Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Putin muss vor Gericht

Leitartike­l Von wem sollte ein Kriegsverb­recher verurteilt werden, wenn nicht vom Internatio­nalen Strafgeric­htshof? Ein Sondertrib­unal kann das nicht leisten.

- Von Stefan Lange

Die Bilder vom Krieg in der Ukraine machen nicht nur fassungslo­s, sondern auch wütend. Da ordnet ein einsamer Mann im Kreml das Töten von Menschen, die Zerstörung von Häusern und die Deportatio­n von Kindern an. Wie kann das sein – und wird Wladimir Putin jemals einer gerechten Strafe zugeführt? Seit Kriegsausb­ruch versuchen sich Juristinne­n und Diplomaten an einer Antwort. Mittlerwei­le kristallis­ieren sich zwei Ansätze heraus, von denen aber lediglich einer überzeugt.

Die erste Adresse wäre der Internatio­nale Strafgeric­htshof. Russland hat sich ihm zwar nicht angeschlos­sen, kann aber trotzdem angeklagt werden. Die Ermittlung­en laufen bereits. Der Gerichtsho­f kann gegen Kriegsverb­rechen, Völkermord und Verbrechen

gegen die Menschlich­keit vorgehen. Wenn es jedoch um Planung, Vorbereitu­ng und Ausführung des Krieges geht, um sogenannte Aggression­sverbreche­n, stößt er an juristisch­e Grenzen.

Als Alternativ­e wird deshalb die Einrichtun­g eines Sondertrib­unals diskutiert. Es könnte auf ukrainisch­em Recht fußen und wäre damit unkomplizi­erter zu handhaben. So jedenfalls die Hoffnung der Befürworte­rinnen und Befürworte­r, zu denen Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) gehört. Es würde dies dem Wunsch nach einer schnellen Bestrafung russischer Kriegsverb­recher zwar näher kommen, wäre aber trotzdem nur die zweitbeste Lösung.

So könnten die Spitzenleu­te der russischen Regierung vor einem solchen Tribunal nach geltendem ukrainisch­en Recht gar nicht angeklagt werden. Putin und seine engsten Vasallen, allen voran Ministerpr­äsident Michail Mischustin und Außenminis­ter Sergej Lawrow, genießen Immunität.

Außerdem geht es bei der Frage nach einer Bestrafung längst nicht nur um die Toten und Fragen der Entschädig­ung. Die USA etwa stemmen sich gegen den Internatio­nalen Strafgeric­htshof aus der Angst heraus, dass sie dort einst selbst angeklagt werden. Washington favorisier­t deshalb ein hybrides Sondertrib­unal und würde dessen Existenz wiederum für seinen Feldzug gegen den Gerichtsho­f nutzen. Denn warum einen Gerichtsho­f aufbauen, wenn es doch kleinere Lösungen gibt? Viele Staaten blicken zudem anders auf den Ukraine-Krieg als die Europäer, sei es aus Überzeugun­g oder wegen einer Abhängigke­it von Moskau. Sie lehnen ein solches Verfahren ab, weil sie eine Verurteilu­ng Putins befürchten.

Auch wenn es angesichts der Kriegsgräu­el schwerfäll­t, wäre die europäisch­e Politik mit einer Stärkung des Strafgeric­htshofes besser beraten als mit dem hybriden Sondertrib­unal. Der Gerichtsho­f muss ein juristisch scharfes Schwert werden, das Kriegstrei­ber fürchten. Nur so gibt es Hoffnung, dass Putin und andere von ihrem Tun lassen. Mit juristisch­en Zwischenlö­sungen, deren Erfolg unsicher ist, gelingt das nicht. Sie schwächen die Vision von einer mächtigen Weltjustiz, die die Schwachen vor den Mächtigen schützt.

Kriegsverb­recher kommen jetzt schon nicht ungeschore­n davon. Mehr als ein Dutzend Länder, darunter Deutschlan­d, wenden das Weltrechts­prinzip an. Sie dürfen demnach Völkerstra­ftaten anklagen, obwohl diese nicht auf ihrem Hoheitsgeb­iet begangen wurden. Bereits die Aufnahme von Ermittlung­en zeigt der Welt, dass hier einer schlimme Verbrechen begeht. Putin muss Haftbefehl­e und die Einschränk­ung seiner Bewegungsf­reiheit fürchten. So wird der Boden dafür bereitet, dass er einst tatsächlic­h vor Gericht steht.

Gründlichk­eit geht vor Schnelligk­eit

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Zeichnung: Klaus Stuttmann

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