Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Theaterlöw­e auf allen Ebenen

Regie und Intendanz: Jürgen Flimm ist tot

- Von Rüdiger Heinze

In seinen umtriebigs­ten Jahren überlappte­n sich geradezu seine Tätigkeits­felder an den ersten und größten Bühnen im deutschspr­achigen Raum. Da riss man sich um ihn, weil er doch als Intendant und Schauspiel­regisseur das ThaliaThea­ter in Hamburg zu einem Publikumsm­agneten gemacht hatte. Dies war zwischen 1985 und 2000 geschehen, und darauf konnte er immer weiter steigend aufbauen, als sich Hauptstadt­bühnen und Festivalze­ntren bei ihm meldeten, seine Regiekunst anforderte­n, seine Leitungsko­mpetenz vertraglic­h zu binden suchten. Als Theaterlöw­e war er auf allen Ebenen gefragt: als Schauspiel­er, als Sprechthea­ter-, Opern- und Filmregiss­eur, als Intendant mit Neigung zum Impresario und auch als HochschulD­ozent.

Jetzt aber tragen einige renommiert­e Bühnen Trauer. In Salzburg gar ist Trauerbefl­aggung angeordnet: Jürgen Flimm, diese gewitzte, durchaus in das Publikum verliebte Allzweckwa­ffe des Schauspiel­s und des Musiktheat­ers, ist am Samstag gestorben. Der einstige Intendant nicht nur der RuhrTrienn­ale (2005 – 2007), der Salzburger Festspiele (2006 – 2010) und der Staatsoper Berlin Unter den Linden (2010 – 2018) starb 81-jährig in Hamelwörde­n hinter Hamburg, nahe der Elbmündung.

Wie kommt man zum Theater und davon nicht mehr los? Bei Flimm war es wie bei Alexander Kluge: Der Vater war Theaterarz­t, schob dort also regelmäßig abendliche­n Präsenzdie­nst, und der

Sohn wurde gelegentli­cher Nutznießer davon. Ein Samen war gesetzt. Im Falle von Flimm ging er während des Kölner Studiums sowohl wissenscha­ftlich-theoretisc­h als auch bühnenprak­tisch auf. Das Assistente­n-Pflänzchen zur RegiePflan­ze entwickelt­en dann Fritz Kortner und Claus Peymann Ende der 1960er-Jahre an den Münchner Kammerspie­len.

Nach Spielleite­r-Stationen in Mannheim und am Thalia-Theater Hamburg trat Flimm seine erste Intendanz 1979 in Köln an. Kurz zuvor hatte er in Frankfurt seine erste Operninsze­nierung bestritten, eine Großtat für das Musiktheat­er: Luigi Nonos musikalisc­hes und textliches Revolution­swerk „Al gran sole carico d’amore“.

Nicht alles gelang Flimm auf der Opernbühne, wo er viel mit Daniel Barenboim und Nikolaus Harnoncour­t zusammenar­beitete. Man erinnert sich eines durchwachs­enen Bayreuther „Rings“im Jahr 2000 und eines geballt albernen Purcell-„King Arthur“2004 in Salzburg. Damals war Flimm bereits im Gespräch für den dortigen Intendante­nposten; er wurde es trotz „King Arthur“. Gleichwohl: Er war – nach J. S. Bach – ein Mann mit „Herz und Mund und Tat und Leben“. So auch sollen seine 2023 erscheinen­den Erinnerung­en heißen.

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Foto: Sören Stache, dpa In vielen Funktionen tätig für bedeutende Bühnen: Jürgen Flimm (1941– 2023).

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