Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Sex als lustige Turnübung
Das Landestheater Schwaben bringt Arthur Schnitzlers „Reigen“mit viel Komik und Klamauk auf die Bühne. In der Inszenierung von Christine Hofer gerät jedoch eine wichtige Eigenschaft des Dramas aus dem Blick.
Begehrt ist das „Süße Mädel“als sexuelles Spielzeug für den Herrn aus gutem Haus im Wien des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Doch wehe, wenn die junge Dame aus einfachen Verhältnissen plötzlich Paroli bietet. „Ah, was, deine Frau macht’s sicher nicht anders als du“, sagt das süße Mädel dem Fremdgeher nach dem Liebesakt frei ins Gesicht. Und der kontert empört: „Du, das verbiet ich mir. Solche Bemerkungen.“
Die Doppelmoral seiner Zeitgenossen hat Arthur Schnitzler vor 120 Jahren in seinem Theaterstück „Reigen“auf den Punkt gebracht: Zehn Mal zeigt er über gesellschaftliche Schranken hinweg Paare beim Fremdgehen, wie sie sich auf den gemeinsamen Sex zubewegen und wieder auseinanderdriften. Ein zeitloses Thema also, das danach schreit, immer wieder neu auf die Bühne gebracht zu werden. Für kontroverses Aufsehen sorgte zuletzt unter anderem eine Neubearbeitung von zehn Autoren bei den Salzburger Festspielen 2022. Nun hat sich das Landestheater Schwaben dem Skandalstück von einst angenommen – auf eine mitunter arg überdrehte, komische Art und Weise.
Natürlich ist jeder „Reigen“-Besucher gespannt, wie die Regie den Liebesakt, den Arthur Schnitzler mit drei Punkten (oder auch einem Gedankenstrich) andeutete, umsetzt. Christine Hofer, die bis 2024 das Landestheater Schwaben mit Alexander May führt, entschied sich für eine sportliche Variante: Sie lässt die Paare (angekleidet) auf ihrem Bett Trampolin springen, was die Männer nicht immer gut aussehen lässt.
Und damit sind wir schon beim Kern der Memminger Inszenierung: Wer Schnitzlers feinsinniges Drama liest, spürt sogleich dessen Sympathie für die Frauenfiguren, die Dirne, das süße Mädel, die junge Frau, das Stubenmädchen, die Schauspielerin. Sie erscheinen erst als Opfer männlicher Begierde, drehen aber schnell den Spieß um und genießen dies. Die Männer – Soldat, Ehegatte, Graf, Dichter, junger Herr – erscheinen zwar als diejenigen, die den „Reigen“in Gang setzen und die Fäden in Händen halten. Doch sie erweisen sich schnell als jämmerliche Gestalten, eitle Gockel, nervende Schwafler und kindische Langweiler.
Regisseurin Christine Hofer setzt noch eins drauf. Bei ihr sind die Männer so tumb, unbeholfen, unsexy und blöd, dass man sich fragt, warum sich die Frauen überhaupt mit diesen sonderbaren Exemplaren abgeben. Zumal der Sex (siehe Trampolinspringen) nicht immer prickelnd ist. Mitunter fühlt man sich in einer polternden Boulevardkomödie. Slapstickhafte Komik sorgt mit schöner Regelmäßigkeit
für Prusten, Glucksen, Kichern im Publikum. Die krachlederne Albernheit entpuppt sich jedoch alsbald als Lawine, unter der die ironische Doppelbödigkeit des Schnitzler-Textes begraben wird.
Vielversprechend startet der turbulente Liebesreigen: Regisseurin Hofer bringt das Gestern und Heute zusammen, in dem sie die erste Szene als Prolog vor den Vorhang
setzt. Der Soldat (Thorsten Hamer) erscheint in einer Uniform um 1900 und trifft auf die Dirne (Sebastian Egger), die an ein Mitglied der LGBTQ–Gemeinde erinnert und Leocadio (statt Leocadia) heißt. Als der Vorhang aufgeht, beginnt ein zunächst spritziges Spiel. Die Bühne (Dirk Seesemann) wird von dem bereits erwähnten Doppelbett dominiert. Aus einer großen Decke wühlen sich die Schauspieler und Schauspielerinnen heraus. Neben den beiden Männern sind dies Flurina Schlegel und Laura Roberta Kuhr. Das junge Quartett zeigt zwei Stunden lang viel Spielfreude und Lust am klamaukigen Spiel. Vor aller Augen kleiden sie sich um; Dirk Seesemann hat ihre Kostüme an die 1920er Jahre angelehnt. Dazu gibt es Musik, klassische Evergreens und Club-Sound, den „Kleinen grünen Kaktus“und Falcos „Vienna Calling“. Eine schöne Idee: Während sich das eine Paar im Vordergrund positioniert, wandelt das andere auch mal als SchattenPaar im Hintergrund. Ganz zum Schluss hat die Regie noch eine Überraschung parat – und die ist fernab von Komik und Albernheit und gibt dem Publikum etwas für den Nachhauseweg mit…