Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sex als lustige Turnübung

Das Landesthea­ter Schwaben bringt Arthur Schnitzler­s „Reigen“mit viel Komik und Klamauk auf die Bühne. In der Inszenieru­ng von Christine Hofer gerät jedoch eine wichtige Eigenschaf­t des Dramas aus dem Blick.

- Von Michael Dumler

Begehrt ist das „Süße Mädel“als sexuelles Spielzeug für den Herrn aus gutem Haus im Wien des ausgehende­n 19. und beginnende­n 20. Jahrhunder­ts. Doch wehe, wenn die junge Dame aus einfachen Verhältnis­sen plötzlich Paroli bietet. „Ah, was, deine Frau macht’s sicher nicht anders als du“, sagt das süße Mädel dem Fremdgeher nach dem Liebesakt frei ins Gesicht. Und der kontert empört: „Du, das verbiet ich mir. Solche Bemerkunge­n.“

Die Doppelmora­l seiner Zeitgenoss­en hat Arthur Schnitzler vor 120 Jahren in seinem Theaterstü­ck „Reigen“auf den Punkt gebracht: Zehn Mal zeigt er über gesellscha­ftliche Schranken hinweg Paare beim Fremdgehen, wie sie sich auf den gemeinsame­n Sex zubewegen und wieder auseinande­rdriften. Ein zeitloses Thema also, das danach schreit, immer wieder neu auf die Bühne gebracht zu werden. Für kontrovers­es Aufsehen sorgte zuletzt unter anderem eine Neubearbei­tung von zehn Autoren bei den Salzburger Festspiele­n 2022. Nun hat sich das Landesthea­ter Schwaben dem Skandalstü­ck von einst angenommen – auf eine mitunter arg überdrehte, komische Art und Weise.

Natürlich ist jeder „Reigen“-Besucher gespannt, wie die Regie den Liebesakt, den Arthur Schnitzler mit drei Punkten (oder auch einem Gedankenst­rich) andeutete, umsetzt. Christine Hofer, die bis 2024 das Landesthea­ter Schwaben mit Alexander May führt, entschied sich für eine sportliche Variante: Sie lässt die Paare (angekleide­t) auf ihrem Bett Trampolin springen, was die Männer nicht immer gut aussehen lässt.

Und damit sind wir schon beim Kern der Memminger Inszenieru­ng: Wer Schnitzler­s feinsinnig­es Drama liest, spürt sogleich dessen Sympathie für die Frauenfigu­ren, die Dirne, das süße Mädel, die junge Frau, das Stubenmädc­hen, die Schauspiel­erin. Sie erscheinen erst als Opfer männlicher Begierde, drehen aber schnell den Spieß um und genießen dies. Die Männer – Soldat, Ehegatte, Graf, Dichter, junger Herr – erscheinen zwar als diejenigen, die den „Reigen“in Gang setzen und die Fäden in Händen halten. Doch sie erweisen sich schnell als jämmerlich­e Gestalten, eitle Gockel, nervende Schwafler und kindische Langweiler.

Regisseuri­n Christine Hofer setzt noch eins drauf. Bei ihr sind die Männer so tumb, unbeholfen, unsexy und blöd, dass man sich fragt, warum sich die Frauen überhaupt mit diesen sonderbare­n Exemplaren abgeben. Zumal der Sex (siehe Trampolins­pringen) nicht immer prickelnd ist. Mitunter fühlt man sich in einer polternden Boulevardk­omödie. Slapstickh­afte Komik sorgt mit schöner Regelmäßig­keit

für Prusten, Glucksen, Kichern im Publikum. Die krachleder­ne Albernheit entpuppt sich jedoch alsbald als Lawine, unter der die ironische Doppelbödi­gkeit des Schnitzler-Textes begraben wird.

Vielverspr­echend startet der turbulente Liebesreig­en: Regisseuri­n Hofer bringt das Gestern und Heute zusammen, in dem sie die erste Szene als Prolog vor den Vorhang

setzt. Der Soldat (Thorsten Hamer) erscheint in einer Uniform um 1900 und trifft auf die Dirne (Sebastian Egger), die an ein Mitglied der LGBTQ–Gemeinde erinnert und Leocadio (statt Leocadia) heißt. Als der Vorhang aufgeht, beginnt ein zunächst spritziges Spiel. Die Bühne (Dirk Seesemann) wird von dem bereits erwähnten Doppelbett dominiert. Aus einer großen Decke wühlen sich die Schauspiel­er und Schauspiel­erinnen heraus. Neben den beiden Männern sind dies Flurina Schlegel und Laura Roberta Kuhr. Das junge Quartett zeigt zwei Stunden lang viel Spielfreud­e und Lust am klamaukige­n Spiel. Vor aller Augen kleiden sie sich um; Dirk Seesemann hat ihre Kostüme an die 1920er Jahre angelehnt. Dazu gibt es Musik, klassische Evergreens und Club-Sound, den „Kleinen grünen Kaktus“und Falcos „Vienna Calling“. Eine schöne Idee: Während sich das eine Paar im Vordergrun­d positionie­rt, wandelt das andere auch mal als SchattenPa­ar im Hintergrun­d. Ganz zum Schluss hat die Regie noch eine Überraschu­ng parat – und die ist fernab von Komik und Albernheit und gibt dem Publikum etwas für den Nachhausew­eg mit…

 ?? Foto: Forster/LTS ?? Lust am Liebesspie­l: (von links) Laura Roberta Kuhr, Thorsten Hamer, Flurina Schlegel und Sebastian Egger in Schnitzler­s „Reigen“.
Foto: Forster/LTS Lust am Liebesspie­l: (von links) Laura Roberta Kuhr, Thorsten Hamer, Flurina Schlegel und Sebastian Egger in Schnitzler­s „Reigen“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany