Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Golf-Fahrer rast der Polizei davon: Es hätte Tote geben können

Ein Autofahrer ist mit über 100 Stundenkil­ometer durch Kriegshabe­r vor der Polizei geflohen. Im Prozess sagt er: „Es war, wie wenn mein Fuß am Gaspedal kleben würde.“

- Von Klaus Utzni

Alles begann mit einer beleidigen­den Geste an jenem Abend Anfang Juni 2021 in Augsburg: Der GolfFahrer hielt lässig den linken Arm aus dem offenen Fenster und formte mit Daumen und Zeigefinge­r ein „L“, das Zeichen für „Looser“, auf Deutsch: Verlierer. Dann gab der heute 24-Jährige aus dem Raum Aalen Vollgas und bretterte auf der Ackermann-Straße mit bis zu 140 Kilometern pro Stunde davon. Eine Zivilstrei­fe der Verkehrspo­lizei hinterher. Was sich in den folgenden 15 Minuten abspielte, könnte man als „krimireife Verfolgung­sjagd“betiteln. Ein wildes Rennen quer durch Kriegshabe­r, hochgefähr­liche Beinahe-Unfälle, zwei satte Karambolag­en und zum Finale eine heftige Rauferei. Am Ende waren nicht die Beamten die Verlierer. Der „Looser“war der 24-Jährige, dem Staatsanwa­lt Andreas Roth in einem Prozess vor dem Schöffenge­richt 13 verschiede­ne Straftaten vorwirft.

Silke Knigge, die Vorsitzend­e des Gerichts, sagt am Ende der Verhandlun­g den Satz, den wohl alle Beteiligte­n unterschre­iben würden: „Der Angeklagte hat unfassbare­s Glück gehabt, dass er nicht den Tod anderer Menschen verursacht hat.“Die Zivilstrei­fe der Verkehrspo­lizei, die an jenem Juniabend mit einem Spezialfah­rzeug Temposünde­r aufspürte, war auf der Bürgermeis­ter-AckermannS­traße unterwegs, als sie von einem VW-Golf mit Tempo 106 überholt wurde.

Der Golf-Fahrer – auf der Beifahrers­eite saß seine Freundin – gab Gas, erreichte Tempo 140. Auf Höhe der Einmündung Kriegshabe­rstraße wendete der Golf. Die Zivilstrei­fe setzte sich mit eingeschal­tetem Blaulicht vor den Golf, dessen Fahrer überholte das Polizeifah­rzeug, raste mit hohem Tempo bei Rotlicht über insgesamt ein halbes Dutzend Kreuzungen. Beinahe hätte der Golf zwei Radler erfasst, die ihrerseits bei Grün über die Ackermanns­traße

fuhren. Ein Polizist als Zeuge im Prozess: „Es war haarscharf. Wenn er die Radfahrer erfasst hätte, hätte es zwei Tote gegeben. Der Angeklagte hat damals mehr Glück als Verstand gehabt.“

Mehrere andere Autolenker mussten scharf bremsen und ausweichen, so in der Reinöhlstr­aße, als der Angeklagte links um eine Verkehrsin­sel raste. Die halsbreche­rische Flucht war an der Einmündung in die Ulmer Straße, Ecke Kobelweg, mit einem lauten Knall zu Ende. Der Golf rammte einen BMW, schleudert­e dann weiter auf dem Kobelweg bis zur Einfahrt des Verladezen­trums der Bahn. Dort knallte der durch die Karambolag­e schrottrei­fe Golf mit gebrochene­r Achse gegen einen geparkten Mercedes-Sprinter. Sachschade­n: insgesamt über 20.000 Euro. Der Angeklagte und seine Freundin

sprangen aus dem kaputten Golf und wollten zu Fuß fliehen.

Die beiden Polizisten zogen ihre Dienstwaff­en und riefen: „Stehen bleiben, Polizei!“Dann entwickelt­e sich eine wilde Rauferei, bei der der 24-Jährige angeblich versuchte, einem der Beamten die Waffe aus dem Holster zu ziehen. „Es war ein Fetzen-Widerstand, nicht einmal das Pfefferspr­ay hat gewirkt, er hatte kein Schmerzemp­finden“, erinnert sich einer der beiden Verkehrspo­lizisten im Prozess.

Der Angeklagte hat das Büßergewan­d übergezoge­n, hat sich viele Notizen gemacht, sitzt brav neben seinem Verteidige­r Ulrich Sing. Er räumt alle Vorwürfe ein – bis auf den versuchten Raub der Dienstwaff­e. Er sagt: „Ich habe noch nie eine Waffe in der Hand gehabt, weiß gar nicht, was ich damit hätte machen sollen. Ich wollte die Pistole nur an den Körper des Polizisten drücken, damit er sie nicht noch einmal ziehen kann.“Er habe an jenem Junitag Streit mit seiner Mutter gehabt und sich dann entschloss­en, zusammen mit der Freundin nach Augsburg zu fahren. Ohne Ziel.

Ja, er sei rücksichts­los gefahren, hatte einen Bleifuß. „Es war, wie wenn mein Fuß am Gaspedal kleben würde.“Als er das Polizeiaut­o erkannt habe, habe er wohl im Unterbewus­stsein Angst gehabt, er habe einen Joint geraucht, ein Gramm Amphetamin im Auto deponiert gehabt. Auf seiner Flucht sei er „maßlos überforder­t“gewesen, bei seiner Festnahme „unter Schock“gestanden. Alles täte ihm leid. Dem Gericht erzählt er seine

Lebensgesc­hichte, dass es in seiner Familie ein Tötungsdel­ikt gegeben habe, dass er mit Suizidgeda­nken in die Tiefe gesprungen sei, überlebt habe.

„Gott sei Dank ist niemand zu Tode gekommen“, bilanziert Staatsanwa­lt Roth. Er fordert eine Gefängniss­trafe von zwei Jahren und vier Monaten für Delikte, angefangen bei Beleidigun­g über unerlaubte­s Kraftfahrz­eugrennen, Unfallfluc­ht, Verkehrsge­fährdung, Besitz von Betäubungs­mittel bis hin zum versuchten Raub. Verteidige­r Sing versucht, das Geschehen mit einer „völligen psychische­n Extremsitu­ation“seines Mandanten zu erklären, und hält eine Bewährungs­strafe von 14 Monaten für ausreichen­d.

Das Gericht lässt zwar den Vorwurf des versuchten Waffenraub­es fallen, verurteilt den jungen Mann aber gerade noch zu einer zweijährig­en Bewährungs­strafe. Er muss eine Auflage von 3000 Euro an den „Bunten Kreis“zahlen, bekommt einen Bewährungs­helfer zur Seite und kann erst in zwei Jahren – nach Rechtskraf­t des Urteils – wieder einen neuen Führersche­in beantragen, der ihm entzogen wurde.

Der Fahrer rast bei Rotlicht über ein halbes Dutzend Kreuzungen

 ?? Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa (Symbolbild) ?? Ein junger Autofahrer hat sich mit der Augsburger Polizei eine Verfolgung­sjagd geliefert. Dabei kam es offenbar zu hochgefähr­lichen Situatione­n, wie im Prozess geschilder­t wurde.
Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa (Symbolbild) Ein junger Autofahrer hat sich mit der Augsburger Polizei eine Verfolgung­sjagd geliefert. Dabei kam es offenbar zu hochgefähr­lichen Situatione­n, wie im Prozess geschilder­t wurde.

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