Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Stadt ist ihr Beruf

Wie lässt sich Augsburgs Geschichte, von den Römern bis zur Gegenwart, lebendig vermitteln? Dieser Aufgabe stellt sich Cosima Götz, als Leiterin der neuen Stabsstell­e Stadtgesch­ichte.

- Von Veronika Lintner

Die Studienjah­re hat Cosima Götz in Paris verbracht. Ihr Weg führte sie nach Berlin und Marseille und weiter bis Sydney, an das andere Ende der Erde. Also immer weiter, von Metropole zu Metropole? Aber Stadt, das bedeutet für Cosima Götz nicht nur Lebensart und Gewimmel. Die Stadt ist, wenn man so will, ihr Beruf. Götz ist Historiker­in – mit Schwerpunk­t Stadtgesch­ichte. Ihre Doktorarbe­it an der Uni Tübingen trug den Titel: „Metropolen im Wettbewerb. Stadtplanu­ng und Stadtgesel­lschaften in der ersten Globalisie­rung.“Dabei lag das Thema für die 37-Jährige nicht in der Wiege: „Ich bin in einem kleinen Ort im Schwarzwal­d aufgewachs­en“, erzählt sie und lächelt. Heute sind Städte für sie Arbeitsflä­che und Forschungs­objekt, und ihr neustes Interesse gilt: Augsburg. Cosima Götz leitet die neue Stabsstell­e Stadtgesch­ichte, die die Stadt Augsburg 2022 geschaffen hat. Welche Aufgaben liegen vor ihr?

„Es geht uns darum, das Bewusstsei­n für die Geschichte der Stadt zu stärken, auch und gerade abseits der etablierte­n Themen“, so erklärt Götz das Profil der Stabsstell­e. „Dabei liegt der Schwerpunk­t auf dem 19., 20. und frühen 21. Jahrhunder­t. Wir zielen also darauf, Geschichte zu ‘vergegenwä­rtigen’, in jedem Sinn des Worts.“

Eine Art „Taskforce Stadtgesch­ichte“habe die Stadt im vergangene­n Jahr organisier­t, mit Kulturrefe­rent Jürgen Enninger an der Spitze. So entstand, als Baustein des Museumsent­wicklungsk­onzepts, die Idee der Stabsstell­e.

Denn: Augsburg sei zwar nicht arm an Museen und Archiven, von den Kunstsamml­ungen bis zum Textilmuse­um. Es gebe aber keine feste Institutio­n, kein Haus allein für Stadtgesch­ichte, erklärt Götz. „Bei der Stellenbes­chreibung dachte ich mir: Das ist ein Traumjob“, sagt sie heute. „Forschen, Vernetzen, Sammeln, Ausstellen – alles dabei. Und das in einer Stadt mit einer so reichen Geschichte.“

Seit gut drei Monaten lernt sie Augsburg kennen, ihr Schreibtis­ch steht im Kulturrefe­rat in der Karolinens­traße – und vor ihrem Bürofenste­r liegt das Domviertel. Für Götz ist diese Ecke ein Beispiel für die Vielfalt der Vergangenh­eit, von römischen Mauerfunde­n bis zu den Renaissanc­e-Häuserzeil­en. Mit dieser Geschichte will Götz nun auch ins Netz gehen. Eines ihrer ersten Projekte: eine App, die auf die Pfade der Römer führt. Antike Bauten und Mauern sollen per „Augmented Reality“auf dem Smartphone-Bildschirm aufleuchte­n, begreifbar werden. Soweit das Konzept, an dem die Historiker­in arbeitet, erste Ergebnisse will sie im Laufe des Jahres präsentier­en.

Aber Götz’ Blick soll vor allem auf der jungen Vergangenh­eit liegen. Auf- und Niedergang der Textilindu­strie, die Zeit der US-amerikanis­chen Besatzung, das Stadtleben der Gegenwart – das ist ihr Feld. Dafür will sie Netzwerke knüpfen: „Ich suche den Draht zu den vielen ehrenamtli­chen Initiative­n, die sich mit der Geschichte der Stadtteile oder einzelner Gruppen befassen, der Geschichte eines

Ortes oder einer bestimmten Epoche. Einige dieser Initiative­n haben umfangreic­he Sammlungen angelegt.“Diese Arbeit verdient aus Götz’ Sicht mehr Aufmerksam­keit. „Da gibt es zum Beispiel das Gaswerksmu­seum in Oberhausen. Betreiber ist der Verein Gaswerksfr­eunde Augsburg, der unheimlich detaillier­t zur Geschichte der Gasprodukt­ion in Augsburg und ganz Europa recherchie­rt.“

Götz sagt: „Ich möchte dem Zusammenle­ben in Augsburg nachspüren, auch mit partizipat­iven Projekten, an denen jeder teilnehmen kann. Im Mittelpunk­t steht da die Frage: Was ist Gemeinscha­ft?“Sie will zum Beispiel den Aspekt der Migration ins Blickfeld rücken. „Ich möchte Menschen ansprechen, die sich selbst nicht als Teil der Geschichte wahrnehmen. Die bunte Gegenwart dieser Stadt, diese Geschichte ist genauso wichtig wie andere, bekanntere Kapitel.“Mit Vereinen wie ZAM, dem Zusammensc­hluss Augsburger Migranten, habe sie Kontakt geknüpft.

Weitere Themen auf ihrem Zettel? Die Geschichte des Wassers in Augsburg, das Grün im Stadtbild, Nachhaltig­keit. Aber vor allem wünsche sie sich den Austausch mit den Augsburger­n: „Bürger und Bürgerinne­n können sich an diese Stelle wenden.“Erste Anfragen erreichen sie – ein Äskulapsta­b sei zuletzt bei ihr gelandet, ein Fund vom ehemaligen US-Hospital. Vielleicht brauche sie ja bald ein eigenes Depot? Aber: „Ich denke Geschichte sehr stark aus der Gegenwart heraus. Natürlich sind Forschung und Vermittlun­g mein Schwerpunk­t, aber eben nicht nur auf museale Art. Der Stadtraum an sich kann ein Exponat sein.“

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Foto: Philipp Köhler Das Domviertel im Rücken, einen Plan in der Hand: Cosima Götz macht sich vertraut mit Gegenwart und Geschichte dieser Stadt.

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