen an die Kindheit weckt er sicher nicht. Aber er macht gleich mal klar: Spielzeug ist ein großes Geschäft – und Spielen ist heute anders. Oft sehr viel technischer. Die Messe hat diesem Thema einen eigenen Bereich gewidmet. Auf einer Reihe schwarzer Tische liegen dort ausgewählte Neuheiten zum Ausprobieren bereit. Ganz vorne steht Aileen Häberle und zeigt ebenfalls einen
Roboter. Er hat zum Glück keine Zahlen und Abkürzungen im Namen, sondern heißt schlicht Quincy.
Quincy gibt es schon in den USA. Nun soll er bald auch in Deutschland Kindern im Vorschulalter oder in der ersten Klasse dabei helfen, rechnen, zeichnen und buchstabieren zu üben. Er ist türkisgrün und sieht aus wie eine Miniaturversion des berühmten R2-D2-Roboters aus „Star Wars“, nur ohne die Beine auf Rollen. Wenn Häberle ein Kärtchen mit einem Pinguin vor Quincys Kameralinse hält, fängt er an, ganz langputerstimme
sam einen Pinguin zu malen. Zwei Teleskoparme halten dafür einen gewöhnlichen schwarzen Filzer fest umschlossen.
Wir lassen Quincy in Ruhe fertig malen, ziehen weiter und beobachten: Dinge, die Eltern und Kinder früher gemeinsam gemacht haben, sollen die Kinder in Zukunft offenbar lieber mit Maschinen machen. Diese Sicht drängt sich zumindest auf, wenn man eine Vielzahl mehr oder weniger verspielt gestalteter Geräte sieht, die Kindern Gute-Nacht-Geschichten erzählen sollen. Wie ich früher im Bett lag und mich von einer Com
in den Schlaf habe lesen lassen – ob das auch mal schöne Kindheitserinnerungen gibt?
Weiter, es gibt noch so viel zu sehen. Vorbei an all den Spielereien mit der sogenannten Augmented Reality, der erweiterten Realität. Dabei werden meist mit der Kamera aus einem Tablet oder einem Smartphone Dinge aus der echten Welt gefilmt. Auf dem Display werden dieser Realität dann noch Fantasiefiguren hinzugefügt. Rubbeltattoos oder Sticker etwa erwachen so beim Blick auf das Handydisplay zum Leben. Oder das Rennauto auf dem Teppich kann virtuelle Monster überfahren und dabei Punkte sammeln.
Aber längst nicht alles Spielzeug ist technisch. Gerade für die kleineren Kinder gibt es Holzspielzeug, Tretautos, Bewegungsspiele, Fahrräder und Schubkarren in allen Varianten und Qualitäten. Wie bei jeder Industrie geht es weniger darum, grundsätzliche Dinge neu zu erfinden, als das Bestehende modern zu halten und nach den Wünschen der kleinsten Kundengruppe auszudifferenzieren. Was das heißt? Zum Beispiel, dass ein französischer Hersteller jetzt auch einen Holz-Flugzeugträger für Kleinkinder im Programm hat. Krieg spielen im Krabbelalter, garantiert sicher mit abgerundeten Kanten.
In Halle zwölf haben die Spielzeugriesen ein Stockwerk für sich. Mattel und Playmobil zum Beispiel. Oder Lego. Hier treffen sich die Anzugträger und Businessfrauen
Legofiguren müssen nicht mehr immer nur lächeln
und es geht mehr um Traumrenditen als um Traumwelten. Vier der fünf umsatzstärksten Spielwarenartikel 2022 in Deutschland waren von Lego. Fast jeder fünfte Euro im Spielwarenmarkt ging an den Bauklötzchenkonzern. Was dieser Klub der Spielzeugriesen macht, ist wichtig für die Branche. Und eines der Kernthemen für die Konzerne ist Diversität. Stellvertretend dafür steht, was Lego plant: Die Figuren haben künftig unterschiedliche Hautfarben. Sie sollen auch mal schlechte Laune haben dürfen und manche sind auch körperlich eingeschränkt.
Es ist aussichtslos, alles zu sehen und auszuprobieren wollen. Aber die wichtigste Erkenntnis nach einem Messetag ist: Es gibt unendlich mehr Spielzeuge da draußen, als der Laie sich vorstellen kann. Das sollten eigentlich gute Nachrichten für den Fachhandel sein, der die Kompetenz und Erfahrung hat, jene auszuwählen, die bei Kindern und Erwachsenen etwas zum Schwingen bringen.