Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Putin muss vor Gericht
Leitartikel Von wem sollte ein Kriegsverbrecher verurteilt werden, wenn nicht vom Internationalen Strafgerichtshof? Ein Sondertribunal kann das nicht leisten.
Die Bilder vom Krieg in der Ukraine machen nicht nur fassungslos, sondern auch wütend. Da ordnet ein einsamer Mann im Kreml das Töten von Menschen, die Zerstörung von Häusern und die Deportation von Kindern an. Wie kann das sein – und wird Wladimir Putin jemals einer gerechten Strafe zugeführt? Seit Kriegsausbruch versuchen sich Juristinnen und Diplomaten an einer Antwort. Mittlerweile kristallisieren sich zwei Ansätze heraus, von denen aber lediglich einer überzeugt.
Die erste Adresse wäre der Internationale Strafgerichtshof. Russland hat sich ihm zwar nicht angeschlossen, kann aber trotzdem angeklagt werden. Die Ermittlungen laufen bereits. Der Gerichtshof kann gegen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit vorgehen. Wenn es jedoch um Planung, Vorbereitung und Ausführung des Krieges geht, um sogenannte Aggressionsverbrechen, stößt er an juristische Grenzen.
Als Alternative wird deshalb die Einrichtung eines Sondertribunals diskutiert. Es könnte auf ukrainischem Recht fußen und wäre damit unkomplizierter zu handhaben. So jedenfalls die Hoffnung der Befürworterinnen und Befürworter, zu denen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gehört. Es würde dies dem Wunsch nach einer schnellen Bestrafung russischer Kriegsverbrecher zwar näher kommen, wäre aber trotzdem nur die zweitbeste Lösung.
So könnten die Spitzenleute der russischen Regierung vor einem solchen Tribunal nach geltendem ukrainischen Recht gar nicht angeklagt werden. Putin und seine engsten Vasallen, allen voran Ministerpräsident Michail Mischustin und Außenminister Sergej Lawrow, genießen Immunität.
Außerdem geht es bei der Frage nach einer Bestrafung längst nicht nur um die Toten und Fragen der Entschädigung. Die USA etwa stemmen sich gegen den Internationalen Strafgerichtshof aus der Angst heraus, dass sie dort einst selbst angeklagt werden. Washington favorisiert deshalb ein hybrides Sondertribunal und würde dessen Existenz wiederum für seinen Feldzug gegen den Gerichtshof nutzen. Denn warum einen Gerichtshof aufbauen, wenn es doch kleinere Lösungen gibt? Viele Staaten blicken zudem anders auf den Ukraine-Krieg als die Europäer, sei es aus Überzeugung oder wegen einer Abhängigkeit von Moskau. Sie lehnen ein solches Verfahren ab, weil sie eine Verurteilung Putins befürchten.
Auch wenn es angesichts der Kriegsgräuel schwerfällt, wäre die europäische Politik mit einer Stärkung des Strafgerichtshofes besser beraten als mit dem hybriden Sondertribunal. Der Gerichtshof muss ein juristisch scharfes Schwert werden, das Kriegstreiber fürchten. Nur so gibt es Hoffnung, dass Putin und andere von ihrem Tun lassen. Mit juristischen Zwischenlösungen, deren Erfolg unsicher ist, gelingt das nicht. Sie schwächen die Vision von einer mächtigen Weltjustiz, die die Schwachen vor den Mächtigen schützt.
Kriegsverbrecher kommen jetzt schon nicht ungeschoren davon. Mehr als ein Dutzend Länder, darunter Deutschland, wenden das Weltrechtsprinzip an. Sie dürfen demnach Völkerstraftaten anklagen, obwohl diese nicht auf ihrem Hoheitsgebiet begangen wurden. Bereits die Aufnahme von Ermittlungen zeigt der Welt, dass hier einer schlimme Verbrechen begeht. Putin muss Haftbefehle und die Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit fürchten. So wird der Boden dafür bereitet, dass er einst tatsächlich vor Gericht steht.
Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit