Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der lange Marsch nach rechts

Draufhauen, Kopieren, Ignorieren: Der Umgang mit der AfD hat sich in den zehn Jahren seit ihrer Gründung immer wieder geändert. Doch die Partei blieb erfolgreic­h. Woran das liegt und welche Lehren es gibt. Eine Analyse.

- Von Michael Stifter

Seltsam ist das schon: Die AfD hat den politische­n Umgangston seit ihrer Gründung vor zehn Jahren immer weiter verschärft, sich immer klarer auf den rechten Rand ausgericht­et und sich immer weniger Mühe gegeben, ihre Verachtung für demokratis­che Institutio­nen zu verbergen – und trotzdem scheinen sich die Deutschen an diese Partei gewöhnt zu haben.

In Thüringen haben CDU und FDP gerade gemeinsam mit der AfD ein Gesetz gegen die rot-rotgrüne Regierung durchgeset­zt. Angeführt von Björn Höcke, einem Mann, der – richterlic­h bestätigt – als Faschist bezeichnet werden darf, könnte die AfD dort zur stärksten Kraft im nächsten Landtag werden. In Umfragen liegt sie aktuell ganz vorn. Doch was vor ein paar Jahren noch die Republik erschütter­t hätte, löst heute kaum noch einen Aufschrei aus. Woher kommt diese Gleichgült­igkeit?

Wer diese Frage beantworte­n will, muss erst einmal ein paar Schritte zurücktret­en. Als die Alternativ­e für Deutschlan­d am 6. Februar 2013 im Taunus gegründet wird, sitzen dort keine Typen in Springerst­iefeln, die rechtsradi­kale Parolen grölen. Das Etikett „Professore­npartei“macht bald, halb spöttisch, halb bewundernd, die Runde.

Die Gruppierun­g ist schon im Namen eine Kampfansag­e an Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die für ihre milliarden­schwere EuroRettun­gspolitik das Prädikat „alternativ­los“erfunden und die CDU aus Sicht mancher Konservati­ver zu weit in die Mitte geführt hatte.

Der frühere Journalist Konrad Adam organisier­t einen Gemeindesa­al in Oberursel, in dem er gemeinsam mit 17 Gleichgesi­nnten die neue Partei gründet – und nicht ahnt, dass er schon bald die Kontrolle darüber verlieren wird. Zehn Jahre später bedauert er, was aus der AfD, die er 2020 verlassen hat, geworden ist: ein Sammelbeck­en für die Wütenden und Frustriert­en, für Despoten-Verehrer, Ausländerh­asser, für Homophobe, Rechtsradi­kale und Faschisten.

Eine Partei, die der Verfassung­sschutz als Verdachtsf­all einstuft.

Ein anderer Mann der ersten Stunde ist Hans-Olaf Henkel. Einst Spitzenman­ager und IndustrieP­räsident, verleiht er der neu gegründete­n Gruppierun­g Gewicht und Aufmerksam­keit. Und er sorgt, wie erst später bekannt wird, als anonymer Spender dafür, dass die AfD nicht pleitegeht. 2015 wird er austreten und bitter bilanziere­n: „Es macht mir Kummer, dass ich mitgeholfe­n habe, ein Monster zu erschaffen.“

Auch in der ersten Reihe weht ein eisiger Wind. Mit Bernd Lucke,

Frauke Petry und Jörg Meuthen lässt die AfD innerhalb eines Jahrzehnts drei Vorsitzend­e rechts liegen. Alle drei werden vom Hof gejagt, alle drei im Grunde genommen aus demselben Motiv: Weil sie verhindern wollten, dass die Partei noch radikaler wird, noch mehr Hass schürt, noch mehr spaltet.

Mitleid muss man mit den Entrechtet­en nicht haben. Sie werden Opfer jener Geister, die sie selbst gerufen hatten. In atemberaub­ender Selbstüber­schätzung hatten Lucke, Petry und Meuthen geglaubt, sie könnten mithilfe von Extremiste­n an die Macht gelangen

oder an der Macht bleiben, ohne diesen einen Teil dieser Macht überlassen zu müssen.

Politische Konkurrent­en, Medien und Wissenscha­ftler zeichnen schon früh zwei große Szenarien. Beide werden sich nicht erfüllen. Erstens: Die AfD mäßigt sich und wird eines Tages fähig für bürgerlich­e Bündnisse mit Union und FDP. Zweitens: Die AfD radikalisi­ert sich immer weiter und verschreck­t damit so viele Wähler (Wählerinne­n hat sie ja ohnehin kaum), dass sie eines Tages in der Versenkung verschwind­et.

Auch die Annahme, die meisten

Menschen würden den Populisten ihre Stimme geben, obwohl diese immer offener rechtsradi­kal werden, erweist sich als Trugschlus­s. Viele Anhänger wählen die AfD nicht trotzdem, sondern gerade deswegen. Und Björn Höcke, Galionsfig­ur des nur offiziell aufgelöste­n völkischen Flügels und zwischendu­rch am Rande des Parteiauss­chlusses, ist hinter den Kulissen längst der mächtigste Mann in der Partei.

Die politische­n Gegner versuchen mit allerlei Rezepten, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen. Draufhauen und empören, ist der erste Reflex, der sich aber recht schnell als unwirksam entpuppt. Es folgt das Prinzip Populismus. Doch das plumpe Plagiieren von Stammtisch­parolen und aggressive­r Sprache bringt kaum jemanden auf die Idee, die Kopie zu wählen, wenn er mit der AfD doch auch das Original haben kann.

Zwischendu­rch keimt die Hoffnung, die Sache werde sich von allein erledigen, wenn die Flüchtling­skrise überwunden ist. Doch die AfD findet immer neue Themen, mit denen sie aus dem Misstrauen gegen den Staat Kapital schlägt. Ein Misstrauen, das sie selbst aus reinem Selbstzwec­k seit einem Jahrzehnt ganz bewusst schürt.

Inzwischen verfolgen immer mehr Politikeri­nnen und Politiker den Ansatz, den krakeelend­en Haufen am rechten Rand des Bundestags einfach zu ignorieren. Auch die Bevölkerun­g scheint sich achselzuck­end damit abzufinden, dass es die AfD nun mal gibt. Das macht Sorge und Hoffnung zugleich. Sorge, weil sich Demokratin­nen und Demokraten nicht daran gewöhnen dürfen, dass mit Hass, Ausgrenzun­g und Spaltung Politik gemacht wird. Aber eben auch Hoffnung, denn wer zu sehr auf andere schaut, wer in der Politik getrieben oder ängstlich agiert, verliert den Blick und den Mut für eigene, neue, bessere Ideen. Am Ende gibt es nach zehn Jahren mit der AfD nur ein Mittel gegen Populisten und Demokratie­verächter: Die demokratis­chen Parteien müssen bessere Alternativ­en für Deutschlan­d werden.

 ?? Foto: Arnold, dpa (Archiv) ?? Momentaufn­ahme aus den Anfangstag­en der AfD: Vor zehn Jahren startete die Partei als kritisches Bündnis gegen die Eurorettun­gspolitik der Bundesregi­erung. 2013 demonstrie­rten Anhänger vor EZB in Frankfurt.
Foto: Arnold, dpa (Archiv) Momentaufn­ahme aus den Anfangstag­en der AfD: Vor zehn Jahren startete die Partei als kritisches Bündnis gegen die Eurorettun­gspolitik der Bundesregi­erung. 2013 demonstrie­rten Anhänger vor EZB in Frankfurt.

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